Zu Tisch in Bremen
Völlig zu Recht hat Terézia Mora den Bremer Literaturpreis bekommen. Ausgezeichnet wurde ihr Band Erzählungen mit dem Titel „Die Liebe unter Aliens“, einem Titel, von dem Lothar Müller bei der traditionellen Vorabendlesung mit Gespräch am Sonntag in der „Glocke“ gesagt hat, es könnte auch ein Filmtitel sein. Zuerst habe ich mich darüber gewundert, dass die Autorin bei dieser Bemerkung ganz ungerührt geblieben ist, aber jetzt denke ich, es liegt daran, dass sie „Drehbuch studiert“ hat. Das erklärt auf jeden Fall die szenische Qualität einiger ihrer Erzählungen. Das Gespräch führte Lothar Müller mit Terézia Mora und mit dem Förderpreisträger Senthuran Varatharajah (neinnein, so schwierig ist der Name gar nicht; den könnte sich auch ein Bremer Bürgermeister merken, wenn er wollte).
Zu meinem Bedauern las Mora von ihrer Titelerzählung an dem Abend nur ungefähr die Hälfte. Obwohl ich sie schon kenne, hätte ich sie von der Autorin gern ganz gehört. Die Erzählerin macht keinen Hehl daraus, dass sie die beiden Hauptfiguren mag, und Mora liest das auch genau so. Man muss die Sympathie übrigens nicht teilen. Das ist eine andere Qualität der Erzählungen. Die Figuren sind überzeugend durchschnittlich bis unterdurchschnittlich und gelegentlich too close to home, um in die Leser-Komfortzone zu passen. Manche Figuren sind auch auf jene unspektakuläre Art unglücklich, die an ästhetische Beleidigung grenzt. Und dann kann es aber auch sein, dass sie gar nicht unglücklich sind. Man weiß es nicht so genau. Terézia Moras Erzählungen sind richtig für Menschen, die sich auf hohem Niveau von Alice Munro erholen wollen.
Nach der erhellenden Laudatio von Roman Bucheli befleißigte sich die Preisträgerin gewitzt des Genres der Dankeserzählung. Jetzt wissen wir, dass sie auf dem Flughafen von Bordeaux erfahren hat, dass sie den Bremer Literaturpreis bekommen hat; dass sie sich bei der Botschaft nicht sofort einen Haxen ausgefreut hat (weil so ein Preis nämlich mit einer Dankesrede verbunden ist – was ihr nicht liegt); und dass ein Tisch, auf dem Chaoschaoschaos herrscht und den man mit einer Neunjährigen und ihrem Vater teilt, zwar keine Bedingung für das Schreiben guter Literatur ist, aber auch kein permanentes Hindernis.