Vor fünfzehn Jahren wurde der sogenannte Sokal-Hoax veröffentlicht, ein Artikel, der die geringen naturwissenschaftlichen Kenntnisse von Philosophen, Geistes- und Sozialwissenschaftlern und ihre dilettantische Kritik an „objektivem“ Wissen bloßstellen sollte. In zahlreichen weiteren Texten hat der Autor Alan Sokal seine Hauptaussage, Nicht-Naturwissenschaftler würden naturwissenschaftliche Begriffe verwenden, ohne sie zu verstehen, wiederholt. Ein interessanter Aspekt der Diskussion (mit dem ich mich auch in meinem Buch „Chaostheorie und Literaturwissenschaft“ beschäftigt habe) ist die Frage nach der Verwendung von Metaphern in den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen.
In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Democracy beschäftigt sich der Kulturwissenschaftler Michael Bérubé in einem lesenswerten Beitrag mit dem politischen Aspekt der Sokal-Debatte und kommt zum Schluss, dass eine krude Abwandlung des von Sokal (implizit) aufs Korn genommenen linken Relativismus den „Klimaskeptikern“ und den Vertretern des „Intelligent Design“ in die Hände spielt.
Wenn man in diesen Tagen in den Wäldern des Semmeringgebietes lustwandelt, erhält man den Eindruck, daß Wien eigentlich nicht zu Hause sein müsse, sondern sich hier oben in herrlicher Alpenluft Rendezvous gegeben habe. Es ist gegenwärtig stark bevölkert, das Semmeringgebiet, und auf Schritt und Tritt begegnet man bekannten Persönlichkeiten. Die Reize unseres österreichischen Rigi sind zur Winterszeit vielleicht noch verführerischer und lockender als im Sommer, und es ist nachgerade Mode geworden, den Semmering im Schneegewande zu besichtigen. Diese Mode ist einmal recht vernünftig und die Menschen, die ihr huldigen, sind klug. Wer an einem schönen Wintertage die Pracht und Schönheit der entzückenden Semmeringlandschaft auf sich hat wirken lassen, der wird sicher ein begeisterter Anhänger des Semmeringkultus. Es ist darum auch kein Wunder, daß geplagte Bureau- und Stadtmenschen die Feiertage dazu benützen, um dem Lärm und Treiben der Großstadt zu entfliehen und sich für kurze Zeit der friedlichen, stillen Natur hinzugeben. …
Notiz aus der Neuen Freien Presse, 25. Dezember 1903.
Ich habe seit einigen Wochen einen eBook-Reader und es ergeht mir wie Ruth Klüger, die bei der Eröffnungsrede zur BuchBasel („Bekenntnisse einer süchtigen E-Book-Leserin“) im November von dieser Erfindung schwärmte. Klüger sieht ihren Kindle als Erweiterung dessen an, was wir bisher als Buch kannten. Um die Buchstaben gehe es, um das Lesen, meint die Literaturwissenschaftlerin und Autorin, (deren Buch „weiter leben“ ich – in jeder Form – empfehle). Wer nicht besonders gut sieht und manchmal auf Reisen ist, wird einen eBook-Reader zu schätzen wissen. Ich verlasse das Haus nicht mehr ohne ihn – die Gefahr, ohne Lektüre in einem eingeschneiten Zug festzusitzen, ist gebannt.
Das heutige Kaffeehausgespräch, der monatliche literarische Salon, den ich gemeinsam mit dem Sozialwissenschaftler Detlef Thofern leite, widmet sich dem Thema „Konsum“. Aus diesem Anlass möchte ich die Worte des Warenhausbesitzers Octave Mouret aus „Das Paradies der Damen“ von Emile Zola (1883) zitieren, der seinem Bankier erklärt,
der Handel basiere jetzt auf der ununterbrochenen und raschen Umsetzung des Kapitals, wobei es darum gehe, dieses so oft wie möglich innerhalb eines Jahres in Waren zu verwandeln… Wir bedürfen keines großen Betriebskapitals. Wir müssen uns lediglich bemühen, uns sehr schnell der eingekauften Waren zu entledigen, um sie durch andere zu ersetzen… Auf diese Weise können wir uns mit einem kleinen Gewinn begnügen… Nur werden daraus schließlich doch Millionen, wenn man nur mit erheblichen Warenmengen arbeitet, die unaufhörlich erneuert werden.
