Mittwoch, 23. Februar 2011 von Karin S. Wozonig
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Der Konstruktionscharakter von Natur

Ein Thema des Salongesprächs über die Natur im Buch, das mitzugestalten ich vorige Woche das Vergnügen hatte, war die Frage danach, wieviel an unseren Naturvorstellungen kulturell gemacht ist. In der FR von gestern findet sich ein Interview mit dem Historiker Joachim Radkau, in dem er dieser Frage nachgeht. Unter anderem meint er:

Ich denke, es müssen mehr Human- und Kulturwissenschaftler an den Entscheidungsprozessen beteiligt werden, die sich über den Konstruktionscharakter von Natur bewusster sind. Natur gibt es ja wirklich, aber wenn wir von Natur reden, dann meinen wir zumeist ein Konstrukt, das wir im Kopf haben – was durchaus auch seinen praktischen Wert hat: Man geht sensibler mit ihr um.

Das finde ich auch. Und ein beträchtlicher Teil dieses Konstrukts basiert auf literarisierter Natur – oder ist literarisierte Natur.

Dienstag, 15. Februar 2011 von Karin S. Wozonig
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Wiederholte Lektüre

Zur Zeit lese ich wieder einmal „Über den Umgang mit Menschen“ von Knigge. Dieses übrigens in der elektronischen Form auf meinem OYO, einem E-Book-Reader, der aufgrund der desaströsen Kommunikationspolitik des Verkäufers, der Thalia-Buchhandelskette, auf Facebook abgewatscht wird. (Da hat jemand seine PR-Hausaufgaben nicht gemacht. Mein OYO funktioniert tadellos und hat keinerlei Makel, aber natürlich ist mir meine Zeit zu schade, das auf Facebook kundzutun.)

In loser Folge werde ich in diesem Blog Fundstücke aus „Über den Umgang mit Menschen“ präsentieren. Ich beginne mit einer Ausführung zum richtigen Ton in der Konversation, auch zu lesen als Negativbeispiel zum Thema Bewertung der Wichtigkeit des eigenen Berufs.

Ein Professor, der in der literarischen Welt eine nicht gemeine Rolle spielt, meint in seiner gelehrten Einfalt, die Universität, auf welcher er lebt, sei der Mittelpunkt aller Wichtigkeit, und das Fach, in welchem er sich Kenntnisse erworben, die einzige dem Menschen nützliche, wahrer Anstrengung allein werte Wissenschaft. Er nennt jeden, der sich darauf nicht gelegt hat, verächtlicherweise einen Belletristen; einer Dame, die bei ihrer Durchreise den berühmten Mann kennenzulernen wünscht und ihn desfalls besucht, schenkt er seine neue, in lateinischer Sprache geschriebene Dissertation, wovon sie nicht ein Wort versteht; er unterhält die Gesellschaft, welche sich darauf gefreut hatte, ihn recht zu genießen, bei der Abendtafel mit Zergliederung des neuen akademischen Kreditedikts, oder, wenn der Wein dem guten Manne jovialische Laune gibt, mit Erzählung lustiger Schwänke aus seinen Studentenjahren.

Mittwoch, 9. Februar 2011 von Karin S. Wozonig
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Ökogespräch

Der monatliche Salon „Kaffeehausgespräche“, den ich gemeinsam mit dem Sozialwissenschaftler Detlef Thofern veranstalte, wird im Februar im Zeichen des Ecocriticism stehen. Zumindest, wenn es nach mir geht (man weiß bei einem Salon ja nie so genau, was die Gäste daraus machen werden). Mich treibt seit geraumer Zeit die Frage um, welchen Einfluss literarisierte Natur auf das Natur-Verständnis des Lesers/der Leserin hat. Noch interessanter wird es bei literarischen Naturkatastrophen. Ist zu erwarten, dass jemand, der einen Roman liest, in dem es um die Folgen der menschengemachten Klimaveränderung geht, sein Auto abschafft? Mir ist kein Fall bekannt.

Mittwoch, 2. Februar 2011 von Karin S. Wozonig
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Soziobiologie und Literatur

Nach meiner Beschäftigung mit dem Zusammenhang von Hypochondrie und Literatur widme ich mich wieder der evolutionsbiologisch interessierten Literaturwissenschaft. Es handelt sich dabei um einen Trend in der Literaturwissenschaft, der gelegentlich erfreulich eigentümliche und originelle Formulierungen hervorbringt. Diese sind Ergebnis des Versuchs, Literatur mit biologischer Evolution zu erklären. Um das zu bewerkstelligen, erzählen Literaturwissenschaftler die populärwissenschaftlichen Erzählungen der Soziobiologie (also der Biologie des Sozialverhaltens „produzieren und rezipieren von Literatur“) mit eigenen Worten nach. Das kann dann so klingen:

Wir müssen für jedes Verhalten, das sich unter irgendwelchen Umständen über lange Zeit hin in wiederkehrenden Situationen als direkt oder indirekt reproduktiv erfolgreich erwiesen hat, die Verhaltensmöglichkeit in uns vermuten. […] Tatsächlich gibt es noch andere Wünsche, etwa in der Sonne zu sitzen, bei Freunden, in der Nähe hübscher Mädchen oder attraktiver Knaben, und über allem gibt es dann auch den Super-Wunsch, keinen unnötigen Ärger zu haben – all dies sind evolutionär begründete und verankerte Wünsche oder Instinkte oder Triebe oder, wie man am korrektesten sagen würde, Adaptationen, Anpassungen an bestimmte wiederkehrende Umwelt-Herausforderungen. […] Die Polyphonie der Adaptationen (‚Triebe‘) oder auch ihre Kakophonie ist auf Entscheidungen angewiesen, und die Grundstruktur dieser Entscheidungen entstammt dem Bereich der jeweiligen Kultur und der mit ihr verknüpften individuellen Erfahrung.  (Karl Eibl: Über den Zusammenhang der tierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen. [zum ganzen Text auf literaturkritik.de])