(Vorlesung) Herr Lewinsky versammelte, wie seit einer Reihe von Jahren regelmäßig in der Fastenzeit, auch heuer an einem Abende (Donnerstag) ein zahlreiches gebildetes Publicum im Musikvereinssaale, um demselben neuere Dichtungen zu recitiren. Für diesmal hatte er lyrische und erzählende Gedichte von Betty Paoli gewählt, deren Mehrzahl noch ungedruckt ist. […] Ob es gerathen war, nur Stücke und zwar so viele desselben Autors zu wählen, darüber allerdings ließe sich reden; gegen Ende der beinahe drei Stunden währenden Vorlesung war eine gewisse Abspannung der Zuhörer nicht zu verkennen.
Wiener Zeitung, 14. März 1869
Aufmerksamkeitsspanne
Unsere Speisestunde ist vier Uhr
Montag, 1. Januar 1855
Theuerster Fürst,
In Frau von Bagréeff’s Auftrag bin ich so frei, bei Ihnen anzufragen, ob Sie ihr wohl die Ehre erzeigen möchten, übermorgen (Mittwoch) bei ihr zu speisen. Vielleicht bestimmt es Sie zu einer gütigen Zusage, wenn ich Ihnen anvertraue, daß Sie Grillparzer bei uns finden werden. Nicht minder räthlich scheint es mir, beizufügen: weiter Niemand.
Da mir die Freude, Sie am Neujahrstag zu sehen, nicht beschieden ward, erlauben Sie mir wohl, Ihnen schriftlich zu sagen, von welchen Segenswünschen für Sie mein Herz erfüllt ist. Geht auch nur die Hälfte derer in Erfüllung, so giebt es auf Erden keinen glücklicheren Menschen als Sie, mein guter, theurer Fürst.
Mit alter Treue Ihnen für immer ergeben.
Betty Paoli
Unsere Speisestunde ist vier Uhr.
Empathischer Vortrag kritischer Texte
Beim zweiten Klassikaner-Abend zu Betty Paoli in der Wienbibliothek im Rathaus lieh die großartige Gerti Drassl der ersten Journalistin Österreichs und Kritikerin mit spitzer Feder ihre Stimme: hier nachzusehen und zu -hören
Über Verriss und Lob, Kritik und Geschäft sprachen Bettina Eibel-Steiner, Leiterin des „Spectrum“ der „Presse“, und Andrea Reisner, langjährige Redakteurin der „Zeitreisen“ der „Wiener Zeitung“, moderiert von Daniela Strigl – informativ und unterhaltsam.
Naturkunde ästhetisch
Ein Beitrag für den Christbaumkauf:
Der edelste unter unseren Nadelbäumen ist unstreitig die Tanne (Fichte). [Fußnote:] Der Unterschied zwischen Tanne und Fichte hat ästhetisch zu wenig Bedeutung, als daß er hier hätte in Rede kommen können.
aus: Naturstudien von Dr. Hermann Masius, 1852
Betty Paolis natürliche Umgebung
Aus heutiger Sicht ist Betty Paolis natürliche Umgebung die Wienbibliothek im Rathaus. Dort werden nächste Woche (13.12., 18.30 Uhr) ihre Texte zu Gehör gebracht. Zwei Journalistinnen, nämlich Bettina Eibel-Steiner und Andrea Reisner, sprechen über die Pionierin ihres Fachs, Gerti Drassl liest, Daniela Strigl moderiert. Der Titel lautet „Die gestiefelte Katze“ und ist von Friedrich Hebbel entlehnt, der in diesem Blog auch schon den einen oder anderen Auftritt hatte.
