Sonntag, 5. August 2018 von Karin S. Wozonig
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Thalhof-Sommertheater und Ebner-Eschenbachs zielbewusstes Wollen

Marie von Ebner-Eschenbachs Werk wieder bekannt zu machen, ist ein Verdienst und dafür ist fast jedes Mittel recht, und sei es, dass man die Erzählung „Mašlans Frau“ (1897) dramatisiert auf die Bühne bringt und praktisch im selben Atemzug mit einem neuen Stück von Anna Poloni spielt („Tiefer als der Tag“– ähnliche Figurenkonstellation, ähnliche Konflikte, aber halt doch ganz, ganz anders). So geschehen am Thalhof und noch bis zum 1. September.

Intendantin und Autorin Anna Maria Krassnigg traut sich was und was dabei herauskommt, ist sehenswert. Voriges Jahr hat sie mit der Dramatisierung von Ebner-Eschenbachs „Die Totenwacht“ (1892) unter dem Titel „Am Ende eines kleinen Dorfes“ ein dickes Brett gebohrt, dieses Jahr macht sie damit weiter. Wenn Krassnigg mit ihrer Ebner-Eschenbach-Trilogie durch sein wird (ab 9. 8. ist „Das tägliche Leben“ zu sehen), wird sie drei der beeindruckendsten Texte aus dem Prosawerk Ebner-Eschenbachs unters Sommertheatervolk gebracht haben.

Die Schauspieler bzw. die Schauspielerin der Thalhofer Wortwiege leisten bei „Mašlans Frau“ ganze Arbeit und dass das am Sterbebett Mašlans aufgerollte Beziehungsdrama nicht langweilig wird, ist dem demonstrativ abgeklärten Arzt mit weichem Kern (gespielt von Martin Schwanda) und dem idealistischen Pfarrer mit böhmischer (?) Sprachfärbung (Daniel F. Kamen) zu verdanken. Mir war die Gstrein in der titelgebenden Rolle wieder zu g‘fühlig, aber dass sie spielen kann, das steht fest. Jens Ole Schmieder als Mašlan hingegen hat seinen schauspielerischen Glanzpunkt erst als aus dem Bauernschrank kippende Leiche. Höchst gelungen sind die Kostüme von Antoaneta Stereva und auch das Bühnenbild von Lydia Hofmann ist stimmig.

Dass jetzt ausgerechnet ihre Erzählungen auf die Bühne gebracht werden, ist ein bisschen seltsam, bei der durch Überambition und Kritik verhinderten Bühnenautorin Ebner-Eschenbach, über deren Werden, Leben und Denken Krassnigg und Daniela Strigl geistvoll und kurzweilig gesprochen haben.

Krassnigg hat für ihr anspruchsvolles Sommertheater drei Texte gewählt, die bei Ebner-Eschenbachs erster und wichtigster Kritikerin Betty Paoli wahrscheinlich unter den (mit sittlichen Vorbehalten) zu lobenden wären und die Paolis Urteil, gefällt anlässlich des Erscheinens der „Neuen Erzählungen“, bestätigen:

Marie v. Ebner ist mehr als eine talentvolle Schriftstellerin, sie ist durch und durch eine echte Künstlerin, die nicht mit der Hoffnung auf zufälliges Gelingen, sondern mit zielbewußtem Wollen an die Arbeit geht. Wohl wissend, daß nur mittels der Form das Schöne uns bewußt werden kann, pflegt sie dieselbe mit einer bis ins Kleinste gehenden, sich aber nie ins Kleinliche verlierenden Sorgfalt. Ihr Stil ist von seltener Reinheit, Frische und Natürlichkeit, die Führung des Dialogs so lebendig, daß sich in kurzen, abgerissenen Sätzen oft ein ganzer Charakter ausspricht. Hier hat sich einmal ein großes Talent mit einem seiner würdigen Gemüt zusammengefunden.
Betty Paoli, „Presse“, 24. Juni 1881

Am Donnerstag folgt die Premiere von „Das tägliche Leben“, gekoppelt mit Theodora Bauers Stück „Am Vorabend“.

