Ob Rudolf von Gottschall recht hat, die dichtenden Frauen in zwei Gruppen, nämlich verheiratete und solche einzuteilen, die nie das Leid und die Freuden der Ehe kennen lernten, möge schon aus dem Grunde dahingestellt bleiben, weil er in geistreicher und witziger Weise zwar den ersteren den Preis zuerkennt, als größte Dichterinnen des XIX. Jahrhunderts aber die Freiin Annette von Droste-Hülshoff und Betty Paoli nennen muss, deren Locken, wie bekannt, nie die Myrte schmückte.
Karl Schrattentahl: Die deutsche Frauenlyrik unserer Tage. Mitgabe für Frauen und Töchter gebildeter Stände. Leipzig: Naumburg [1892]
Betty Paoli, die damals nur erst sinnige Dichterin, noch nicht Recensentin des Burgtheaters und Kritikerin, wohnte im Hause der Fürstin von Schwarzenberg, einer ehrwürdigen unterrichteten, scharfurtheilenden Dame, deren Sohn oder Neffe, ich weiß es nicht, der bekannte „Lanzknecht“ war. Letzterer, Fürst Friedrich Schwarzenberg, vertrat eine politische Anschauung, die noch über die Metternich’sche hinausging. […] Diese Weltanschauung ist eine dem österreichischen Adel so gemeinsame, daß sie sich sogar mit allen Blumen moderner Bildung, mit Citaten aus Byron, Ironieen aus Heine bei ihm verbindet. Selbsterlebtes, „als Manuscript gedruckte“ Erinnerungen an Sonnenuntergänge auf Ischia und Capri, hier ein Bonmot vom Fürsten Ligne, dort eine Strophe von Manzoni – das ist die Schule, der sogar Kaiser Maximilian, der Aermste, das Opfer von Queretaro, angehörte. Liest man, was der letztere geschrieben, so möchte man sagen, seine Mission sei gewesen, Feuilletonist einer wiener Zeitung zu werden.
Karl Gutzkow: Rückblicke auf mein Leben. Berlin: Hofmann, 1875, S. 287f.
Die lose Reihe über Almanache in diesem Blog geht weiter mit einer Abbildung aus Libussa. Jahrbuch für 1854, einem in Prag erscheinenden Almanach, dessen Verkaufserlös wohltätigen Zwecken zukommt.
Fürst Friedrich Schwarzenberg, geboren am 30. September 1800 bei Pressburg, gestorben am 6. März 1870 in Wien, war Schriftsteller, Offizier und Gutsbesitzer. Außerdem war er ein Freund von Betty Paoli, die von 1843 bis 1848 die Gesellschafterin und Pflegerin seiner Mutter Maria Anna Schwarzenberg war. Moritz Hartmann beschreibt ihn so: „Ein romantisch-eingefleischter Aristokrat von Geist und doch gewissermaßen borniert.“
In der Libussa von 1854, dem dreizehnten Jahrgang dieses Almanachs, findet sich neben dem hier gezeigten Bild ein Prosatext von Friedrich Schwarzenberg mit dem Titel „Eine Morgenpromenade in Wien“. Dieser Text wurde bereits in der Thalia von 1847 gedruckt und ist Teil des Buchs Aus dem Wanderbuch eines verabschiedeten Lanzknechts.
Den ganzen Sommer über, den ich fern von der Stadt zuzubringen pflege, sehne ich mich nach Genüssen der Kunst, vor Allem nach Gemälden, vergegenwärtige mir jene, die ich am meisten liebe, verlange nach ihnen, wie man in tiefer Winternacht nach Morgenlicht verlangt, und wenn ich dann im Spätherbst nach der Stadt zurückkehre und nur ein paar Straßen weit zu gehen brauchte, um meine Sehnsuchtsträume zu verwirklichen – thue ich es dann? Nein. Ehe ich mich dessen versehe, sind alle meine Stunden eingeschachtelt, ich kann keine mehr zum besonderen Gebrauch herauskriegen. Die Galerien sind nur Vormittags geöffnet; da bilde ich mir nun aus alter Gewohnheit ein, ich müsse schreiben. Lächerlich. Wenn ich bedenke, womit ich die Zeit vollgeschrieben habe, möchte ich mit reuigem Bedauern seufzen: Warum bin ich nicht lieber – ich will nicht einmal sagen, in Galerien – nein! nur ganz einfach spazieren gegangen!
Betty Paoli: „Eine Gemäldesammlung in Wien.“ In: Die Grenzboten, 1844, 3. Jahrgang, 1. Semester. S. 395-417.
Was passiert mit einem Menschen, der völlig isoliert aufwächst? Er stirbt, oder?
