Mittwoch, 30. Juni 2010 von Karin S. Wozonig
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Lyrische Gedichte, eine Gebrauchsanweisung, 3. und letzter Teil

Oder: Ein Hinweis für den Ecocriticism

Denn wie soll ein lyrisches Gedicht genossen sein?
Man muß es mit innerer Sammlung anklingen lassen an die Saiten des Innern, auf daß diese mitklingen und nachzittern. Ist doch alles Verstehen auf dem Gebiete der Kunst ein Nachzeichnen, ein Miterleben, ein Sichhineinversetzen, Sichhineinfühlen!
Man soll nicht in Hast, wie es uns die Tagesberichte zur leidigen Gewohnheit machen, eins nach dem andern überfliegen oder verschlingen, sondern die Empfindungen müssen nachempfunden werden, müssen verschmelzen mit den unsrigen, auf daß allmählich die Gedichte innerer Besitz werden, wir immer und immer wieder gerne zu ihnen zurückkehren, daß immer mehr und mehr von unserem eigenen Erleben zwischen den Zeilen mittönt und immer neue ungeahnte Schönheit, wie ein liebliches, geheimnisvolles Wunder, sich uns erschließt. Und wie wonnig ist dies, wenn zugleich der Blick traumverloren durch den stillen Wald schweift, wo die Wipfel rauschen, nur hier und da eine Meise zirpt, ein Specht klopft oder in der Ferne eine Hohltaube ihr „gurrgurr“ erhebt, oder wenn die Möwen über die Wellen der See dahinflattern, um die Wette mit den huschenden, blinkenden Sonnenstrahlen!

Aus: Alfred Biese: Lyrische Dichtung und neuere deutsche Lyriker. Berlin: Hertz, 1896

Samstag, 26. Juni 2010 von Karin S. Wozonig
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Es spricht: Heinrich von Kleist

Man könnte die Menschen in zwei Klassen abteilen; in solche, die sich auf eine Metapher und 2) in solche, die sich auf eine Formel verstehn. Deren, die sich auf beides verstehn, sind zu wenige, sie machen keine Klasse aus.

Heinrich von Kleist: „Fragmente“

Montag, 21. Juni 2010 von Karin S. Wozonig
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Chaostheorie in Graz

Annual Conference of the Centre for Cultural Studies, University of Graz, Austria, June 23-26
Kultur – Wissen – Narration. Perspektiven transdisziplinärer Erzählforschung für die Kulturwissenschaften

Mittwoch, 16. Juni 2010 von Karin S. Wozonig
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Lyrische Gedichte, eine Gebrauchsanweisung, 2. Teil

Wie soll ein lyrisches Gedicht genossen werden, und was ist, und wie entsteht ein lyrisches Gedicht?

Wer hat denn Muße, zu träumen, Muße, sich einzuspinnen in das Reich des schönen Scheins, und nun gar in das Reich lyrischer Empfindungen? Ist nicht Lyrik weiche, süßliche Kost, unwürdig eines zum praktischen, zum „politischen“ Leben und Denken erwachten Deutschen?

Es giebt eben immer noch Leute – und die Race wird nie aussterben -, welche, nicht zufrieden mit des Tages Treiben, mit Kämpfen und Ringen, über der realen Alltagswelt sich eine ideale Welt aufbauen müssen, welche ein Doppelleben führen …, ernst und streng und gewissenhaft ihrer praktischen Arbeit sich hingeben und dann in stillen, geweihten Stunden des Ausruhens dem Schönen alle ihre Herzenspforten öffnen, welche in der Morgenfrühe in den Wald hinauseilen, im Schatten der Bäume ruhen oder an die See aus der Enge der Stadt sich flüchten, an den murmelnden Wellen träumen oder in die großartige Einsamkeit der Bergesriesen emporstreben und zur Begleitung ein Büchlein mitnehmen, und zwar gerade ein Bändchen lyrischer Gedichte.

Aus: Alfred Biese: Lyrische Dichtung und neuere deutsche Lyriker. Berlin: Hertz, 1896

Montag, 14. Juni 2010 von Karin S. Wozonig
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So gehts auch

Let us now praise… Not having a blog

[…] So allow me then to dissent — to offer, if I may, a small and fading valentine to not-blogging. Or, as it used to be called, “living.” […]

James Parker  im Boston Globe

Sonntag, 13. Juni 2010 von Karin S. Wozonig
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Kaffeehausgespräch über und für Jedermann

Die Kaffeehausgespräche, der literarische Salon, in dem ein Mal im Monat über Gott und die Welt, vor allem aber über Bücher gesprochen wird, widmet sich am kommenden Mittwoch dem „Jedermann“; dem von Hofmannsthal, dem aus der Speicherstadt und allen anderen. Ich freue mich über rege Beteiligung. Details finden Sie im Blog der Kaffeehausgespräche.

Mittwoch, 9. Juni 2010 von Karin S. Wozonig
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Lyrische Gedichte, eine Gebrauchsanweisung, 1. Teil

Wie soll ein lyrisches Gedicht genossen werden, und was ist, und wie entsteht ein lyrisches Gedicht?

Es giebt vielleicht kein Wort, das so kurz und treffend unsere Zeit charakterisierte, als „Unrast“. Wer will sagen, wer es zuerst geprägt hat? Es ist aber durch und durch modern, es ist, um mit dem Zeitjargon zu reden, fin de siècle. … Aber Unrast ist ein Kind unserer Tage, dem Begriffe wie dem Worte nach. Es trägt den Stempel der jüngsten Gegenwart. Es bezeichnet den Dämon, der die moderne Kulturmenschheit umtreibt, es ist die Pandora-Büchse alles Unheils, wie es sich kundgiebt in der Nervosität und Sinnnenüberreizung, in der Gier nach Genuß, in dem Unfrieden der Seelen, dem blasierten Pessimismus und Materialismus, in dem Hasten nach Abwechselung, in dem Streben nach dem innerlich wertlosen Tand von äußeren Ehren und Auszeichnungen und in dem immer mehr gesteigerten Raffinement des Genießens aller Art, aber auch in der Unfähigkeit, die Gedanken und Empfindungen in aller Stille und Ruhe zu pflegen und ausreifen zu lassen und sich dem Zauber der Dichtung und der Denkarbeit der großen Geister der Menschheit in weihevoller Sammlung hinzugeben. …

Welche Frage hört man wohl heute häufiger, wenn von Poesie die Rede ist, als: Wer liest denn noch lyrische Dichtungen? Und wer so fragt, wer sich verächtlich von ihnen abkehrt, der steht eben unter dem Banne der „Unrast“ unseres Lebens. Er ist nur eine der vielen Stimmen, die da jene Abwendung von dem Idealen zu dem Praktischen und Materiellen, die Nüchternheit der Denkart, die überall den Schwung und eine höheren, auf das Allgemeine gerichteten Auffassungsweise verdrängt hat, und jene Mißachtung alles dessen, was an das Gefühlsmäßige heranstreift, verraten. [Fortsetzung folgt]

Aus: Alfred Biese: Lyrische Dichtung und neuere deutsche Lyriker. Berlin: Hertz, 1896

Donnerstag, 3. Juni 2010 von Karin S. Wozonig
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Der Beamte als Schriftsteller

Während Eduard Mautner an den kleinen Freuden des menschlichen Lebens noch immer so regen Antheil nimmt, ergibt sich ein anderer vaterländischer Dichter, Herr Cajetan Cerri, leider immer mehr tiefsinnigen Betrachtungen der bedenklichsten Art, wie die „Rückblicke und Ausblicke“ verrathen, die er in dem neuesten Bande der „Dioskuren“, des poetischen Jahrbuches des Oesterreichischen Beamtenvereins, veröffentlicht. Es ist interessant, daß die meisten österrechichen Dichter früher Beamte waren – ja, Müßiggang ist aller Laster Anfang! Ich glaube nicht, daß die Literarhistoriker schon hierauf ihr Augenmerk gerichtet haben. Nach meiner Ansicht erhalten viele unserer Beamten die dichterische Anregung durch ihre Vertrautheit mit den Schönheiten der Natur, deren geheimnißvolles Walten sie durch fortwährendes Hinausschauen zum Fenster während der Amtsstunden belauschen. Der k.k. Hof-Secretär Cerri hat diesmal die steife Uniform des Verses abgelegt und erscheint im ungezwungensten prosaischen Gedanken-Négligé.

Daniel Spitzer: Wiener Spaziergänge. NFP, 1. Januar 1881, S. 6f.