Montag, 7. August 2017 von Karin S. Wozonig
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Sommertheater mit Blick auf patriarchale Brutalität

Das hätte schief gehen können: Die Stimme aus dem Off in der grandiosen Erzählung „Die Totenwacht“ von Marie von Ebner-Eschenbach wird dramatisch in der toten Mutter personifiziert, und gemeinsam mit der nicht korrumpierbaren vergewaltigten Protagonistin Anna enthüllt sie die patriarchale Brutalität in der ärmlichen Behausung. Die befindet sich „Am Ende eines kleinen Dorfes“, so der Anfang der Erzählung, den die Regisseurin Anna Maria Krassnigg ihrer Produktion am Thalhof in Reichenau als Titel mitgibt.

Doina Weber spielt die tote Mutter. Zu Beginn des Stücks liegt sie aufgebahrt in einer Art Fensternische. Die Requisiten-Fenster (stammen die eigentlich von der Thalhof-Baustelle?) auf und die echten Fenster hinter der Bühne des Theaterraums sind, bis hin zum abschließenden cleveren Regieeinfall, ihre props. Durch diese Fenster wirft sie Blicke in die Vergangenheit mit dem saufenden, prügelnden Vater und auf das Geschehen der Gegenwart, in der Anna auf Georg trifft, den reichen Nachbarssohn, der sie vergewaltigt und mit dem dabei gezeugten Kind alleingelassen hat, seine Vaterschaft abstreitend.

Georg kommt, um Anna in der Nacht der Totenwacht zu sagen, dass ihre Mutter ihm verziehen habe – bis kurz vor ihrem Tod hat sie ihm noch gedroht, ihn beim Herrgott zu verklagen – und er jetzt bereit sei, Anna zu heiraten. Petra Gstrein gibt eine für meinen Geschmack etwas gefühlige, aber überzeugende Anna. Auch das hätte schief gehen können: eine Erzählung der immer an ihrem Deutsch feilenden Autorin Marie von Ebner-Eschenbach, deren Figuren, wenn sie am Ende eines kleinen Dorfes (in der Erzählung übrigens im Marchfeld) wohnen, einen literarisierten Dialekt sprechen, als Teil-Mundartstück zu inszenieren. Aber beide Ideen gehen beinahe restlos auf: die im Leben „übergute“ und in der wesentlichen Sache ahnungslose tote Mutter als Erzählerin und die emanzipierte, starke Anna als eigentlich weichherzige Tirolerin. Da steht quasi ein Aphorismus Ebner-Eschenbachs auf der Bühne: „Wir werden vom Schicksal hart oder weich geklopft, es kommt auf das Material an.“

Von der Erzählung fehlt übrigens in dieser Inszenierung praktisch kein Wort und das spricht für beide. Nicht ganz so gelungen ist die Darstellung der rhetorischen Kargheit von Georg, in der Erzählung das Ergebnis einer ambivalenten Mischung aus Arroganz, Verlegenheit und Unbeholfenheit. Während die popkulturelle Assoziation bei der mit Totenbinden umwickelten Mutter zum Film „Die Mumie“ gleich wieder verfliegt – übrig bleibt vielleicht die religiöse Anspielung auf den von den Toten erweckten Lazarus –, sind die Schnaufer und Grunzer von Georg, gespielt von Jens Ole Schmieder, die sehr an Arnold Schwarzenegger als „Conan der Barbar“ erinnern, nur schwer auszublenden oder als Zeichen mangelnder Eloquenz zu integrieren. Insgesamt ist das Stück aber erstklassiges, gewagtes Sommertheater.

Literarische Steilvorlage

In der Umgebung von Reichenau kann man gut wandern. Das hat schon der große, schöne Burgschauspieler Ludwig Gabillon gewusst, der 1854 über Reichenau und das Höllental nach Mariazell gegangen ist, wie wir aus einem Brief an seine sehr enge Freundin Betty Paoli wissen. Heutzutage kann man vorher, nachher oder stattdessen auf der Terrasse vom Knappenhof sitzen und die Aussicht bewundern; oder die gastfreundliche Gelassenheit der Chefin.

