Freitag, 2. Oktober 2020 von Karin S. Wozonig
Schlagworte: , ,
Veröffentlicht in 19. Jahrhundert,Welt | Keine Kommentare

Verriss: Lassen wir sie selbst sprechen

Wir haben es vorlängst ausgesprochen, daß die Kritik in gewissen Fällen dem Publicum als Warnungstafel zu dienen habe; als eine solche mag denn nun der Leser unsere Anzeige des neuen Romans von Auguste Linden: „Vier Lebenstage“ betrachten. […]

Die Verfasserin versteht es […], unserer Phantasie den Zauber eines nächtlichen Gartenfestes zu vergegenwärtigen. Lassen wir sie selbst sprechen: „Kleine Zelte, mit farbigen Seidengardinen drapirt und mit hellklingenden Glöckchen von Metall behangen, zogen sich unter den Pyramiden hin. Hier sollte die Musik spielen, die heute die frohen Tänze begleiten würden. (Bisher hatten wir geglaubt, daß die Musik den Tanz begleite; nun erfahren wir, daß es sich damit umgekehrt verhält. Und würden! O Auguste Linden!) Gruppen von seltenen Gewächsen standen in reichverzierten Töpfen da und bildeten halbverbergende künstliche Lauben für die plastischen Statuen, über denen sich wieder Bogen von farbigen Lampen wölbten.“

Plastische Statuen! Welche andere Statuen gibt es denn noch? Aber die Verfasserin ist consequent: keine irdische noch himmlische Macht würde sie bewegen, ein Hauptwort ohne die Begleitung eines Beiwortes in die Welt hinauszuschicken, und da sie das passende nicht immer, oder besser gesagt nie zu finden weiß, muß ihr auch das unpassendste dienen. […]

Ein Gerücht […] behauptet, die Verfasserin […] sei eine der höchsten Stände angehörende Dame. Wir betrachten dieses Gerücht als eine der empörendsten Anschuldigungen, die jemals vom Hasse der Demagogen ersonnen wurden, um die Aristokratie in Verruf zu bringen und den Leichtgläubigen vorzuspiegeln, welcher Unthaten man sich von Seiten des Adels versehen kann.“

Betty Paoli: Bücherschau. In: Wiener Lloyd 7. Juli 1853.

Donnerstag, 1. Oktober 2020 von Karin S. Wozonig
Schlagworte: , ,
Veröffentlicht in 19. Jahrhundert,Welt | Keine Kommentare

Betty Paoli rezensiert Gedichte – oder auch nicht

„Zehn Bände Gedichte liegen vor uns. Zehn Bände! Du brauchst aber deshalb nicht zu erschrecken, lieber Leser; es fällt uns nicht im Traume ein, dir über diese ganze Bibliothek zu referiren. Von den erwähnten zehn Bänden stehen sieben so tief unter der Mittelmäßigkeit, daß die Kritik nicht mehr mit ihnen zu schaffen hat, wie mit dem Gequake der Frösche, deren lyrischer Drang sich an schönen Sommerabenden Luft macht. Weil wir aber nicht fordern können, daß du uns dies auf’s Wort glaubest, wollen wir unsere Behauptung mit einigen Citaten unterstützen. Hast du an diesen nicht genug und forderst dann noch eine gründliche Analyse des Ganzen, so soll dir werden, was du verdienst. Thörichtes Verlangen wird am härtesten dadurch bestraft, daß man es gewährt. Vorläufig erfreu dich an den folgenden Citaten.
Herr Carl Ludwig Blum singt (Seite 46) in dem „Lied einer Wahnsinnigen“:

„Holofernes und David und Salomon,
Diese drei Weisen, die wußten es schon!
Adam und Eva hat’s Lieben erdacht,
Ich mit mein’m (!!!) Schätzel hab’s auch so gemacht.“

In einem andern „mit einer Mundtasse“ betitelten Gedicht heißt es:

„Sieh Mamachen diese Tasse
Und darin ist auch Kaffee!
Du verstehst dich auf dies Nasse
Mehr als ich auf’s ABC.“

