Montag, 11. Januar 2010 von Karin S. Wozonig
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Veröffentlicht in 19. Jahrhundert

Schauspielerinnen und Bürger

Für die Schauspielerinnen der Hof- wie der Vorstadttheater gilt: Sie befinden sich innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft des neunzehnten Jahrhunderts in einem Dilemma: […] Ihr Beruf macht es nötig, dass sie zwischen bürgerlichem, weiblichem Wohlverhalten und ihrer eigenen Ausnahmestellung aufgrund ihrer bezahlten, öffentlichen Berufstätigkeit vermitteln, dass sie sozusagen zwischen Normerfüllung und Normbruch lavieren. […] Der Aufstieg des Bürgertums im neunzehnten Jahrhundert, zu dem unabdingbar die bürgerlich definierte moralische und kulturelle Integrität gehört, macht dieses Problem der Schauspielerin aber zusätzlichen kompliziert: Die soziale Definition (und Selbstdefinition) der Schauspielerin wird ambivalent, denn ihre Kunst des Rollenspiels zählt nun auch im Rahmen des bürgerlichen Zusammenlebens zu den erstrebenswerten „soft skills“. Die Darstellungskunst überlagert sich mit einer bürgerlichen Alltagskompetenz. „Soziale Theatralität“ durchdringt jeden Bereich der bürgerlichen Gesellschaft, das Spielen der richtigen Rolle innerhalb der Familie, der sozialen Schicht, des Berufsumfeldes etc. ist für die bürgerliche Existenz unabdingbar. Schauspielerinnen (und Schauspieler), die die Integration in die bürgerliche Gesellschaft anstreben, spielen dauerhaft zwei Rollen und ihre bürgerliche Privatrolle wird, parallel zur Zunahme der Bedeutung des Bürgertums als Publikum […] im Laufe des 19. Jahrhunderts immer wichtiger.

Karin S. Wozonig: Betty Paoli und die schönen Frauen. In: NESTROYANA. Blätter der Internationalen Nestroy-Gesellschaft. 29. Jahrgang 2009, Heft 1–2. 72-81.

Brief von Carl von Lewinski an Josephine von Wertheimstein

Brünn, 11. Jänner 1866 … Die edelste Seele der Dorotheergasse und einiger anderer Welttheile ist auch öfter so gut, mich au courant zu halten über wichtige Vorkommnisse in der heiligen Stadt Wien, in welcher der Geist der Verneinung, i. e. des Wolterianismus bedenklich zuzunehmen scheint. – Ich habe mit aller sittlichen Entrüstung, deren ich in der Eile habhaft werden konnte, erfahren, daß diese Delila bei Samson auf dem Balle war, und freue mich, daß der gerechte Himmel dieses freche Eindringen des Weltkindes… durch dreimaliges Tanzen mit Boskowitz rasch und strenge bestrafte.

Gomperz, Heinrich/Kann, Robert A. (Hg.): Briefe an, von und um Josephine von Wertheimstein. Wien 1981

Carl/Karl von Lewinski, 1813-1869, liberal gesinnter Zensurbeamter
„edelste Seele der Dorotheergasse“: Sophie Todesco
Samson: Wiener Salon
Julius Boskowitz, Architekt

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