Ein gelungener Abschluss eines Tages in Reichenau und Umgebung könnte zum Beispiel auch ein Besuch im Thalhof sein. Dort gibt es ein feines Kulturprogramm, gestaltet vom „Salon 5“ unter dem vertrauenerweckenden Motto „in plot we trust!“; zum Beispiel einen Soloabend mit Texten von Virginia Woolf („Der Fels und die Wellen“), eine beeindruckende schauspielerische Leistung von Petra Gstrein. Aber das haben Sie verpasst, zumindest im Thalhof.

Was Sie auf jeden Fall im Thalhof sehen können, ist die beklemmend gute Erzählung „Die Totenwacht“ von Marie von Ebner-Eschenbach, entstanden 1892, in dramatisierter Form. Regie führt Anna Maria Krassnigg, Premiere ist am 4. August. Petra Gstrein – wenn sie immer so intensiv spielt, wie in dem Virginia-Woolf-Monolog, gern auch „die Gstrein“ – spielt Anna, eine Frau, die sich weigert, ihren Vergewaltiger zu heiraten. Das ist nur eine mögliche Interpretation der Gewalterfahrungen, von denen die Figur geprägt ist. Eindeutig ist, dass Anna nicht bereit ist, sich für äußerlich bequemere Bedingungen, z.B. ein schönes Haus, innerlich zu verbiegen.

Sicher interessant wird „Raxleuchten“, eine „szenisch-musikalische Reise durch 200 Jahre Thalhof-Literatur“, zusammengestellt von Evelyne Polt-Heinzl, Mitherausgeberin der neuen Ebner-Eschenbach-Leseausgabe. Premiere von „Raxleuchten“ ist am 6. August. Auch ein Salongespräch mit Polt-Heinzl wird es geben.

Auf Marie von Ebner-Eschenbach trifft wohl auch zu, was im Programm des Thalhofs mit einem Rax-steilen Superlativ über Virginia Woolf gesagt wird: Ihre unausweichlichste Beziehung war die zu ihrem eigenen Schreiben.

Sonntag, 27. April 2014 von Karin S. Wozonig
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Lesung bei Ida Fleischl

Aus dem Tagebuch von Marie von Ebner-Eschenbach, 27. April 1887:

Abends Vorlesung Auguste Wilbrandts bei Ida. Poe Das verrätherische Herz. Villinger Der Eskimo. Bei Marsala. Klaggesang. Marsala wundervoll übersetzt von Betty.

Sonntag, 21. Oktober 2012 von Karin S. Wozonig
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Walter Scott, Übersetzungsvergleich

In den beiden letzten Blogeinträgen habe ich die erfolgreiche Rezitation des „Hochländischen Kriegslieds“ von Betty Paoli durch den Schauspieler Josef Lewinsky erwähnt. Die Neue Freie Presse schreibt darüber:

Als er (Lewinsky) das hochländische Kriegslied mit so zündender Gewalt des Wortes und der Geberde gelesen hatte, daß wir fast die nervenaufregenden Klänge des altschottischen Pibrochs zu hören meinten, brach ein Beifallssturm los, der erst endete, als der Vorleser die Wiederholung des Gedichtes begann.

Heute finden Sie hier dieses Gedicht in drei Fassungen: das Original von Walter Scott, eine Übersetzung von Ferdinand Freiligrath und – als erstes – die Bearbeitung von Betty Paoli.

Betty Paoli: Hochländisches Kriegslied aus dem XV. Jahrhundert

Pibroch von Donald Dhu,
Schalle! ertöne!
Wecke aus träger Ruh‘
Clan Donald’s Söhne!
Kommet in Eil‘ heran,
Kommt im Vereine,
Kriegerisch angethan,
Herr’n und Gemeine!

Kommt aus der Thäler Grund,
Kommt von den Höhen!
Seht unser Banner, bunt,
Trutziglich wehen!
Kommt, von dem Plaid bedeckt,
Herzen voll Treue!
Tapf’re, die nichts erschreckt,
Zeigt euch aufs neue!