Ehrlich gestanden ist uns Herr Blum unter dem poetischen Siebengestirn noch beiweitem der Liebste. Seine Verse sind nicht mittelmäßig, sie sind positiv schlecht; die Gedanken, die er vorbringt, sind nicht abgeblaßte Reflexe fremder Ideen, nein! sie glänzen durch selbstständige Absurdität, mit einem Wort, sein Buch hat einen ausgesprochenen Charakter, und es ließe sich daraus eine Blumenlese zusammenstellen, die im Verein mit kalten Waschungen, Bewegung im Freien und dem Gebrauch des Kissingerbrunnens zur Heilung manchen Hypochonders beitragen dürfte. Die andern sechs Bände sind nur langweilig…“

Betty Paoli: Bücherschau. In: Wiener Lloyd 15. Juni 1854 , S. 1-3.

Freitag, 28. August 2020 von Karin S. Wozonig
Schlagworte: ,
Veröffentlicht in 19. Jahrhundert,Welt | Keine Kommentare

Der Schwan im Bad

Am 28. August 1850 fand in Weimar unter der Leitung von Franz Liszt die Uraufführung der romantischen Oper Lohengrin von Richard Wagner statt. Die Geschichte mit dem Schwan ist dem Spätromantiker im Bad gekommen.

So den besten Hoffnungen mich hingebend, trat ich im Juli [1845] meinen diesjährigen Sommerurlaub mit einer Reise nach Marienbad in Böhmen an, um dort wegen einer mir und meiner Frau gleichmäßig angeratenen Brunnenkur unseren Erholungsaufenthalt zu nehmen.

Wieder war ich auf dem vulkanischen Boden dieses merkwürdigen und für mich immer anregenden Böhmen; ein wundervoller, fast nur zu heißer Sommer diente zur Nahrung meiner inneren Heiterkeit. Ich hatte mir vorgenommen, mich der gemächlichsten Lebensweise, wie sie andrerseits für die sehr aufregende Kur unerläßlich ist, hinzugeben. Sorgsam hatte ich mir die Lektüre hierzu mitgenommen: die Gedichte Wolfram von Eschenbachs in den Bearbeitungen von Simrock und San Marte, damit im Zusammenhange das anonyme Epos vom »Lohengrin« mit der großen Einleitung von Görres. Mit dem Buche unter dem Arm vergrub ich mich in die nahen Waldungen, um am Bache gelagert mit Titurel und Parzival in dem fremdartigen und doch so innig traulichen Gedichte Wolframs mich zu unterhalten. Bald regte aber die Sehnsucht nach eigener Gestaltung des von mir Erschauten sich so stark, daß ich, vor jeder aufregenden Arbeit während des Genusses des Marienbader Brunnens gewarnt, Mühe hatte, meinen Drang zu bekämpfen. Hieraus erwuchs mir eine bald beängstigend sich steigernde Aufregung: der »Lohengrin«, dessen allererste Konzeption schon in meine letzte Pariser Zeit fällt, stand plötzlich vollkommen gerüstet mit größter Ausführlichkeit der dramatischen Gestaltung des ganzen Stoffes vor mir.

Richard Wagner: Mein Leben. 1880
Montag, 17. August 2020 von Karin S. Wozonig
Schlagworte: , , ,
Veröffentlicht in 19. Jahrhundert,Welt | Keine Kommentare

Kalender der Religionen

In einer Pressemeldung lese ich:

In aspern Seestadt entsteht mit dem Campus der Religionen ein visionäres Projekt.

Dazu fällt mir ein:

aus: Austria oder Oesterreichischer Universal-Kalender für das gemeine Jahr 1841. Zweiter Jahrgang. Wien, im Verlag von Ignaz Klang

Dienstag, 14. Juli 2020 von Karin S. Wozonig
Schlagworte: , ,
Veröffentlicht in 19. Jahrhundert,Literatur,Literaturwissenschaft | Keine Kommentare

Kultur und Psychologie

Was ist von einem Text zu erwarten, der mit einer Einleitung unter dem Titel „Österreich ist nicht Deutschland“ beginnt? Dass es darin um Betty Paoli geht selbstverständlich. Genau genommen darum, dass Paoli als Kritikerin dem österreichischen Realismus und da besonders Marie von Ebner-Eschenbach und Ferdinand von Saar das Wort redete.