Die Tradition des Salons soll nicht enden. Deshalb gehen die Kaffehausgespräche weiter. Und zwar am 16. September 2009 um 19.00 im Café Catwalk, welches früher Café Heile Welt hieß, was ganz gut gepasst hat („Catwalk“ passt immerhin zu meinem vorigen Blogeintrag). Diesmal soll es um „Lesegewohnheiten” gehen. Das ist ein Thema, das meine Ex-Ko-Salondame Maria Poets vorgeschlagen hat. Ihre Vermutung: Wir sind mit unseren Eigenheiten (Banknoten als Lesezeichen, farblich sortierte Bücherstapel, Gedichte nur an ungeraden Tagen…) nicht allein. Ich bin gespannt.
Vor einigen Tagen war in diesem Blog von der Dichterin Josephine von Remekházy (1809–1897) die Rede. Die Hauptfigur ihres erwähnten Almanach-Beitrags Fantasien eines Geisteskranken lässt sie sagen:
Aber man gibt mir zu wenig Papier, ja ich schreibe nur verstohlen. – […] Aber ich weiß mir stets zu helfen; wenn man mich nicht schreiben läßt, denk‘ ich doch etwas, und ich rathe es Allen an, die man einem ähnlichen Zwange unterwirft.
Der Autorin Remekházy schrieb Franz Grillparzer ins Stammbuch:
Jung, schön und reich,
Und dennoch Dichterin?
Im Wünschen und im Singen
Strebt sonst man nur nach Dingen,
Die man noch nicht besitzt:
Du hast, was Menschen haben,
Die höchsten Schicksalsgaben,
Des Wirklichen Gewinn;
Und dennoch Dichterin?
Grillparzer, Wien am 31. Mai 1838
Der Almanach Thalia von 1847 enthält eine Musikbeilage. Es handelt sich um die Vertonung eines Gedichts von Salomon Hermann Mosenthal von Joseph Dessauer:
Dieser Almanach enthält auch Fantasien eines Geisteskranken, ein Prosastück von Josephine von Rémekhazy, in dem der Insasse einer Irrenanstalt aus seinen früheren Leben erzählt. Der Text endet mit folgender Passage:
Wie viele Episoden möcht‘ ich noch aufzeichnen! Aber man gibt mir zu wenig Papier, ja ich schreibe nur verstohlen. – Der Doctor sagt, ich hätte zu viel gelesen und mein Kopf sei schwach. Gegenwärtige Zeit ist für mich die trübseligste, und wäre die Natur nicht immer für mich grün – ich habe mir eine grüne Brille gekauft – so müßte ich verzweifeln. – Aber ich weiß mir stets zu helfen; wenn man mich nicht schreiben läßt, denk‘ ich doch etwas, und ich rathe es Allen an, die man einem ähnlichen Zwange unterwirft.
Aha! Ein Druckfehler! Nein, ein Sprachfehler! Ein Drucksprachfehler! ein Sprachdruckfehler! gleich im ersten Blatt! „gewissen Leser“ statt „gewisser Leser! das ist entsetzlich! der Mann kennt keine Grammatik! nicht die ersten Regeln der Sprache!“ u.s.w.
Diesen Druck- oder Sprachfehler geb‘ ich gleich verschwenderisch jenen Druck- und Sprachfehler-Schmeckern, jenen unermüdlichen Setzer-Antagonisten preis! Ein Druckfehler! Ein Sprachfehler! Victoria! „Ich schenk ihn euch zum ewigen Erb und Lehen. Doch theilt euch brüderlich darein!“ Ich schenke jenen Buchstaben- und Silben- und Druckfehler-Mikrologen alle schon gebornen und noch zu geboren werdende Druckfehler, alle m statt n, alle dritte und vierte Fälle auf alle Fälle; ich vermache ihnen alle i tüpfel und alle ä striche, alle ss und alle ß, alle verwechselten großen und kleinen Buchstaben u. s. w. […] und gestehe […] daß wir die ungeheuerste Ehrfurcht für jene zarte Geistesgabe haben, alle Druckfehler so ohne weitere Vorrichtung heraus zu finden […].
Moritz Gottlieb Saphir: „Druck- oder Sprachfehler zum Besten gewissen Leser.“ In: Nachträgliche Ergänzungs-Blätter zum Humoristen von M. G. Saphir. No 1, Montag 2. Jänner 1837, S. 3
In der vorigen Folge meiner losen Blog-Reihe zum Thema Almanache und literarische Taschenbücher der ersten Hälfte des neuzehnten Jahrhunderts habe ich Ihnen eine Illustration zu einer Novelle aus der Thalia von 1843 präsentiert. Auf der schönen Website Musenalm finden Sie eine Vielzahl solcher Bilder, darunter auch ein Beispiel für die Mehrfachverwendung der Abbildungen:
Im Rheinischen Taschenbuch von 1837 trägt dieses Bild den Titel „Neugierde“, in der Iris von 1846 ist es mit „Genius des Friedens“ betitelt.