Mittwoch, 15. Januar 2025 von Karin S. Wozonig
Schlagworte:
Veröffentlicht in 19. Jahrhundert,Literatur,Welt

Reise in den Süden

Die Bahn über den Semmering mag kühner angelegt, ein gewaltigeres Werk sein und somit größeres Anrecht auf die Bewunderung des Fachkundigen haben, an landschaftlichem Reiz hingegen hält sie den Vergleich mit der Brennerbahn nicht aus. Während der Fahrt über diese ziehen alle Wunder der Alpenwelt, das majestätische Hochgebirge, von schwindelnder Höhe stürzende Wasserfälle, weithin schimmernde Gletscher an dem Blick vorüber, bis man endlich auf dem Gipfel des Brenners zu dem nach ihm genannten kleinen See gelangt, dessen klare Fluth würdig wäre, schönen Bergnymphen als Spiegel zu dienen. Von hier senkt sich die Bahn abwärts; bald ist Brixen, das tirolische Rom, erreicht. Mit Ueberraschung nimmt man die plötzlich umgewandelte Physiognomie der Landschaft wahr. Vom Fuße des Brenner an trägt sie ein entschieden südliches Gepräge. An die Stelle der Lärchenwälder treten dichte Gruppen von Kastanienbäumen, an allen Abhängen ziehen sich Rebenpflanzungen hin, der Mais ist bereits vollkommen eingebürgert. Es ist ein anderer Himmel, ein hellerer Sommerglanz, in dem sich die zahllosen Klöster, Kirchen und Ruinen, welche die Gipfel der Berge krönen, gar reizend ausnehmen. Wie in Italien sieht man ganze Ortschaften und einzelne Villen wie Schwalbennester an die steilen Bergwände hingeklebt. Auch hier scheint man die Luft der Niederung für schädlich zu halten und unterzieht sich lieber der Unbequemlichkeit beständigen Auf- und Absteigens, als daß man sich ihrem schädlich geglaubten Einflusse aussetzte. Die Gegend zwischen Brixen und Bozen ist von der größten Lieblichkeit, überall eine überschwellende Vegetation, schöne Bergformen, schäumende Cascaden, während, als letzter Gruß aus dem Norden, der Eisack mit geschäftiger Hast neben der Bahn herrennt. Nach sechsstündiger Fahrt hielt der Zug in Bozen an. (Betty Paoli: Reisestationen, 1871)

Die Reise sollte Betty Paoli unbedingt wiederholen. Danke Literatur Lana!

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