Aus der Perspektive der deutschen Literaturgeschichtsschreibung sind die Werke österreichischer Autorinnen und Autoren der realistischen Epoche, also der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, Sonderfälle, die sich schwer einordnen lassen und deshalb ignoriert oder als Anhängsel behandelt werden. Die unterschiedlichen Entwicklungen, die die deutschen Länder und die habsburgische Monarchie genommen haben, die Annäherungen, Spiegelungen und Abstoßungen in politischer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht, die zwischen Deutschland in seinem jeweiligen nationalen Verständnis einerseits und dem habsburgischen Vielvölkerstaat andererseits zu verzeichnen sind, gehen
spätestens seit dem Vormärz erkennbar in die Literatur ein.

Erschienen ist mein Beitrag Österreichischer Realismus als Sonderfall. Betty Paoli über Kulturbilder und psychologische Gemälde (Saar, Ebner-Eschenbach) hier:

Montag, 25. Mai 2020 von Karin S. Wozonig
Schlagworte: , , ,
Veröffentlicht in 19. Jahrhundert,Literatur | Keine Kommentare

Böhmischer Frühling

Im Standard schreibt Michael Stavarič über eine Übersetzung von Karel Hynek Máchas Gedicht Maj aus der Feder von Ondřej Cikán. Über Mácha, der im November 1836 kurz vor seinem sechsundzwanzigsten Geburtstag starb (vielleicht an der Cholera), sagt ein deutschböhmischer Kollege im Jahr 1844: „Kurz geblüht, das Geschick getragen und erlegen: ein Dichterloos.“ Das Gedicht Maj erschien im Selbstverlag und die zeitgenössische Kritik reagierte zurückhaltend auf die ungewöhnliche Form. Heute ist das Hauptwerk der tschechischen Romantik in Auszügen Pflichtlektüre an tschechischen Schulen.

Die erste deutsche Übersetzung des epischen Gedichts erschien in Libussa. Jahrbuch für 1844, der Übersetzer war Siegfried Kapper, jüdischer Arzt in Böhmen, Dichter in beiden Sprachen und mit Betty Paoli befreundet. Bei Kapper klingt der Anfang des Gedichts so:

Spät Abend – erster Mai – ein Abendmai.
Es war die Zeit, um liebend zu durchirren
Den duft’gen Kieferhain, wo traut und treu
Zur Liebe lud der Turteltäubchen Girren.
Von Liebe flüstern rings die weichen Moose,
Der Liebe Wehe log der Blüthenbaum,
Die Nachtigall sang Liebesklag’ der Rose,
Verduftend still, ein glüher Liebestraum.
Der glatte See, in schatt’ger Büsche Kühle,
Vom Ufer rings umarmt mit stillem Sehnen,
Erbraus’te dumpf verhalt’ne Schmerzgefühle,
Indeß der Sonne Strahlen – Glutguirlanden –
Gen andre Welten irrend, hier verschwanden,
Um dort zu glüh’n, gleich heißer Liebe Zähren.

Wie Ondřej Cikán das Problem des unübersetzbaren poetischen Gefühlsausdrucks gelöst hat, können Sie in diesem Buch nachlesen: Karel Hynek Mácha: Mai (Máj 1836), übersetzt und mit Nachwort versehen von Ondřej Cikán, illustriert von Antonín Šilar, zweisprachige Ausgabe. Ketos-Verlag 2020. Auf der Website des Verlags kann man das Gedicht auch hören.

Samstag, 4. April 2020 von Karin S. Wozonig
Schlagworte:
Veröffentlicht in 19. Jahrhundert,Literatur | Keine Kommentare

Zurück ins richtige Jahrhundert

Bettina von Arnim berichtet 1823 vom Leben auf dem Land:

Das Schreiben vergeht einem hier, wo den ganzen Tag, das ganze Jahr, das ganze liebe lange Leben nichts vorfällt, weswegen man ein Bein oder einen Arm aufheben möchte. Ich kenne kein Geschäft, was den Kopf mehr angreift als gar nichts tun und nichts erfahren; jeder Gedanke strebt aus der Lage heraus, in der man sich befindet, man fliegt und erhebt sich weit und mit Anstrengung über die Gegenwart und fällt umso tiefer, um so gefährlicher wieder zurück, daß es einem ist, als ob man alle Knochen zerschlagen habe.

