Montag, 16. März 2020 von Karin S. Wozonig
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Veröffentlicht in 19. Jahrhundert,Welt

Adalbert Stifters Cholera-Krisenmanagement

Adalbert Stifter aus Lackenhäuser an seine Frau Amalia im 70 Kilometer entfernten Linz:

8. November 1866: … Ich schreibe heute auch an die Marie. Sie soll mir täglich berichten, wie es dir geht, bis Alles ganz vollständig gut ist. Wenn es sich wieder auch nur im Mindesten verschlimmern sollte, komme ich sogleich nach Linz. …

10. November 1866: … Ich packe schon langsam ein, und wenn mich die Furcht vor der Cholera so rasch verläßt wie in den letzten Tagen, so siehst du mich eher, als wir beide gedacht haben. Gebe nur Gott, daß nicht wieder ein neuer Fall vorkömmt. … Sei vorsichtig im Essen und verkühle Dich nicht.

12. November 1866: … Als ich den Brief des Dr. Essenwein, der mit dem deinigen zugleich ankam, gelesen hatte, war mein erster Gedanke, sogleich einzupacken, mit den Moosbauerpferden an dem Tage noch nach Aigen, und dann am nächsten Tage mit dem Aignerwagen nach Linz zu fahren. Allein später sagte ich mir, du würdest erschrecken, wenn ich plötzlich unangemeldet käme, weil du glauben müßtest, der Arzt habe etwas Bedenkliches geschrieben… Ich hatte vor, ehe ich deine Krankheit erfuhr, daß ich, wenn sich kein weiterer Cholerafall ereignet, am Montage oder Dienstage der nächsten Woche zu dir reise. Allein jetzt werde ich es früher tun. …

13. November 1866: … Ich habe ein wenig die Besorgniß gehabt, daß dich die Scene des Wiedersehens etwa zu stark angreifen könnte … Freitags erhältst du wieder einen [Brief], wenn ich nicht etwa unversehens nachmittags selber kommen sollte. …

14. November 1866: … Meine Gesundheit kehrt wieder, ja ich kann sagen, ich bin vollständig gesund. Speise und Trank schmeckt mir außerordentlich gut, ich esse wie Gesunde, und habe keine Beschwerden. Nur die lächerliche Cholerafurcht will mich nicht verlassen, was ich auch mit Verstand und Vernunft dagegen kämpfe. … [S]o z.B. greift mich der jetzige Sturm oder sonstiges Wetter gar nicht mehr an, auch höre ich Nanis Krankengeschichte ganz ruhig an, und so wird auch das stärker Eingewurzelte gewiß verschwinden. Und dann wird Alles gut werden und besser, als es bei uns je gewesen ist, da wir in einer besseren Lage sind. Die einzelnen Cholerafälle um Linz müssen ja bald aufhören, und dann ist das Gespenst dahin. …

15. November 1866: … Es ist Hoffnung auf baldige Änderung des Wetters und auf heiteren Himmel. Dann schmilzt entweder der Schnee, oder er friert, und in beiden Fällen wird wieder eine gute Fahrbahn, und auch eine Lust zum Reisen. Nach dem jetzigen Stande der Dinge kann ich Dir aber auch in diesem Augenblicke meinen Abreisetag nicht melden. … Das Entbehrliche ist eingepackt, mit dem Andern bin ich in ein paar Stunden fertig. … Es ist auch keine Nervenerregung mehr vorhanden, als die Scheu vor allem Unruhigen und Unangenehmen, besonders die Cholerafurcht, aber selbst diese Dinge fühle ich sich mindern, wie ich denn schon manches Traurige ruhig erzählen hören kann. …

16. November 1866: … Es wird sich zeigen, wie die Merkmale heute nachmittags sind. Jedenfalls bestelle ich den Wagen auf Montag, und fahre dann auch bei schlechtem Wetter, nur nicht bei heftigem Sturme. … Wenn wider Vermuthen warmes ruhiges Wetter bleibt, und noch ein Tag darauf erträglich zu werden verspricht, dann fahre ich plötzlich fort, und zwar mit dem Moosbauerwagen und Weichselbaumpferden nach Aigen, und des andern Tages von Aigen nach Linz. …

