Donnerstag, 8. September 2022 von Karin S. Wozonig
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War er’s? Oder war er’s nicht?

Ich hatte das große Vergnügen, bei der Summer School der „Kommission für Interdisziplinäre Schubert Forschung“, kurz Schubert Research Center, der Österreichischen Akademie der Wissenschaften mitzuwirken. Das Überthema war gut gewählt: „Sexuality and Gender in Schubert’s Time“. Da lässt sich allerhand darüber sagen. Anke Charton hat den Teilnehmenden „Historicizing Gender“ nähergebracht, Mark Seow „Performing Queerness“ und Waltraud Schütz „Gender Norms“.

Ich habe mich auf die Liebeslyrik verlegt und über die Hintergründe der Ambivalenz gesprochen, die in jedem guten Biedermeiergedicht zu finden ist, und über die Geschlechterrollen, die hier abgebildet, eingeübt oder unterlaufen werden. Sex kam auch vor.

Es ist ja nicht so, dass ich über die Liebeslyrik von, sagen wir, Betty Paoli nicht schon einiges wüsste – Eduard Mörike war auch Thema (das war der mit dem Sex), Heinrich Heine natürlich, und Wilhelm Müller, selbstverständlich auch die geniale Annette von Droste-Hülshoff und außerdem Gabriele Baumberg -, aber: Wenn man einer Gruppe von fünfzehn Menschen, die unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen betreiben, unterschiedlich viel Lebenserfahrung haben und aus unterschiedlichen Ländern kommen, ein Gedicht in die Hand gibt, tun sich ganz neue Bedeutungen auf, zumal bei einer Gruppe wie jener der Summer School, in der auf hohem Niveau über die sprachlichen Mittel für den Gefühlsausdruck diskutiert wurde.

Auch eine Summer School braucht ein Rahmenprogramm, und so kam ich in den Genuss einer kleinen, beeindruckenden Schubertiade mit Irma Niskanen und Joonas Ahonen – wie passend für diese wissenschaftlich-künstlerische Zusammenkunft im Herzen von Wien, angeregt und mit Hingabe organisiert von Andrea Lindmayr-Brandl.

Den ersten Input dieser Sommerakademie lieferte Hans-Joachim Hinrichsen mit seiner Session über „Schubert’s Sexuality“. Und wenn ich das richtig sehe, waren sich am Ende alle einig, dass es nicht wichtig ist, ob Schubert schwul war oder nicht, dass es aber sehr wichtig ist, ob wir diese Frage stellen und wie wir sie stellen. Der Ton macht die Musik.

Montag, 31. Mai 2021 von Karin S. Wozonig
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Liebesnovelle mit Pianofortebegleitung

Zur kürzlich erwähnten Vertonung des Gedichts Kurz war die Zeit der Wonne von Betty Paoli sei ergänzt, dass die Aufnahme, die im Radiokolleg zu hören war, 1995 entstand. Es singt Yvi Jänicke, am Klavier begleitet von Nicole Winter. Auf der CD sind außer diesem einen noch fünf weitere Paoli-Gedichte zu hören. Denn der Komponist Robert Volkmann erzählte anno 1864 die ganze Geschichte. Er schreibt in einem Brief:

In meinem oben erwähnten Liederhefte nun, welches ich Liederkreis (Op. 46) betitelte … stellte ich aus den Gedichten von Betty Paoli sechs Lieder zusammen, die eine kleine Liebesnovelle bilden und dazu bestimmt sind, hintereinander vorgetragen zu werden…

Samstag, 29. Mai 2021 von Karin S. Wozonig
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Wonne

Diese Woche bescherte uns das Ö1-Radiokolleg einen Paoli-Auftritt. Die Sendung von Uli Jürgens war dem „Liebeslied im Wandel der Zeit“ gewidmet. Alle drei Teile waren erhellend, Paoli und ihr literarisches Alleinstellungsmerkmal – ein leidenschaftlich liebendes weibliches Ich, gestaltet von einer Frau zu einer Zeit, in der die Liebeslyrik weitgehend ohne Frauen auskam – in einer Vertonung von Robert Volkmann war im dritten Teil zu hören (Radiokolleg – Wonnemonat Mai, 27.05.)

Freitag, 28. August 2020 von Karin S. Wozonig
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Der Schwan im Bad

Am 28. August 1850 fand in Weimar unter der Leitung von Franz Liszt die Uraufführung der romantischen Oper Lohengrin von Richard Wagner statt. Die Geschichte mit dem Schwan ist dem Spätromantiker im Bad gekommen.

