Grätz, den 7. Juni
Diesen Morgen passirte ich den Semmering, das Gebirg, welches die Steiermark vom Land Oesterreich trennt. Es war ein herrlicher Anblick. … Fröhliche Landleute mit ihren grünen Hüten, geputzte schäkernde Bauerndirnen wandelten auf der Straße der Frühmesse zu, zu welcher aus den benachbarten Dörfern die Glocke rief. …
Grätz ist ein freundlicher, lieber Ort. Hübsche Frauengesichter und stattliche Männer. –
Erzherzog Johann, einer der seltensten Männer seiner Zeit, ist der Abgott des ganzen Gebirgslandes. … Als Historiker, Botaniker, Geologe, würde er in jeder gelehrten Gesellschaft gewiß als eine der ausgezeichnetsten Erscheinungen glänzen, – im Volke aber ist er als kühner Gemsenjäger und trefflicher Landwirth gepriesen. … Ich kenne viele radicale Lord’s und liberale Professoren, welche sonderbare Gesichter dazu machen würden, müßten sie den Grundsatz der Gleichheit dahin ausdehnen, mit und unter dem Volke zu leben, mit ihm zu entbehren und auf seine Weise sich zu freuen, – wie der Erzherzog es thut. …
Nichts geht über das Wirthshausleben in der Steiermark! – Die kräftigen Männergestalten, mit ihren grünen Hüten und grauen Jagdröcken, mit dem treuherzigen, biedern Ausdruck in Gesicht und Wort, – Frohsinn und Gutmüthigkeit im Blick, aber doch zum Nothfall den silbernen Schlagring an der kräftigen Hand! … Spottet nur, ihr überklugen, intelligenten Nordteutschen, – naserümpfend und diese Länder das teutsche Böotien schimpfend, – spottet der breiten Mundart, des einfachen Köhlerglaubens! Aber glaubt mir, – so hoch ihr verdient geschätzt zu werden, als Männer des Wortes und der That, – so rüstig ihr im Augenblicke der Gefahr Degen und Feder zu führen versteht, – etwas Lebensfrische und Gemüthsoxygenstoff könnt ihr, ohne daß es euch schadet hier einsaugen; – und es wird euch nicht gereuen, legt ihr den gelehrten Philistermantel und die Brillen, die auf eurer Nase sitzen, ab, und böotisirt ein klein Weniges mit, unter den rüstigen, kräftigen, heiteren Böotiern…
[Friedrich Schwarzenberg]: Fragmente aus dem Tagebuche während einer Reise in die Levante, 1837