Virtueller Salon
Der Begleitblog zum literarischen Salon „Kaffeehausgespräche“ ist zurück in der virtuellen Welt: www.kaffeehausgespraeche.de
Der Begleitblog zum literarischen Salon „Kaffeehausgespräche“ ist zurück in der virtuellen Welt: www.kaffeehausgespraeche.de
Mein Lieblingsrezensent Rolf Löchel hat wieder einmal eine Rezension geschrieben, die nach meiner Einschätzung bedeutend interessanter und lesenswerter ist, als das Buch das er bespricht. In dem besprochenen Buch geht es hauptsächlich um den von „den Dekonstruktivisten“ – wer immer das sein mag – verkündeten Tod des Autors, also kein ganz neues Thema und eines, mit dem ich mich aus mehreren Gründen ausführlich beschäftigt habe.
Diese Gründe sind vielfältig. Erstens: Meine literaturwissenschaftliche Sozialisation fand in den 1990er Jahren statt und ich hatte reichlich Gelegenheit, mich zu fragen, wie das mit dem Tod des Autors denn jetzt zu verstehen sei, so ganz rein theoretisch gesprochen. Zweitens: Ich bringe – LeserInnen dieses Blogs dürfte das nicht entgangen sein – einen beträchtlichen Teil meiner Lebenszeit mit toten Autorinnen und einen kleineren mit toten Autoren zu, was durchaus Anlass zum Nachdenken bietet: Die sind tot und ich bin am Leben, was sagt uns das? Und drittens: Im Rahmen eines Forschungsprojekts, das sich mit dem Thema „Literatur und Wissen“ befasst hat, habe ich einen Autor (Thomas Stangl) zu meinem literaturwissenschaftlichen Urteil über einen seiner Romane befragt und er hat freundlicherweise Antworten gegeben. Vorgetragen habe ich meine Fragen bei einer Konferenz, bei der der Autor durch eine Vertreterin gesprochen hat (alle gendertheoretisch informierten DekonstruktivistInnen, und auch die Konstruktivistinnen, müssen bei diesem Szenario vor Neid erblassen). Gedruckt wird diese Befragung in einem Konferenzband, über den ich die LeserInnen dieses Blogs zu gegebener Zeit informieren werde. Kurz gesagt: Das von Rolf Löchel besprochene Buch birgt keine Überraschungen für mich.
Die Rezension hingegen ist absolut zu empfehlen, denn sie bietet einige knackige Antworten auf die Frage „Was heißt und zu welchem Ende studiert man Literaturwissenschaft?“ Und fragen wir uns das nicht alle irgendwann?
Aus dem Tagebuch von Marie von Ebner-Eschenbach, 27. April 1887:
Abends Vorlesung Auguste Wilbrandts bei Ida. Poe Das verrätherische Herz. Villinger Der Eskimo. Bei Marsala. Klaggesang. Marsala wundervoll übersetzt von Betty.
Heute wird wieder einmal der literarische Salon „Kaffeehausgespräche“ stattfinden. Salonherr Detlef hat sich das Thema Kinder- und Jugendliteratur ausgedacht und ich habe gern zugestimmt. Vor kurzem erst habe ich ein Buch von Judith Kerr gelesen („Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“, vom Verlag empfohlenes Lesealter: 14-17 Jahre), das ich noch nicht gekannt habe. Ich gehöre in Bezug auf das Alter definitiv nicht zur Zielgruppe und habe mich mit großem Interesse bei meiner Lektüre beobachtet. Der Abstand zwischen dem impliziten Leser und mir war deutlich zu bemerken und keine Sekunde lang zu vergessen.
Anders ist es mir bei „The Hunger Games“ (dt. „Die Tribute von Panem“, vom Verlag empfohlen ab 12 Jahren) ergangen, einem Paradebeispiel des Marketingcoups „All-age-Literatur“. Für mich liegt die Erklärung für das Funktionieren von Jugendliteratur neuerer Machart in der Dystopie. Und weil die „Kaffeehausgespräche“ nicht einfach nur frei flottierendes Reden sind, sondern auch eine Einleitung haben, in der Anfangs- und Anknüpfungspunkte für die Diskussion geboten werden, werde ich heute im Salon (im Chavis um 19.00) über „The Hunger Games“ sprechen.
Aus dem Tagebuch von Marie von Ebner-Eschenbach, April 1886: „Mit Ida in das Atelier Frln Müllers um Betty Porträt zu sehen. Stirn Augen und Nase vortrefflich. Die geistige Ähnlichkeit gut getroffen.“
Manchmal lese ich Krimis, z.B. Klassiker wie Agatha Christie, auch Martha Grimes (interessante Figuren) oder so etwas wie Robert Galbraiths „Cuckoo’s Calling“ (etwas zu lang aber gut gemacht, und ich bin gespannt, wie es mit Cormoran Strike weitergehen wird – für Juni ist die Fortsetzung angekündigt). Zuletzt habe ich mehrere Bücher von Nevada Barr gelesen, deren erfolgreichste Figur, Anna Pigeon, ein park ranger ist: Wenn die Handlung zu dünn oder zu abstrus wird, kann man sich immer noch über die Landschaftsbeschreibungen freuen.
Wegen des Lokalkolorits habe ich gerade „Mordswald“ von M. C. Poets gelesen, ein Buch, dessen öffentliche Existenz sich dem Selfpublishing-Programm von Amazon verdankt. Der (wenn auch nicht ganz überzeugend motivierte) Showdown des Buchs zeigt, dass M. C. Poets bei der Dan-Brown-Lektüre gut aufgepasst hat, und die weibliche Hauptfigur mit ihrem (innerfiktional realen) „Familienroman“ im Freudschen Sinn und dem Kickboxtraining hat auch bekannte unterhaltungsliterarische Vorbilder. Denen wird sie mit ein bisschen mehr psychologischer Profilierung wohl auch bald gerecht werden.
Unterhaltungsliteratur von Unterhaltungsliteratur lesenden Menschen, im Selbstverlag publiziert und über eine Plattform als E-Book zu beziehen – so wirds in Zukunft gehen.
Manchmal beschäftige ich mich mit Gegenwartsliteratur. Zum Beispiel im Rahmen eines Workshops, in dem es um den Buchmarkt gehen wird, um Neuerscheinungen, um Informationsquellen, die es ermöglichen, Spreu vom Weizen zu trennen, um Literaturkritik (ein Thema, das ich besonders interessant finde) etc.
In ein paar Wochen werde ich mich mit dem in diesem Blog schon öfter erwähnten Roman „Der einzige Ort“ von Thomas Stangl bei einer Konferenz beschäftigen, die selbstbewusst den Titel „Literatur und Wissen“ trägt. Hier gibt es das Programm als PDF.
Pünktlich zu meiner Rückkehr an den Ort der ersten Kaffeehausgespräche ist der Blog meines Salons „gehackt“ worden und deshalb habe ich diesen virtuelle Versammlungsraum vorübergehend zusperren lassen. Das macht aber nichts, geht es bei der Veranstaltung doch vor allem um Gespräche über Bücher und alles was dazu gehört, auch um Kaffee, Kuchen und Wein, und um den persönlichen Austausch. Aus Davis, CA, höre ich, dass das nächste Kaffeehausgespräch in der wirklichen Welt bereits am kommenden Freitag stattfinden soll. Die Wiederaufnahme der Kaffeehausgespräche in Hamburg wird es am 20. Februar geben.
Die Kaffeehausgespräche waren eine Idee der großen Leserin Erika Werner, gestorben am 28. Jänner 2013. Sie hat mit ihrem Verein S.T.I.L. e.V. ihre Vorliebe für interessante Sprachkunst mit anderen geteilt. Didaktische Absichten hatte sie dabei keine. Am 20. Februar soll im Salon, abgehalten im Kulturcafé Chavis, im Andenken an Erika Werner das Thema „Literaturvermittlung“ im Vordergrund stehen. Dem Neustart des Salons sehe ich mit Spannung entgegen. Sollten Sie an einer Einladung interessiert sein, lassen Sie sich per eMail in den Newsletter der Veranstaltung eintragen. So viel virtuelle Welt muss sein.