So den besten Hoffnungen mich hingebend, trat ich im Juli [1845] meinen diesjährigen Sommerurlaub mit einer Reise nach Marienbad in Böhmen an, um dort wegen einer mir und meiner Frau gleichmäßig angeratenen Brunnenkur unseren Erholungsaufenthalt zu nehmen.

Wieder war ich auf dem vulkanischen Boden dieses merkwürdigen und für mich immer anregenden Böhmen; ein wundervoller, fast nur zu heißer Sommer diente zur Nahrung meiner inneren Heiterkeit. Ich hatte mir vorgenommen, mich der gemächlichsten Lebensweise, wie sie andrerseits für die sehr aufregende Kur unerläßlich ist, hinzugeben. Sorgsam hatte ich mir die Lektüre hierzu mitgenommen: die Gedichte Wolfram von Eschenbachs in den Bearbeitungen von Simrock und San Marte, damit im Zusammenhange das anonyme Epos vom »Lohengrin« mit der großen Einleitung von Görres. Mit dem Buche unter dem Arm vergrub ich mich in die nahen Waldungen, um am Bache gelagert mit Titurel und Parzival in dem fremdartigen und doch so innig traulichen Gedichte Wolframs mich zu unterhalten. Bald regte aber die Sehnsucht nach eigener Gestaltung des von mir Erschauten sich so stark, daß ich, vor jeder aufregenden Arbeit während des Genusses des Marienbader Brunnens gewarnt, Mühe hatte, meinen Drang zu bekämpfen. Hieraus erwuchs mir eine bald beängstigend sich steigernde Aufregung: der »Lohengrin«, dessen allererste Konzeption schon in meine letzte Pariser Zeit fällt, stand plötzlich vollkommen gerüstet mit größter Ausführlichkeit der dramatischen Gestaltung des ganzen Stoffes vor mir.

Richard Wagner: Mein Leben. 1880
Sonntag, 16. Oktober 2016 von Karin S. Wozonig
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schreibenzeichnensingen

In Vorbereitung auf meinen verflossenen Gastauftritt beim literarischen Kamingespräch „tea for three“ (Dank an Daniela Strigl und Klaus Nüchtern für die Einladung!) habe ich das Buch „Verbannt!“ von Ann Cotten gelesen, eine wilde Geschichte mit einer auf eine Palme gebrachten Protagonistin mit Persönlichkeitsstörung und mit dem personifizierten Internet, das, wie könnte es anders sein, ein Kabel ist; aber nicht irgendeines, sondern eines, das einem letscherten Soletti ähnelt.

Das alles ist in Pseudo-Spenser-Strophen verfasst, oder auch nicht, wie es der Autorin gerade einkömmt. Auf jeden Fall reimt sie viel, und was sich reimt, ist gut. Allerdings reimt sie auch ziemlich viel nicht und das ist auch nicht schlecht. Thematisch bewegt sich dieses Versepos sehr behände zwischen Plastikmüll, Medienschelte, Kapitalismuskritik und Massentierhaltung – und noch einigem anderen.
Das Buch eignet sich sehr gut für das solitäre Lautlesen und für das Vorlesen in geselliger, Wortwitz schätzender Runde. Hier meine Lieblingsstellen, dem Metadiskurs entnommen:

„Macht also besser gleich Bier aus den jungen Dichtern!
Malzapparate gibt es schon zuhauf.
Macht Bier auch aus den Kritikern und Kunstrichtern!
Lasset sie kommen, stampfet sie und sauft!“

„Ein Wort haut das andere, dieses haut zurück, und dann
kommen noch mehr dazu.“

Soviel zum Buch, das von der Autorin selbst herzerwärmend illustriert wurde und eine lohnende Lektüre ist.

Dank des Salons „Musenküsse“ von Eva Geber und Verena Dürr weiß ich, dass Ann Cotten außer schreiben und zeichnen auch noch singen kann. Und dazu möchte ich sagen: Sollten Ann Cotten und ihre Schwester Lucy (sie spielt Cello und als Combo sind sie „dental princes“) in Ihrer Nähe einen Auftritt haben, lassen Sie alles liegen und stehen und gehen Sie hin. Sie werden es nicht bereuen.

