Muster deutscher Redekünste – Vorwort
Seit den letzten Dezennien erfreut sich die deutsche Literatur einer besonderen Würdigung und Gunst in allen Ständen. Lesebücher, Sammlungen, Anthologien u. dgl. werden an allen öffentlichen und Privatschulen in Deutschland eingeführt und mit der Jugend gelesen. Dies und insbesondere der Mangel einer den ganzen Umfang der Redekünste umfassenden Sammlung hat mich bestimmt, eine Ausgabe von Mustern deutscher Redekünste mit besonderer Rücksicht auf neuere Literatur zu veranstalten, die zugleich den Verhältnissen unserer vaterländischen Jugend angemessen wäre; wobei ich zuvörderst die Bildung des jugendlichen Gefühls für alles Wahre, Schöne und Gute, zunächst aber die Kenntniß der Redekünste nach ihren mannigfaltigen Formen bei der Jugend zu befördern beabsichtige, um dieselbe durch Ausbildung des Geschmacks zu überzeugen, daß Versemachen nicht schon Poesie sei, und daß ein gewöhnlicher prosaischer Aufsatz, korrekt geschrieben, oft mehr Bildung benöthige, als es die Jugend zu denken gewohnt ist.
Möge der Jüngling immerhin seinen Geschmack an Dichtern bilden, nur soll sich keiner, dem einige Verse gelingen, für berufen halten, dieselben sogleich der Nachwelt übermachen zu müssen.
Die Menge der Dichterlinge und ihrer Produkte war es eben, welche die Poesie so in Miskredit gebracht hat, daß die jüngere Schwester mit ihrem hellstralenden Haupte nur mit Mühe aus diesem Schwalle emportauchen konnte. […]
Muster deutscher Redekünste mit besonderer Rücksicht auf neuere Literatur zur Bildung des Geschmacks und des Stils. Herausgegeben von Wilhelm Podlaha, Wien 1842.
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