Laßt eu’rer Heerden Schaar
Achtlos entweichen,
Öde den Traualtar,
Grablos die Leichen!
Lasset den Hirsch, das Reh,
Netze und Schlingen!
Muthiger gilt’s als je
Schwerter zu schwingen!

Kommt wie der Sturm, wenn er
Wälder zersplittert!
Kommt wie das grimme Meer,
Wenn es gewittert!
Kommet, o kommet All‘!
Kommt zum Gefechte!
Häuptling und Lehnsvasall,
Freie und Knechte!

Kommen schon seh‘ ich sie,
Waffen erblitzen!
Feder und Heideblüh‘
Auf ihren Mützen!
Rasch auf die Feinde zu!
Spart nicht mit Streichen!
Pibroch von Donald Dhu,
Schmett’re das Zeichen!

Walter Scott: Pibroch of Donuil Dhu (1816)

Pibroch of Donuil Dhu,
Pibroch of Donuil,
Wake thy wild voice anew,
Summon Clan Conuil.
Come away, come away,
Hark to the summons!
Come in your war array,
Gentles and commons.

Come from deep glen, and
From mountain so rocky,
The war-pipe and pennon
Are at Inverlochy.
Come every hill-plaid, and
True heart that wears one,
Come every steel blade, and
Strong hand that bears one.

Leave untended the herd,
The flock without shelter;
Leave the corpse uninterr’d,
The bride at the altar;
Leave the deer, leave the steer,
Leave nets and barges:
Come with your fighting gear,
Broadswords and targes.

Come as the winds come, when
Forests are rended;
Come as the waves come, when
Navies are stranded:
Faster come, faster come,
Faster and faster,
Chief, vassal, page and groom,
Tenant and master.

Fast they come, fast they come;
See how they gather!
Wide waves the eagle plume,
Blended with heather.
Cast your plaids, draw your blades,
Forward each man set!
Pibroch of Donuil Dhu,
Knell for the onset!

Ferdinand Freiligrath: Pibroch of Donald Dhu

Donuil Dhu’s Kriegsgesang!
Schlachtlied von Donuil!
Töne mit wildem Klang,
Wecke Klan Conuil!
Kommt herbei, kommt herbei;
Auf zum Gefechte!
Horcht auf das Feldgeschrei,
Herren und Knechte!

Meidet die Schlucht, so wild,
Felsige Bahnen!
Hört, wie die Pfeife schrillt!
Schaut auf die Fahnen!
Hügel-Plaid, Hochlands-Schwert,
Kommet hernieder!
Und wer sie trägt und ehrt,
Muthig und bieder!

Lasset die Braut, das Weib!
Lasset die Heerde!
Lasset des Todten Leib
Ueber der Erde!
Lasset die Jagd, den Teich,
Barken und Schlingen!
Bringt euer Kriegeszeug,
Tartschen und Klingen!

Kommt, wie der Sturm kommt, wenn
Wälder erzittern!
Kommt, wie die Brandung, wenn
Flotten zersplittern!
Schnell heran, schnell herab,
Schneller kommt Alle,
Häuptling, und Bub‘ und Knapp‘,
Herr und Vasalle!

Seht, wie sie kommen! seht,
Wie sie sich schaaren!
Haidkraut im Winde weht,
Feder des Aaren!
Weg den Plaid, zieht das Schwert!
Vorwärts, ihr Leute!
Donuil Dhu’s Kriegsgesang
Töne zum Streite!

Montag, 8. Oktober 2012 von Karin S. Wozonig
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Kontinuität bei Programm und Publikum

Josef Lewinsky, einer der bedeutendsten Burgschauspieler aller Zeiten und ein Protegé Betty Paolis, trat wie im vorigen Blogeintrag berichtet, 1869 mit Gedichten Paolis im alten Musikvereinssaal auf. Das war eine wirksame Werbetour für Paolis Gedichtband „Neueste Gedichte“. Lewinsky, ein großer Rezitator (hier können Sie ihn hören), nahm einige Gedichte Paolis in sein Dauer-Programm auf. 1882 trat er in Baden – wieder vor distinguiertem Publikum – mit einigen Paoli-Gedichten auf, darunter das schon 1869 begeistert aufgenommene „Hochländische Kriegslied“. Das Badener Bezirks-Blatt berichtet:

