Ein letztes Mal möchte ich mich in meinem Blog luftig-sommerlich mit Friederike Kempner, der unfreiwillig komischen Dichterin beschäftigen. Im Vorwort der fünften Auflage ihrer Gedichtsammlung beklagt sie sich darüber, dass sie sich
wie mancher Beherrscher von Rußland … fast täglich von anonymen Briefen heimgesucht
sieht, von Briefen „anonymer Feindschaft“ nämlich, als die Kempner Spott und Hohn über ihre missglückten Verse zeitlebens betrachtete. Aber ganz richtig beobachtet sie, dass
das liebenswürdige Publikum diese gemeinen Angriffe kaum seiner Entrüstung gewürdigt und in seiner reichen Gunst sind die Gedichte ein bleibendes Buch geworden.
Wie in einem früheren Blogeintrag berichtet, war die Erfolgsautorin Gabriele Reuter, deren Roman Aus guter Familie (1895) mit beklemmender Genauigkeit die emotionale Über- und intellektuelle Unterforderung von bürgerlichen Frauen in ihrer Zeit schildert, ein Fan der „göttlichen Rieke“.
Auch Marie von Ebner-Eschenbach (über die Gabriele Reuter eine biographische Skizze verfasst hat), kannte die Gedichte Kempners und nützte eines davon für die Charakterisierung einer weiblichen Figur in ihrer Erzählung Bertram Vogelweid: Siglinde, von ihrer Mutter genötigt in Gesellschaft ein Gedicht vorzutragen, bekommt „schwere Atembeklemmungen“, trotzdem bereitet sie mit ihrem Vortrag dem Auditorium „ein wahres Vergnügen“. Ebner-Eschenbach konnte voraussetzen, dass Kempners „Wanderer“, von „Lindchen“ mit nervöser Kurzatmigkeit rezitiert, ihren Leserinnen und Lesern bekannt war.
Der müde Wandrer sitzet am Steg,
Vorüber eilet der Fluß,
Am Ufer lehnend, die Hände gekreuzt,
Und badet den müden Fuß.
Die Hände so braun und braun ist der Fuß,
Noch brauner ist das Gesicht,
Wo kam er nur her, der müde Gesell,
Wahrhaftig, ich weiß es nicht.