17. November 1866: … Nach diesem Briefe bekömmst du noch einen am Dienstage vormittag, und an demselben Tage nachmittag bekömmst du mich selber, außer es kömmt heute oder morgen eine Nachricht, auf die ich sogleich abreise, oder es stürmt am Montage dermaßen, daß ich nicht fortkann
Tausend, tausend Dank, du liebes gutes Weib! Der Seppel kam gestern noch vor 8 Uhr, und brachte deinen herzigen Brief. … Jetzt mag es draußen stürmen wie es will, jetzt ist mir Barometerstand und Thermometerstand nicht mehr so wichtig wie dieser Tage, und wenn sich meine Abreise auch um einige Tage verzögert, so trage ich die Verzögerung gerne, weil du nur wieder gesund bist. … Sei ganz beruhigt, ich werde nur bei gutem Wetter und auch da sehr vorsichtig reisen. …

18. November 1866: … Wahrscheinlich sind diese Zeilen die letzten, die du von den Lakenhäusern von mir erhältst … Obwohl ich die Lehrerin von Aigen um Antwort gebeten habe, so ist doch bis jetzt (2 Uhr) keine da. Wenn etwa darin noch ein Hinderniß wäre, daß ich den Wagen nicht bekäme, so sei nicht besorgt, wenn ich Dienstags nicht käme. …

19. November 1866: … Da ich nach Aigen geschrieben habe, daß der Wagen nur bei schönem Wetter kommen soll, so wird er nicht kommen, und wenn er käme, so könnte ich nicht reisen. … So sitze ich nun da, und könnte mich recht gut auf den gepackten Koffer setzen. Nur Briefpapier ließ ich indessen heraußen. … Ich hatte gegen das rasche Steigen des Barometers Mißtrauen gehabt, und es hat sich bewährt. Das Thermometer steht eine Kleinigkeit über 0, also wird es bei euch regnen, und kann bei uns jeden Augenblick in Regen übergehen. … Ich kann dir nur sagen, daß ich an dem ersten schönen Tage von hier fortreisen werde. Ich darf meine Gesundheit durch ein Unwetter nicht gefährden. … Der Wagen von Aigen kam aber, und zwar der halbgedeckte. Der Kutscher sagte, daß es in Aigen ganz schön gewesen ist, was gewiß nicht wahr ist. … Während der zwei Stunden seines Hierseins ist es natürlich noch schlechter geworden, und ich mußte ihn leer nach Aigen zurückgehen lassen. … Vielleicht kann ich übermorgen fort.

20. November 1866: … Vielleicht ist doch morgen Erlösung, und dann bringe ich dir diesen Brief selber. … Alles ist in Bereitschaft. Was noch in den Koffer gehört, ist in einer halben Stunde drinnen … Ist es morgen schön, so bringe ich dir [diesen Brief] am Donnerstage. Erhältst du ihn am Freitage vormittags, und ist es am Donnerstag vorher schön gewesen, so komme ich am Freitage zum Nachmittagskaffeh, haltet mir einen bereit.

21. November 1866: … Ich muß nun geduldig harren, bis ich fort kann… Und wenn meine Meldungen über dieses Unwetter zu euch kommen, ist es vielleicht schon vorüber, und ich bin auf dem Wege zu Dir… Ich hoffe wohl, daß ich Samstag Abends bei dir bin; aber das Unglück könnte es doch fügen, daß ich noch hier bin, und welche Erquickung wäre es mir da, einige Worte von dir zu erhalten. …

Fünf Tage später kommt Stifter nach Linz und bleibt dort für drei Tage. Dann fährt er in das ca. 15 Kilometer von Linz entfernte Kirchschlag und schreibt:

30. November 1866: … Ihr sollt in Freud und Leid mit einander tragen, war der Spruch bei der Vermählung, und ich verlasse dich aus thörichter Furcht vor einer möglicher Weise ausbrechenden Krankheit. Das darf ich nicht thun. Mein Herz macht mir Vorwürfe, und erregt mir bittere Unruhe. … Es wurde daher mein Entschluß gefaßt, daß ich wieder zu dir zurück kehre. Um Aufsehen in Kirchschlag zu vermeiden, nehme ich mir vor, ein paar Tage hier zu bleiben. Ist aber mein Gefühl zu heftig, als daß ich es tragen könnte, so komme ich morgen wieder zu dir, und kündige dir das durch den Wasserfuhrmann an, damit du nicht erschrickst, wenn ich plötzlich komme. Weil aber auch der andere Fall möglich ist, daß ich erst in ein paar Tagen komme, so bitte ich dich, schreibe mir durch den Fuhrmann zwei Zeilen … also wäre ich lediglich aus Cholerafurcht hier und das darf nicht sein. … Ich fühle mich in diesem Beschluße sehr gestärkt… Denke, bis ich komme, Deines treuen Gatten Adalbert Stifter
[Nachschrift] Sende aus Vorsicht auf 3 Tage Semmeln, hier ist nur Hausbrod…

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