Sonntag, 27. Oktober 2013 von Karin S. Wozonig
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Gute Nacht: Paolis Komponisten

Vor einiger Zeit habe ich in diesem Blog über ein Gedicht von Betty Paoli geschrieben, das sehr populär war und unter dem Titel „Gute Nacht“ mehrfach vertont wurde. Damals habe ich immerhin fünf Vertonungen gezählt, mittlerweile bin ich klüger. Das Gedicht war so weit verbreitet, dass es häufig ohne Verfasserangabe gedruckt wurde, außerdem taucht es unter verschiedenen Titeln auf („Gute Nacht“, „Zum Tagesschluss“, „Im tiefsten Innern“), was daran liegt, dass es 1843 in einem Liederkranz ohne Titel (als Nummer 37) publiziert wurde. Bisher habe ich 26 Komponisten und 3 Komponistinnen gefunden, die dieses Gedicht vertont haben.

Freitag, 22. Juli 2011 von Karin S. Wozonig
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Viel- und Schönschreiber

Gestern fand ein Salongespräch zum Thema „Literatur und Musik“ statt. Wie üblich bei den Kaffeehausgesprächen war ich für die historische Einführung zuständig. Ich widmete mich dem Kunstlied der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts und da ganz besonders dem Autor Friedrich Rückert. Das gab mir Gelegenheit, einen meiner Lieblingsalmanache, die Aglaja aus dem Jahr 1823, herumzuzeigen, denn sie enthält einen Rückert-Erstdruck. Bis vor kurzem dachte ich, das sei etwas Besonderes. Aber ich habe einen (literarischen) Salon gegründet, um etwas zu lernen, und so weiß ich jetzt, dass Rückert in der Zeit von 1813 bis zu seinem Tod ca. 2150 Gedichte in Almanachen, literarischen Taschenbüchern und Zeitschriften veröffentlichte (nachzulesen in dem hübschen Katalog: Georg Drescher, Rudolf Kreutner und Claudia Wiener: »O sehet her! die allerliebsten Dingerchen …« – Friedrich Rückert und der Almanach. Ergon Verlag, Würzburg, 2000.)

Außerdem habe ich über Emanuel Geibel gesprochen, oder eigentlich über Wilhelm Buschs Bildergeschichte „Balduin Bählamm der verhinderte Dichter“, deren Protagonist eine gewisse Ähnlichkeit mit Geibel hat.

Das Werk von Busch beginnt mit dem schönen Vers:

Wie wohl ist dem, der dann und wann
Sich etwas Schönes dichten kann!

und ist im Ganzen lesens- und sehenswert.

Freitag, 15. Juli 2011 von Karin S. Wozonig
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Musik und Literatur

Das nächste Kaffeehausgespräch wird sich einem Thema widmen, an dem niemand vorbei kommt, der sich mit der Literatur des neunzehnten Jahrhunderts beschäftigt, nämlich der Verbindung von Literatur und Musik. Die Vertonung von Gedichten ist gerade in der Zeit des sogenannten Biedermeier sehr häufig zu finden und in die literarischen Taschenbücher und Almanache werden immer wieder auch Noten aufgenommen. Auch einige Gedichte von Betty Paoli wurden vertont. Über eines davon – es trägt den Titel „Gute Nacht“ – habe ich vor einiger Zeit bereits berichtet.

Sonntag, 14. Februar 2010 von Karin S. Wozonig
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Happy Valentines Day mit Betty Paoli

Hier sehen Sie eine Postkarte mit einem Gedichtanfang von Betty Paoli, verschickt im Jahr 1903, aus dem Bestand des San Jose Postcard Club.

Das Gedicht trägt den Titel „Gute Nacht!“ und lautet vollständig:

Im tiefsten Innern
Ein süß Erinnern
Und einen Gruß
Zum Tagesschluß.

Daß Gottes Güte
Mein Glück behüte,
Daß seine Treu‘
Stets mit dir sei;

Daß deine Seele
Sich mir vermähle
Auf ewiglich:
Das bete ich.

Auf ihn nur zähl‘ ich,
Uns beid‘ empfehl‘ ich
Fromm seiner Macht –
Nun, gute Nacht!

Dabei handelt es sich um eines der populärsten Gedichte Betty Paolis. Es wurde mindestens fünf Mal vertont: Von Robert Franz (1815-1892), Hans Hermann (1870-1931), Ernst Ludwig (1852-1925), der Prager Komponistin Katerina Emingerová (1856-1934)

sowie von Walter Battison Haynes (1859–1900) mit einer Übersetzung von Th. Baker: