Sonntag, 7. April 2019 von Karin S. Wozonig
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Hamerlings Poesie als Taub‘ im Schnabel

In der neuen Folge der Serie „Zu Recht vergessen“ der Zeitschrift VOLLTEXT widmet sich Karl Wagner dem äußerst erfolgreichen Dichter Robert Hamerling (1830-1889) (den Betty Paoli natürlich auch  gekannt hat) und erklärt, wie dieser trotz seiner dick übermalten Orientierungslosigkeit von den Zeitgenossen zu – im Extremfall homerischen – Denkmalwürden hochgelobt wurde.

Zwar hat sich der Dichter zu Lebzeiten gegen Avancen von dieser Seite verwahrt, postum errichtete ihm aber der Deutschnationale Georg von Schönerer eine „Kult- und Weihestätte“ – Hamerlings Germanenschwulst schreit förmlich danach.

Ein reisig Volk steht harrend an der Schwelle
Des Occidents und pocht an seine Thore,
Ein Volk mit blauen Augen, blonden Haaren.

Wer sind die Reisigen? wie tönt ihr Name?
Was will der Adlerschwarm im stolzen Fluge?
Germanen sind’s auf ihrem Wanderzuge.

So dichtet Hamerling im „Germanenzug“ (1864) – und nennt das Gedicht eine „Canzone“, immerhin hat er auch aus dem Italienischen übersetzt.

Wenngleich sich der Reiz der Dichtkunst Hamerlings heute nicht mehr erschließt, der Dichter selbst hat der Poesie als solcher, wenn auch verstechnisch nicht ganz glücklich, einiges zugetraut:

An die Nationen

Vernehmt mich, groß‘ und kleine Nationen,
Die Ihr geharnischt tretet auf den Plan!
Ihr ringt umsonst nach Eigenruhmes Kronen;
Der Einzelvölker Arbeit ist gethan!
Die an der Seine, am Belt, am Ister wohnen,
Begegnen fortan sich in einer Bahn.
Was ihr getrennt erstrebt und still begründet,
Vollendet ihr vereint nur und verbündet.

In dieser Zeit, wo Draht und Schiene spotten
Der Alpen, und ein Kabel-Telegramm
Den Morgengruß des Yankee bringt dem Schotten,
Wo zieh’n von Land zu Land, von Stamm zu Stamm
Die Zeitungsblätter als Erob’rerflotten –
In dieser Zeit baut Zwietracht Wahn und Damm?
Wenn Völkergeister ineinanderzittern,
Da soll das Herz der Völker sich zersplittern?

So lange tausendfältig Kain den Abel
Unblutig oder blutig noch erschlägt,
Und nicht der Streit, der einst erregt zu Babel,
Des Sprachenkampfs Erinnys beigelegt –
So lang‘ nicht Poesie als Taub‘ im Schnabel
Des ew’gen Völkerfriedens Oelzweig trägt –
So lange, sag‘ ich Euch, trotz der Fanfaren
Des Fortschrittsjubels, sind wir noch Barbaren.