Montag, 27. November 2023 von Karin S. Wozonig
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Auch Betty Paoli mag nature writing

Es gemahnt mich dies anmuthige Buch an die duftigen, von schwellender Sehnsucht eingegebenen Frühlingslieder, die an der Flamme des Kamins gedichtet werden, während Sturm und Schnee draußen ihr Wesen treiben. … Durch seine amtliche Stellung in einer reizlosen Gegend Norddeutschlands festgehalten, wollte sich der Verfasser von dem schmerzlichen Gefühl des Entbehrens vielleicht dadurch befreien, daß er sich mit den Naturschönheiten, die jener Landstrich ihm nicht zu bieten hatte, geistig beschäftigte. …

Ihm ist jeder Baum eine lebens- und bedeutungsvolle Gestalt, in der eine Psyche schläft. Sehr schön und sehr sinnig weiß er das Charakteristische jeder einzelner dieser Gestalten aufzufassen und nicht minder sorgfältig wie die Hauptfigur des Bildes behandelt er dessen Staffage. So liegt ein seltsam melancholischer Reiz in der Schilderung, die er von dem Föhrenwald entwirft, „in dem selbst die Luft still und schwül steht, die Vegetation unter dem mit Nadeln übersäten Sande erstirbt und nur das Haidekraut sein dürres Netz wie ein Ascetenkleid über das kraftlose Erdreich streckt.“ Sehr bezeichnend nennt der Verfasser ein solches Gehölz einen „Waldkirchhof,“ zwischen dessen kahl aufragenden Säulen das Auge umsonst nach Leben sucht. …

Einen großen Reiz erhält dies vortreffliche, mit Geist und Empfindung geschriebene Buch noch dadurch, daß der Verfasser auch der Legenden und Sagen erwähnt, die der Volksglaube an diese verschiedenen Baum- und Thiergattungen knüpfte. Nicht minder an ihrem Platze sind die namentlich in den Noten zahlreich angeführten Stellen aus Dichtern, die auf die eine oder die andere von ihnen Bezug haben. Der Psalmist wie Shakespeare, Theokrit wie Lenau, die älteste und die neueste Zeit haben dazu beigesteuert und insbesondere das Volkslied eine reiche Ausbeute geliefert.

Mit aller Wärme sei dieses Buch Jedermann empfohlen, namentlich aber Jenen, die in tiefer Liebe zu der Natur sich nach dem entschwundenen Frühling zurück, dem kommenden, leider noch fernen, entgegensehnen; sie werden in diesen Blättern einen Abglanz seines Lichtes, einen Hauch seines Duftes finden und es wird ihnen minder schwer werden, ihr trübes Herz zu überwintern.

Betty Paoli: Bücherschau. Naturstudien von Dr. Hermann Masius. Lloyd, 26. 11. 1852

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