Auch Betty Paoli mag nature writing
Es gemahnt mich dies anmuthige Buch an die duftigen, von schwellender Sehnsucht eingegebenen Frühlingslieder, die an der Flamme des Kamins gedichtet werden, während Sturm und Schnee draußen ihr Wesen treiben. … Durch seine amtliche Stellung in einer reizlosen Gegend Norddeutschlands festgehalten, wollte sich der Verfasser von dem schmerzlichen Gefühl des Entbehrens vielleicht dadurch befreien, daß er sich mit den Naturschönheiten, die jener Landstrich ihm nicht zu bieten hatte, geistig beschäftigte. …
Ihm ist jeder Baum eine lebens- und bedeutungsvolle Gestalt, in der eine Psyche schläft. Sehr schön und sehr sinnig weiß er das Charakteristische jeder einzelner dieser Gestalten aufzufassen und nicht minder sorgfältig wie die Hauptfigur des Bildes behandelt er dessen Staffage. So liegt ein seltsam melancholischer Reiz in der Schilderung, die er von dem Föhrenwald entwirft, „in dem selbst die Luft still und schwül steht, die Vegetation unter dem mit Nadeln übersäten Sande erstirbt und nur das Haidekraut sein dürres Netz wie ein Ascetenkleid über das kraftlose Erdreich streckt.“ Sehr bezeichnend nennt der Verfasser ein solches Gehölz einen „Waldkirchhof,“ zwischen dessen kahl aufragenden Säulen das Auge umsonst nach Leben sucht. …
Einen großen Reiz erhält dies vortreffliche, mit Geist und Empfindung geschriebene Buch noch dadurch, daß der Verfasser auch der Legenden und Sagen erwähnt, die der Volksglaube an diese verschiedenen Baum- und Thiergattungen knüpfte. Nicht minder an ihrem Platze sind die namentlich in den Noten zahlreich angeführten Stellen aus Dichtern, die auf die eine oder die andere von ihnen Bezug haben. Der Psalmist wie Shakespeare, Theokrit wie Lenau, die älteste und die neueste Zeit haben dazu beigesteuert und insbesondere das Volkslied eine reiche Ausbeute geliefert.
Mit aller Wärme sei dieses Buch Jedermann empfohlen, namentlich aber Jenen, die in tiefer Liebe zu der Natur sich nach dem entschwundenen Frühling zurück, dem kommenden, leider noch fernen, entgegensehnen; sie werden in diesen Blättern einen Abglanz seines Lichtes, einen Hauch seines Duftes finden und es wird ihnen minder schwer werden, ihr trübes Herz zu überwintern.
Betty Paoli: Bücherschau. Naturstudien von Dr. Hermann Masius. Lloyd, 26. 11. 1852
Jutta Person über nature writing
Sollte sich die geneigte Leserin, der geneigte Leser dieses Blogs gefragt haben, warum ich nach längerer Abwesenheit einen alten Biophilie-Aufsatz von mir zitiert habe: Es hat einen konkreten Anlass gegeben, denn Jutta Person, die Autorin des von mir sehr geschätzten Naturkunden-Portraits der Esel, hat den Johann-Heinrich-Merck-Preis bekommen und bei ihrer hier nachzulesenden Dankesrede gesagt:
Wenn das Schreiben über Natur so etwas wie ein Archiv der Wahrnehmungsphantasie ist, und wenn dieses Archiv das Bewusstsein schärft für alles, was gerade verloren geht, dann wäre schon viel gewonnen.
Außerdem hat sie Mary Hunter Austin erwähnt, Autorin von The Land of Little Rain, ein Buch, das ich mag. Ich mag auch Kakteen, das verbindet mich mit Adalbert Stifter.
Mensch und Natur
In der Literaturwissenschaft zeigt sich, dass eine „biocultural perspective on literature“ (Nordlund 2002: 317) große Faszination auf professionelle Leser(innen) ausübt. In den letzten Jahren ist eine zunehmende Bereitschaft von Geisteswissenschaftler(innen) zu beobachten, „die Naturwissenschaften als ebenbürtige wissenschaftliche Disziplinen zuzulassen, deren Erkenntnisse man tatsächlich benutzen kann.“ (Mellmann 2009) Ich möchte die Voraussetzung dieser Bereitschaft mit Edward O. Wilson als „Biophilie“ bezeichnen, als „angeborene Freude an der Fülle und Vielfalt des Lebens“ (Wilson 1998: 382). Damit fasse ich die Motivation unterschiedlicher Ansätze zusammen, die den Natur-Kultur-Zusammenhang am Objekt Literatur erforschen. Ich gehe dabei von einem persönlichen und intersubjektiv kommunizierbaren Interesse aus, das Literaturwissenschaftler(innen) bei ihrer Tätigkeit anleitet, und ich gehe davon aus, dass die Berücksichtigung von Natur gleichermaßen Bestandteil einer Theorie des Verstehens wie der Praxis der Interpretation ist…
Karin S. Wozonig: Von der Biophilie professioneller Leser(innen) oder: Die Naturwissenschaften in der Literaturwissenschaft und die Bedeutung kulturwissenschaftlicher Chaosforschung. In: Roman Mikúlaš und Karin S. Wozonig (Hg.): Chaosforschung in der Literaturwissenschaft. Wien, Münster: LIT 2009. S. 113-124
Identifikatorisches
Ich sitze noch immer in Wien, arbeite wie ein Lastthier und werde nur von dem Gedanken, daß endlich Alles ein Ende nehmen muß, aufrecht gehalten; so wird auch dieses Buch, mit dem ich mich abquäle, zuletzt doch fertig werden.
Betty Paoli im Sommer 1865.