Samstag, 23. Februar 2013 von Karin S. Wozonig
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Die Dichterin und ihre Germanistin

Frisch aus der Druckerpresse kommt der Tagungsband „Der Dichter und sein Germanist“, der die Konferenz gleichen Titels zu Ehren des Wiener Literaturwissenschaftlers Wendelin Schmidt-Dengler (1942-2008) dokumentiert. Ich habe dafür den Beitrag „Self-fashioning und Anekdote. Betty Paoli und ihre Biographien“ geschrieben und freue mich, den jetzt gedruckt zu sehen. (Ich freue mich immer, Texte von mir gedruckt zu sehen, immer allerdings mit einer mehr oder weniger langen Anlaufzeit, in der ich erst einmal darüber hinwegkommen muss, dass ich es hätte besser machen können. Man hätte es immer besser machen können, wenn einem anders immer schon als besser gilt, das ist der Nachteil der vielen Möglichkeiten).

Dass ich die Gelegenheit bekommen habe, diesen Text zu schreiben, freut mich aus mehreren Gründen. Erstens ist mir Schmidt-Dengler aus meinem Studium als besonders belesener und humorvoller Germanist im Gedächtnis geblieben. Zweitens war es eine interessante Konferenz und die Veranstalter(innen) haben ein vielfältiges Programm zusammengestellt. Ich habe viel gelernt. Und drittens: Ich habe die Konferenz, meinen Beitrag und die Gespräche darüber dazu genützt, über das Schreiben einer Betty-Paoli-Biographie nachzudenken. Dabei habe ich mich gefragt, wie das denn so sei mit der Erfindung versus der Dokumentation eines Lebens.

Soweit ich sehen kann, erzählen alle, die den Luxus des ungestörten Nachdenkens und die Freiheit der Entscheidung haben, sich und anderen eine Geschichte ihres Lebens ganz nach Bedarf und Bedürfnis, mit Auslassungen, Hinzufügungen und Verdrehungen. Ich finde das gut, denn das verhindert, dass man sich unsympathisch wird. Stellen Sie sich vor, Sie würden sich über jede Ihrer Handlungen und Entscheidungen aufrichtig Rechenschaft geben und alle Ihre Motive unverhohlen vor sich selbst und anderen ausbreiten. Ich vermute, Sie würden sich unsympathisch finden und meiner Erfahrung nach sind Menschen, die sich selbst unsympathisch finden überdurchschnittlich anstrengend.

Aus dem habituellen Erzählen, das heißt Konstruieren der eigenen Biographie folgt, dass Autobiographien üblicherweise stark fiktionalisiert sind, in dem Sinne, dass ihre Bestandteile in eine gute Geschichte verpackt werden, mit geringem Gewicht auf faktischen Kausalzusammenhängen. Was aber, wenn man auf einer rudimentären (und notwendigerweise fiktionalisierten) Autobiographie bei spärlicher Dokumentenlage aufbauend die Biographie eines anderen Lebens erzählen möchte? Wem soll diese Erzählung passen? Der Person zu der die Biographie gehört? Den projektierten Leserinnen und Lesern? Der Autorin der Biographie?

Um die Sache noch komplizierter zu machen, spreche ich (hier im Blog und in meinem oben erwähnten Beitrag für den Sammelband „Der Dichter und sein Germanist“) über die Biographie einer Person, nämlich Betty Paoli, die subjektive Lyrik mit einem lyrischen Ich im Zentrum geschrieben hat, das gut und mit Grund (und wenn wir die Literaturwissenschaftlerregel Nummer eins weglassen, die besagt dass das lyrische Ich nie, nie, nie der Autor/die Autorin ist) für die Stimme der Dichterin selbst gehalten werden kann; und von ihren Zeitgenossen und Freunden gehalten wurde. Die Persona (das lyrische Ich) vieler Gedichte Paolis und die Dichterin teilen Erlebnisse und Erfahrungen, das zumindest macht uns Paoli glauben. Bekenntnis- und Erlebnislyrik ist die Kunst der poetischen Authentizität. Sie ist das Paradox der künstlichen Echtheit. Und Betty Paoli beherrschte diese Kunst, die für eine Biographie zu nützen wäre. Das habe ich vor. Über das Resultat werde ich in diesem Blog berichten.

Mittwoch, 13. Februar 2013 von Karin S. Wozonig
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Salongespräche gehen weiter

Nächste Woche werde ich wieder ein Kaffeehausgespräch leiten, oder eigentlich: Ich initiiere es nur und gebe eine kurze Einleitung in das Thema des Tages. Das Gespräch selbst folgt dann seiner eigenen Dynamik.

Die Idee zu diesem Salon stammt ursprünglich von Erika Werner. Sie hat mit den Lesungen mit Musik, die sie für ihren Verein S.T.I.L. e.V. gestaltet hat, kleine und größere Veranstaltungsorte in Hamburg „bespielt“. Darunter war ein Lokal mit dem Namen Heile Welt, etwas versteckt in einem Hinterhof auf der Weidenallee. Erika mochte den Ort und überlegte sich, wie man ihn bekannter machen und für stärkeren Zulauf sorgen könnte. Eine regelmäßige Veranstaltung wäre eine gute Idee, meinte sie. Also erfanden wir die Kaffeehausgespräche. Die Heile Welt ist trotzdem untergegangen. Aber im Chavis haben wir einen passenden Ort für die angeregten Unterhaltungen über Literatur, Bücher, das Wetter und das Leben gefunden. Und derzeit ist es die Konditorei in Davis, die den Rahmen und den Marmorkuchen zum Salon bietet.

Professionell Literatur zu lesen verstellt manchmal den Blick auf den schieren Unterhaltungswert, den sie haben kann. Im Salon über Bücher zu sprechen, ohne den Anspruch, die „angemessene“ Interpretation zu liefern oder alle Feinheiten der Sprache zu ergründen, und das Reden über Literatur ganz ohne Vermittlungsabsicht haben mir viele Einsichten in mein Feld beschert. Und ich habe nicht nur Bücher, sondern auch interessante Menschen kennen gelernt, im Salon. Deshalb: Er geht weiter, am 22. Februar.

Montag, 4. Februar 2013 von Karin S. Wozonig
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Verloren

Erika Werner, lange Zeit „Lektorin für schöne Literatur“ und Organisatorin von Lesungen bei den Hamburger Bücherhallen, Gründerin von S.T.I.L. e.V. und Ideengeberin für die Kaffeehausgespräche, ist tot. „Hamburgs Grande Dame der Literatur“ (© Die WELT) war eine Literaturkennerin und eine Gesprächspartnerin, von der immer überraschende und erhellende Einsichten zu erwarten waren.

Ihre Moderationen bei den S.T.I.L. e.V.-Veranstaltungen waren Ausdruck ihrer Meinung, dass die Literatur zum Leben gehört wie gutes Essen und Trinken. Erika Werner war der Überzeugung, dass es am besten sei, zu „lesen, was dasteht“ – ein Motto, dem sie einmal eine ganze Veranstaltung gewidmet hat.

Erika Werner hat die Kunst des Lesens im besten Sinne und mit all ihrer Komplexität beherrscht. Sie wusste, dass, wer einen Text verstehen will, sich von ihm etwas sagen lassen muss; dass der Vorgang des Lesens Bedeutungen gleichzeitig herstellt und sie auflöst.

Die Literatur ist um eine große Leserin ärmer.