George Sand. Die Sand ist doch ein ungewöhnliches Weib, was man auch sonst über sie denken und sagen möge. Das hat sie denn neuerdings bewiesen durch die Offenheit, mit der sie ihren 40sten Geburtstag gefeiert hat; eine gewöhnliche Frau würde diesen Moment in Nacht und Vergessenheit begraben haben.
Sonntags-Blätter, 12. November 1843, Nr. 46, S. 1089
Um meine Mini-Serie zur Ankündigung des nächsten Kaffeehausgesprächs abzuschließen, zitiere ich Goethe – oder wars Schiller? – in Reaktion auf die Äußerung Joseph II., Bücher seien wie Käse zu verkaufen:
Mit dem Käsehandel verglich er Euer Geschäft?
Wahrlich der Kaiser, man sieht’s, war auf dem Leipziger Markt.
Nicht nur Joseph II. soll im Zusammenhang mit dem Thema des nächsten Kaffeehausgesprächs (Buchmessen) zu Wort kommen, sondern auch Freiherr Knigge, (der übrigens selbst schon einmal Gesprächsstoff für den Salon geliefert hat):
Der müßige Haufen will ohne Unterlaß etwas Neues hören; ernsthafte, wichtige Werke werden von den Buchhändlern nicht halb so gern in Verlag genommen und vom Publikum nicht halb so eifrig gelesen als jene Modeware; wenn man sich nun herabläßt, die Wahrheiten, die man zu sagen hat, wenigstens in ein solches Gewand zu hüllen, wie es der große Haufen gern sieht, so läuft wohl freilich je zuweilen ein unnützes Wort mit unter, und das ist vielleicht auch mein Fall gewesen.
Knigge: Über den Umgang mit Menschen, 3. Aufl. 1790
Gelegentlich (so ca. alle vier Wochen) veranstalte ich gemeinsam mit dem Sozialwissenschaftler Detlef Thofern den literarischen Salon Kaffeehausgespräche. Beim nächsten Termin (18. November) wird es einen Abend zum Thema „Buchmessen“ geben. Aus diesem Anlass zitiere ich heute Joseph II.
Um aus der Lesung der Bücher einen wahren Nutzen zu ziehen, da braucht es viel Kopf, und würden wenig die Prüfung aushalten, ob ihnen das Lesen wahrhaft nutzbar sey. Um aber Bücher zu verkauffen braucht es keine mehrere Kenntnisse, als um Käß zu verkauffen. Nämlich ein jeder muß sich die Gattung von Büchern oder Käß zeitlich anschaffen, die am mehresten gesucht werden und das Verlangen des Publikums durch Preise reizen und nützen.
Durch den Kindle (ich habe Vorbehalte) und andere E-Book-Reader ging in den USA der Verkauf von gedruckten Liebesromanen zurück. Das ergibt eine aktuelle Studie des Nielsen BookScan. Kein Grund zur Panik:
Die deutsche Buchbranche wird bis 2014 im Schnitt jährlich um 1,7 Prozent wachsen. Das hat die Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers in ihrem neuen „media outlook: 2010–2014“ errechnet.
Und der Anteil der E-Books dabei?
Bei belletristischen E-Books geht PWC gar von einem Anstieg um 93,6 Prozent jährlich aus. Der Umsatz läge 2014 bei 284 Millionen Euro im Jahr. (Mehr dazu im Börsenblatt.)
Vielleicht wird’s ein OYO…
Seit über einem Jahr betreibe ich gemeinsam mit einer Ko-Salonière (anfangs) bzw. einem Salonherren (Detlef Thofern, Sozialwissenschaftler) die salonartigen „Kaffeehausgespräche“, in denen es ein Mal im Monat um Bücher geht. So auch beim nächsten Termin, der dem Thema „Das politische Buch“ gewidmet sein wird.
Zeit: Donnerstag, 21. Oktober 2010, 19.00 Uhr
Ort: Kulturcafé Chavis, Detlev-Bremer-Straße 41, 20359 Hamburg
Der Eintritt ist frei.
Weitere Informationen: www.kaffeehausgespraeche.de