Lektüreempfehlung: Der einzige Ort
Heute, am Geburtstag des Autors, empfehle ich die Lektüre von Thomas Stangls Roman „Der einzige Ort“. Der 2004 erschienene Text handelt von den europäischen Reisenden Gordon Laing und René Caillié, die sich in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts auf die Suche nach dem sagenumwobenen Ort Timbuktu machen. Thomas Stangl macht von seinen Quellen (unter anderem Briefe und Dokumente von Laing und Cailliés Reisebeschreibungen) in bester (postmoderner) literarischer Manier Gebrauch. Hier ein kurzer Textauszug:
Das Licht, das sehr viel später durch die Türöffnung dringt, dem Schattenreich (Lehm, pralle Getreidesäcke, ein Regenschirm, um den sich eine knochige Hand krampft) Konturen gibt, fügt sich in den engen Kreis der Angst und des Schmerzes ein, verstärkt den Schmerz; von seinem Gaumendach zieht sich die Spannung in die Hirnhaut, in die Knochen seiner Schädeldecke, frißt sich voran; etwas in seinem Nacken scheint zu zerreißen, etwas in seiner Kehle scheint sich aufzulösen. Er kann die Augen kaum offen halten, von den Rändern seines Blickfelds her drängt sich etwas Fremdes ins Bild, verzerrt es und schmilzt es zusammen; dieses Fremde (obwohl vom Licht getragen) verschwindet auch nicht bei geschlossenen Lidern, doch solange er eine Spur des Wissens davon bewahren kann, daß es sich um nichts als unbestimmte Traumerscheinungen handelt, glaubt er das Entsetzen in Grenzen halten zu können, den letzten Trost zu bewahren, daß es noch eine Außenwelt gibt, eine Welt, die nach begreifbaren Regeln funktioniert, so wie er nach begreifbaren, ihm bekannten Regeln funktioniert hat.
Thomas Stangl: Der einzige Ort. Roman. München: btb 2006. S. 138f.
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