Lewinsky-Vorlesung. … Die von Herrn Lewinsky selbst getroffene Wahl des Programmes erwies sich als eine vortreffliche und wohlberechtigte, und steigerte sich der Enthusiasmus von Nummer zu Nummer. Die Gedichte von Paoli, u. z. „Der Minotaurus“, „Ich dien‘“, „Das Entscheidende“, „Nimm dich zusammen“, „Morituri te salutant“ (Die Todgeweihten grüßen Dich) und „Hochländisches Kriegslied“ bildeten die Einleitung des Abends … Wenn Herr Lewinsky von seinem durch einen Lampen-Dualismus beleuchteten erhöhten Standpunkte einen Blick in den dichtgefüllten Saal geworfen hat, so wird sein Auge gewiß einer höchst distinguirten Gesellschaft begegnet sein, von welcher die Vertreterinnen des schönen Geschlechtes, gewiß ihm zu Ehren, sogar in grand toilette erschienen waren.

Betty-Paoli-Lesung vor distinguiertem Publikum

Am 11. März 1869 veranstaltete der Hofschauspieler Josef Lewinsky eine Lesung mit Gedichten von Betty Paoli. Die Auswahl der Gedichte zeugt von Paolis breitem literarischem Interesse in den späteren Jahren ihres Schaffens. Nach drei sehr erfolgreichen Gedichtbänden in spätromantisch-weltschmerzlicher Tradition in den 1840er und 1850er Jahren wandte sie sich der schwierigen Kunst des Huldigungsgedichts, literarischen Übersetzungen (das unten erwähnte „Hochländische Kriegslied“ basiert auf einer Vorlage von Walter Scott) und der Ballade zu. Die in der Lesung vorgetragenen Gedichte wurden in Paolis Gedichtsammlung „Neueste Gedichte“ (Wien 1870) aufgenommen.

Zur Vorlesung der neuesten Gedichte Betty Paoli’s durch den Hofschauspieler J. Lewinsky hatte sich gestern Abends im Musikvereinssaale ein sehr zahlreiches und sehr distinguirtes Auditorium eingefunden. … Unter den zehn Sonetten zündeten besonders die beiden: „An Heinrich Anschütz“, „Unsere Zeit“, ein echt modernes, körniges Gedicht, und „Treue“. Ebenso fein gedacht als gelungen durchgeführt sind die zwei elegischen Dichtungen: „An Julie Rettich“, die einstens intimste Freundin der Dichterin. In der zweiten Abtheilung erregte das Gedicht: „Hochländisches Kriegslied“ durch seine lebhafte markige Schilderung einen solchen Beifallsturm, daß es wiederholt werden mußte. Gleicher Anerkennung hatten sich auch die übrigen Gedichte, insbesondere die drei epischen: „Rabbi Löw“ (talmudische Sage), „Nadara“ (indische Legende) und „Andreas Baumkircher“, ein historische Gedicht aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, zu erfreuen.
Die Presse, 13. März 1869

Donnerstag, 15. April 2010 von Karin S. Wozonig
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Wohltätigkeit gegen Zensur

Am 3. Mai gab man an der Wien zum Besten der barmherzigen Schwestern Zacharias Werner’s Vierundzwanzigsten Februar. Werner ist hier ganz und gar verboten, allein bei Vorstellungen zu wohlthätigen Zwecken setzt man es durch, sonst verbotene Sachen zu bringen, die natürlich schon um des Reizes am Verbotenen willen am besten ziehen. Man hat bei einer solchen Veranlassung sogar einmal die Räuber ganz unverkürzt und unverkümmert gegeben.

So brachte man denn Werner’s Februar zum Vorschlag. Der Bischof meint, er fände darin nichts Anstößiges. Die Kaiserin Mutter ließ den Censor rufen und sagte ihm dies. Der Censor äußerte, der Bischof müsse es wohl nicht verstehen, worauf die Fürstin meinte, so sei zu hoffen, das Publikum werde es noch weniger verstehen. […]

Außerdem füllten den Abend ein Vaudeville von Holtei, die weiblichen Drillinge, in welchem er selbst spielte und Frln. Neumann vom Burgtheater die Hauptrolle hatte, – und ein Scenengemengsel ohne Zusammenhang und Verstand von Nestroy, der selbst darin ein nettes Quodlibet sang.