Wir feiern am 30. Dezember Betty Paoli’s Geburtstag – eigentlich den 71t; offiziell (Dank der Ungenauigkeit der Literaturgeschichte) den 70t.
Marie von Ebner-Eschenbach an Paul Heyse am 4. 12. 1885
Das Rezensionsforum literaturkritik.de, dessen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ich viele Einsichten in das Thema Literaturkritik und Internet verdanke, bringt mir zwei Bücher zur Kenntnis, woraus sich etwas über Dilettantismus [Duden: Di|let|tan|tis|mus, der; – (laienhafte Beschäftigung mit etwas, Liebhaberei; Stümperhaftigkeit)] lernen ließe. Und zwar durchaus Unterschiedliches. Der Dilettantismus ist gerade im Zusammenhang mit der im Internet verbreiteten Literaturkritik besonders interessant (so finde ich, wie Sie hier lesen können), aber auch im Zusammenhang mit dem Schreiben von Literatur oder Geschichte.
Dietmar Jacobsen schreibt auf literaturkritik.de über ein Buch von Joachim Zelter mit dem Titel „Einen Blick werfen. Literaturnovelle“ und konstatiert: „Über schriftstellerischen Dilettantismus als Zeitphänomen schreibt Joachim Zelter alles andere als dilettantisch.“ Nun schreibt Zelter aber gar nicht über schriftstellerischen Dilletantismus (wobei erst einmal geklärt werden müsste, was den Dilettanten vom Professionisten des literarischen Schreibens unterscheidet), sondern darüber, dass zu einem gut verkäuflichen Buch heute mehr denn je ein vermarktbares Schriftstellerleben gehört. Zelter erfindet dafür einen der deutschen Sprache nicht mächtigen (man könnte auch sagen: sprachlich stümpernden), auf dem literarischen Markt erfolgreichen Kamelreitlehrer – eine originelle literarische Behandlung der Auferstehung des Autors und der Büchervermarktung.
Das zweite Buch, auf das mich literaturkritik.de aufmerksam gemacht hat, stammt von Bernhard Viel und trägt den Titel „Egon Friedell. Der geniale Dilettant“. Über dieses Buch schreibt Georg Patzer ausführlich und zitiert dabei auch Friedell:
Nur der Dilettant, der mit Recht auch Liebhaber, Amateur genannt wird, hat eine wirklich menschliche Beziehung zu seinen Gegenständen, nur beim Dilettanten decken sich Mensch und Beruf; und darum strömt bei ihm der ganze Mensch in seine Tätigkeit und sättigt sie mit seinem ganzen Wesen, während umgekehrt allen Dingen, die berufsmäßig betrieben werden, etwas im üblen Sinne Dilettantisches anhaftet: irgendeine Einseitigkeit, Beschränktheit, Subjektivität, ein zu enger Gesichtswinkel.
Was Patzer nicht verrät: Dieses Zitat stammt aus Friedells „Kulturgeschichte der Neuzeit“ und gilt „dem jüngsten kulturhistorischen Versuch, nämlich unserem eigenen“. Friedell konkretisiert:
Was aber im Speziellen die Kulturgeschichte betrifft, so ist es schlechterdings unmöglich, sie anders als dilettantisch zu behandeln. Denn man hat als Historiker offenbar nur die Wahl, entweder über ein Gebiet seriös, maßgebend und authentisch zu schreiben, zum Beispiel über die württembergischen Stadtfehden in der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts oder über den Stammbaum der Margareta Maultasch oder, wie der Staatsstipendiat der Kulturgeschichte Doktor Jörgen Tesman, über die brabantische Hausindustrie im Mittelalter, oder mehrere, womöglich alle Gebiete vergleichend zusammenzufassen, aber auf eine sehr leichtfertige, ungenaue und dubiose Weise. Eine Universalgeschichte läßt sich nur zusammensetzen aus einer möglichst großen Anzahl von dilettantischen Untersuchungen, inkompetenten Urteilen, mangelhaften Informationen.
Was Friedell hier demonstriert ist, dass dem dilettierenden Kulturhistoriker auch eine literarische Figur etwas gelten muss (Jörgen Tesman ist eine Figur von Henrik Ibsen).