Montag, 16. März 2020 von Karin S. Wozonig
Schlagworte: ,
Veröffentlicht in 19. Jahrhundert,Welt | Keine Kommentare

Adalbert Stifters Cholera-Krisenmanagement

Adalbert Stifter aus Lackenhäuser an seine Frau Amalia im 70 Kilometer entfernten Linz:

8. November 1866: … Ich schreibe heute auch an die Marie. Sie soll mir täglich berichten, wie es dir geht, bis Alles ganz vollständig gut ist. Wenn es sich wieder auch nur im Mindesten verschlimmern sollte, komme ich sogleich nach Linz. …

10. November 1866: … Ich packe schon langsam ein, und wenn mich die Furcht vor der Cholera so rasch verläßt wie in den letzten Tagen, so siehst du mich eher, als wir beide gedacht haben. Gebe nur Gott, daß nicht wieder ein neuer Fall vorkömmt. … Sei vorsichtig im Essen und verkühle Dich nicht.

12. November 1866: … Als ich den Brief des Dr. Essenwein, der mit dem deinigen zugleich ankam, gelesen hatte, war mein erster Gedanke, sogleich einzupacken, mit den Moosbauerpferden an dem Tage noch nach Aigen, und dann am nächsten Tage mit dem Aignerwagen nach Linz zu fahren. Allein später sagte ich mir, du würdest erschrecken, wenn ich plötzlich unangemeldet käme, weil du glauben müßtest, der Arzt habe etwas Bedenkliches geschrieben… Ich hatte vor, ehe ich deine Krankheit erfuhr, daß ich, wenn sich kein weiterer Cholerafall ereignet, am Montage oder Dienstage der nächsten Woche zu dir reise. Allein jetzt werde ich es früher tun. …

13. November 1866: … Ich habe ein wenig die Besorgniß gehabt, daß dich die Scene des Wiedersehens etwa zu stark angreifen könnte … Freitags erhältst du wieder einen [Brief], wenn ich nicht etwa unversehens nachmittags selber kommen sollte. …

14. November 1866: … Meine Gesundheit kehrt wieder, ja ich kann sagen, ich bin vollständig gesund. Speise und Trank schmeckt mir außerordentlich gut, ich esse wie Gesunde, und habe keine Beschwerden. Nur die lächerliche Cholerafurcht will mich nicht verlassen, was ich auch mit Verstand und Vernunft dagegen kämpfe. … [S]o z.B. greift mich der jetzige Sturm oder sonstiges Wetter gar nicht mehr an, auch höre ich Nanis Krankengeschichte ganz ruhig an, und so wird auch das stärker Eingewurzelte gewiß verschwinden. Und dann wird Alles gut werden und besser, als es bei uns je gewesen ist, da wir in einer besseren Lage sind. Die einzelnen Cholerafälle um Linz müssen ja bald aufhören, und dann ist das Gespenst dahin. …

15. November 1866: … Es ist Hoffnung auf baldige Änderung des Wetters und auf heiteren Himmel. Dann schmilzt entweder der Schnee, oder er friert, und in beiden Fällen wird wieder eine gute Fahrbahn, und auch eine Lust zum Reisen. Nach dem jetzigen Stande der Dinge kann ich Dir aber auch in diesem Augenblicke meinen Abreisetag nicht melden. … Das Entbehrliche ist eingepackt, mit dem Andern bin ich in ein paar Stunden fertig. … Es ist auch keine Nervenerregung mehr vorhanden, als die Scheu vor allem Unruhigen und Unangenehmen, besonders die Cholerafurcht, aber selbst diese Dinge fühle ich sich mindern, wie ich denn schon manches Traurige ruhig erzählen hören kann. …