Notiz. Ein Theaterabend in Wien. Brieflich. In: Zeitung für die elegante Welt. 97, 21. Mai 1842

Freitag, 15. Januar 2010 von Karin S. Wozonig
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Charlotte Wolter spielt Grillparzer

Aus dem Tagebuch von Marie von Ebner-Eschenbach, 15. Jänner 1867:

Grillparzers Geburtstag. Ich fand ihn heiter und angeregt. Frl. Wolter schickte ihm einen prachtvollen Strauß und ihr Bild; es schien ihn sehr zu freuen. Am Abend Sappho; die Wolter übertraf sich selbst; sie hat vielleicht noch nie so herrlich gespielt, wie an dem Abend.

Montag, 11. Januar 2010 von Karin S. Wozonig
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Schauspielerinnen und Bürger

Für die Schauspielerinnen der Hof- wie der Vorstadttheater gilt: Sie befinden sich innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft des neunzehnten Jahrhunderts in einem Dilemma: […] Ihr Beruf macht es nötig, dass sie zwischen bürgerlichem, weiblichem Wohlverhalten und ihrer eigenen Ausnahmestellung aufgrund ihrer bezahlten, öffentlichen Berufstätigkeit vermitteln, dass sie sozusagen zwischen Normerfüllung und Normbruch lavieren. […] Der Aufstieg des Bürgertums im neunzehnten Jahrhundert, zu dem unabdingbar die bürgerlich definierte moralische und kulturelle Integrität gehört, macht dieses Problem der Schauspielerin aber zusätzlichen kompliziert: Die soziale Definition (und Selbstdefinition) der Schauspielerin wird ambivalent, denn ihre Kunst des Rollenspiels zählt nun auch im Rahmen des bürgerlichen Zusammenlebens zu den erstrebenswerten „soft skills“. Die Darstellungskunst überlagert sich mit einer bürgerlichen Alltagskompetenz. „Soziale Theatralität“ durchdringt jeden Bereich der bürgerlichen Gesellschaft, das Spielen der richtigen Rolle innerhalb der Familie, der sozialen Schicht, des Berufsumfeldes etc. ist für die bürgerliche Existenz unabdingbar. Schauspielerinnen (und Schauspieler), die die Integration in die bürgerliche Gesellschaft anstreben, spielen dauerhaft zwei Rollen und ihre bürgerliche Privatrolle wird, parallel zur Zunahme der Bedeutung des Bürgertums als Publikum […] im Laufe des 19. Jahrhunderts immer wichtiger.

Karin S. Wozonig: Betty Paoli und die schönen Frauen. In: NESTROYANA. Blätter der Internationalen Nestroy-Gesellschaft. 29. Jahrgang 2009, Heft 1–2. 72-81.

Brief von Carl von Lewinski an Josephine von Wertheimstein

Brünn, 11. Jänner 1866 … Die edelste Seele der Dorotheergasse und einiger anderer Welttheile ist auch öfter so gut, mich au courant zu halten über wichtige Vorkommnisse in der heiligen Stadt Wien, in welcher der Geist der Verneinung, i. e. des Wolterianismus bedenklich zuzunehmen scheint. – Ich habe mit aller sittlichen Entrüstung, deren ich in der Eile habhaft werden konnte, erfahren, daß diese Delila bei Samson auf dem Balle war, und freue mich, daß der gerechte Himmel dieses freche Eindringen des Weltkindes… durch dreimaliges Tanzen mit Boskowitz rasch und strenge bestrafte.

Gomperz, Heinrich/Kann, Robert A. (Hg.): Briefe an, von und um Josephine von Wertheimstein. Wien 1981

Carl/Karl von Lewinski, 1813-1869, liberal gesinnter Zensurbeamter
„edelste Seele der Dorotheergasse“: Sophie Todesco
Samson: Wiener Salon
Julius Boskowitz, Architekt