Samstag, 30. November 2019 von Karin S. Wozonig
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Veröffentlicht in Literatur,Welt

Mit der Ethik dribbeln

Apropos Quicktipp: Die österreichische Literatur hat neuerdings einen Fußballstar. Er heißt Ivo Trifunović und ist ein Jugo-Proll aus Floridsdorf, dem 21. Wiener Gemeindebezirk. Sinngemäß denkt er, dass die Oberpatrioten unter den Passivfußballern, die sich darüber aufregen, dass Spieler die Bundeshymne nicht anständig mitsingen, doch die Sängerknaben zur WM schicken sollen, und ist damit politischer, als er selbst meint zu sein. Ivo, „zu einem Viertel bosnischer Kroate und zu einem Viertel bosnischer Serbe“, denkt auch, „wenn jemand Tschusch meint, dann soll er auch Tschusch sagen, statt Tschusch zu meinen und Mensch mit Migrationshintergrund zu sagen.“

Nicht wie ihr von Tonio Schachinger ist ein Buch für Wien-Liebhaber, Fußballfans, Freunde von Promi-Reality-Shows und ganz besonders für jene, die gute österreichische Literatur mögen. Nicht so gut gefallen wird das Buch vielleicht denen, die Schönsprechen für eine unabdingbar notwendige Kulturtechnik halten. Wenngleich es auch dem Ivo nicht an sprachlichem Feingefühl mangelt, denn er würde „natürlich jedem, der ihn Tschusch nennt, sofort in die Pappn hauen“.

Schachinger führt an seinem Protagonisten vor, dass es einen Unterschied zwischen Mangel an Bildung und Dummheit gibt. Sein Volksschul-Hauptschul-Fußballkäfig-Ivo ist zum Beispiel bedeutend klüger als Ferdinand, der quatschende Team-Psychologe. Ivo ist ein ungebildeter Philosoph, der sich durch einfache Analogien die Welt erklärt und durch Beobachtung die Menschen versteht. Er weiß, dass manche nur wegen seiner Berühmtheit seine Nähe suchen, dass man der Verehrung nicht trauen darf, denn sie kann bei Sportlern offenbar sehr schnell in Verachtung umschlagen. Derlei Einsichten machen den Macho natürlich nicht sanftmütiger. Sein Aggressionsmanagement lässt aber zu wünschen übrig und – soviel sei verraten – es funktioniert nicht.

Ivo hat seinen Weg aus dem „Käfig“ zum unsinnig hoch bezahlten Spitzensport gemacht. Jetzt ist er superreich und als Aushängeschild für den österreichischen Fußball superberühmt, aber auch unter ständiger Beobachtung, bei allem, was er tut, der öffentlichen Be- und Verurteilung ausgesetzt, zum Beispiel durch die „Kaiser-Zeitung“. Was der Roman bietet, ist die Innenschau – im besten Wortsinn – eines bei dem Theater der Berühmtheit mehr oder weniger überzeugt mitspielenden Protagonisten, ein unverstellter Bewusstseinsstrom, der Blick durch Ivos Augen auf die Welt. Oft ist Ivo unbarmherzig ehrlich gegenüber sich selbst, immer ist er ein bisschen misstrauisch, wenn es um seine Gefühle geht, ein junger Mann, der sich weder für den Erfolg verbiegt noch sich von ihm verbiegen lassen will, und der nicht nur Fußballer ist, sondern auch Ehemann und Vater zweier Kinder.

Die Perspektive lässt uns lebhaft an seinen anrührenden Erinnerungen an die Anfänge seiner Fußballkarriere teilhaben, aber auch an seinen Angstzuständen, die sich zur Panikattacke steigern. Auch den Unterschied zwischen ambitioniertem, klischeedurchsetztem Sex auf der einen und gutem Sex auf der anderen Seite stellt Schachinger überzeugend dar. Aus dem ambitionierten Versuch nimmt Ivo nicht nur die Erkenntnis mit, dass man mit heißer Schokolade vorsichtig sein muss, sondern auch, dass es zwischen seiner Frau und ihm ein Problem gibt.

Als Ivo die gerade erst begonnene Affäre mit seiner Jugendliebe beendet, weil er meint, damit das Richtige zu tun, tut er es auf die dümmstmögliche Art, was dazu führt, dass er sich überlegt, ob er zu den Bösen gehört und was das eigentlich bedeutet. Wann ist man böse? Wenn man ein Mal etwas Böses tut, oder fünf Mal? Oder wenn man zu den Bösen hält?

Ein Unfall bringt eine Veränderung in Ivos Innen- und Privatleben, es könnte sich alles zum Guten wenden, aber an der Stelle – fünf Seiten vor dem letzten Satz des Romans – werden jene enttäuscht, die ein eindeutiges Ende erwarten, denn „plötzlich hat Ivo eine Einsicht, die so dumm ist, dass er es selbst nicht glauben kann: Es hört ja nie auf! Es gibt kein Ende, weder happy noch unhappy, weil Ivo erst 27 ist und noch ur viel leben muss!“ Und die Leserin wünscht es ihm: Möge Ivo noch viel leben und viel lernen.

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