16. November 1866: … Es wird sich zeigen, wie die Merkmale heute nachmittags sind. Jedenfalls bestelle ich den Wagen auf Montag, und fahre dann auch bei schlechtem Wetter, nur nicht bei heftigem Sturme. … Wenn wider Vermuthen warmes ruhiges Wetter bleibt, und noch ein Tag darauf erträglich zu werden verspricht, dann fahre ich plötzlich fort, und zwar mit dem Moosbauerwagen und Weichselbaumpferden nach Aigen, und des andern Tages von Aigen nach Linz. …

17. November 1866: … Nach diesem Briefe bekömmst du noch einen am Dienstage vormittag, und an demselben Tage nachmittag bekömmst du mich selber, außer es kömmt heute oder morgen eine Nachricht, auf die ich sogleich abreise, oder es stürmt am Montage dermaßen, daß ich nicht fortkann
Tausend, tausend Dank, du liebes gutes Weib! Der Seppel kam gestern noch vor 8 Uhr, und brachte deinen herzigen Brief. … Jetzt mag es draußen stürmen wie es will, jetzt ist mir Barometerstand und Thermometerstand nicht mehr so wichtig wie dieser Tage, und wenn sich meine Abreise auch um einige Tage verzögert, so trage ich die Verzögerung gerne, weil du nur wieder gesund bist. … Sei ganz beruhigt, ich werde nur bei gutem Wetter und auch da sehr vorsichtig reisen. …

18. November 1866: … Wahrscheinlich sind diese Zeilen die letzten, die du von den Lakenhäusern von mir erhältst … Obwohl ich die Lehrerin von Aigen um Antwort gebeten habe, so ist doch bis jetzt (2 Uhr) keine da. Wenn etwa darin noch ein Hinderniß wäre, daß ich den Wagen nicht bekäme, so sei nicht besorgt, wenn ich Dienstags nicht käme. …

19. November 1866: … Da ich nach Aigen geschrieben habe, daß der Wagen nur bei schönem Wetter kommen soll, so wird er nicht kommen, und wenn er käme, so könnte ich nicht reisen. … So sitze ich nun da, und könnte mich recht gut auf den gepackten Koffer setzen. Nur Briefpapier ließ ich indessen heraußen. … Ich hatte gegen das rasche Steigen des Barometers Mißtrauen gehabt, und es hat sich bewährt. Das Thermometer steht eine Kleinigkeit über 0, also wird es bei euch regnen, und kann bei uns jeden Augenblick in Regen übergehen. … Ich kann dir nur sagen, daß ich an dem ersten schönen Tage von hier fortreisen werde. Ich darf meine Gesundheit durch ein Unwetter nicht gefährden. … Der Wagen von Aigen kam aber, und zwar der halbgedeckte. Der Kutscher sagte, daß es in Aigen ganz schön gewesen ist, was gewiß nicht wahr ist. … Während der zwei Stunden seines Hierseins ist es natürlich noch schlechter geworden, und ich mußte ihn leer nach Aigen zurückgehen lassen. … Vielleicht kann ich übermorgen fort.

20. November 1866: … Vielleicht ist doch morgen Erlösung, und dann bringe ich dir diesen Brief selber. … Alles ist in Bereitschaft. Was noch in den Koffer gehört, ist in einer halben Stunde drinnen … Ist es morgen schön, so bringe ich dir [diesen Brief] am Donnerstage. Erhältst du ihn am Freitage vormittags, und ist es am Donnerstag vorher schön gewesen, so komme ich am Freitage zum Nachmittagskaffeh, haltet mir einen bereit.

21. November 1866: … Ich muß nun geduldig harren, bis ich fort kann… Und wenn meine Meldungen über dieses Unwetter zu euch kommen, ist es vielleicht schon vorüber, und ich bin auf dem Wege zu Dir… Ich hoffe wohl, daß ich Samstag Abends bei dir bin; aber das Unglück könnte es doch fügen, daß ich noch hier bin, und welche Erquickung wäre es mir da, einige Worte von dir zu erhalten. …

Fünf Tage später kommt Stifter nach Linz und bleibt dort für drei Tage. Dann fährt er in das ca. 15 Kilometer von Linz entfernte Kirchschlag und schreibt:

30. November 1866: … Ihr sollt in Freud und Leid mit einander tragen, war der Spruch bei der Vermählung, und ich verlasse dich aus thörichter Furcht vor einer möglicher Weise ausbrechenden Krankheit. Das darf ich nicht thun. Mein Herz macht mir Vorwürfe, und erregt mir bittere Unruhe. … Es wurde daher mein Entschluß gefaßt, daß ich wieder zu dir zurück kehre. Um Aufsehen in Kirchschlag zu vermeiden, nehme ich mir vor, ein paar Tage hier zu bleiben. Ist aber mein Gefühl zu heftig, als daß ich es tragen könnte, so komme ich morgen wieder zu dir, und kündige dir das durch den Wasserfuhrmann an, damit du nicht erschrickst, wenn ich plötzlich komme. Weil aber auch der andere Fall möglich ist, daß ich erst in ein paar Tagen komme, so bitte ich dich, schreibe mir durch den Fuhrmann zwei Zeilen … also wäre ich lediglich aus Cholerafurcht hier und das darf nicht sein. … Ich fühle mich in diesem Beschluße sehr gestärkt… Denke, bis ich komme, Deines treuen Gatten Adalbert Stifter
[Nachschrift] Sende aus Vorsicht auf 3 Tage Semmeln, hier ist nur Hausbrod…

Sonntag, 8. März 2020 von Karin S. Wozonig
Schlagworte: , ,
Veröffentlicht in 19. Jahrhundert,Literatur,Welt | Keine Kommentare

Keine psychologische Erörterung zum Frauentag

Hieronymus Lorm: Meditationen über deutsche Lyrik, 1877:

Von der Untersuchung … schließe ich die Büchlein mit weiblichen Autornamen aus. … Edle Frauen mit genialen – Ansprüchen bedenken selten, daß ihr Ehrgeiz an zwei Tafeln zugleich schwelgen will, an der des moralischen wie an der des artistischen Ruhmes, daß aber die gute Meinung, die man einem Buch von ihnen entgegenbringt, von der anderen Seite die schlechtere Meinung ist, die man ihrer Persönlichkeit widmet, weil der Rang, den man der weiblichen Tugend und der Rang, den man der Kunst flicht, beinahe zwei einander ausschließende Sphären sind. Talent haben ist schon an sich eine Tragödie, setzt einen Zwiespalt, oft einen schuldvollen Bruch mit den normalen oder mindestens mit den herkömmlichen Gesetzen des Lebens theoretisch voraus und führt ihn praktisch herbei. Es bedarf weiter keiner psychologischen Erörterung, daß der Schauplatz für die höchsten dichterischen oder mimischen Darstellungen nicht das Gynaikeion sein kann.

Dienstag, 21. Januar 2020 von Karin S. Wozonig
Schlagworte:
Veröffentlicht in 19. Jahrhundert,Literatur,Welt | Keine Kommentare

Davon kann man nicht leben

Die österreichische Autorin Betty Paoli (1814-1894) beobachtete in ihrer Lebens- und Schaffenszeit den Wandel von der Verbundenheit zwischen Autoren bzw. Autorinnen und ihren Leserinnen und Lesern hin zum literarischen Massenmarkt ohne persönliche Bindungen. Parallel dazu veränderte sich das Rollenverständnis der Dichterinnen und Dichter. Paoli war von diesen Entwicklungen durch ihre Lyrikproduktion selbst betroffen und machte die Beziehung zwischen Künstlern und ihrem Publikum auch zum Thema ihrer Dichtung. Außerdem fanden exemplarische Darstellungen von Autorenbiographien ihren Niederschlag in Paolis Prosa. Und schließlich stellt Paoli als Journalistin einen Teil ihrer publizistischen Arbeit in den Dienst der Analyse und Verbesserung der Produktionsbedingungen von Autorinnen und Autoren. Diese vielfältige Befasstheit Betty Paolis…

weiterlesen: Karin S. Wozonig: Betty Paoli. Zwischen Genie und Schillerstiftung. In: Frank Jacob und Sophia Ebert (Hrsg.): Reicher Geist, armes Leben. Das Bild des armen Schriftstellers in Geschichte, Kunst und Literatur. S. 53-67