Mittwoch, 11. Juni 2014 von Karin S. Wozonig
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Altes Neues

„Die Blätter sind überhaupt voll prächtiger Nachrichten. – Vor Allem die Berichte vom glorreichen Custozza-Tage – Du solltest Dir diese Zeitungen aufheben, Martha.“
Und ich habe sie aufgehoben. Das sollte man immer thun; und wenn ein neuer Völkerzwist heranzieht, dann lese man nicht die neuesten Zeitungen, sondern die, welche von vorigem Kriege datieren, und man wird sehen, was all den Prophezeiungen und Prahlereien und auch den Berichten und Nachrichten für Wahrheitswert beizumessen ist. Das ist lehrreich.

Zitat aus dem Roman: „Die Waffen nieder! Eine Lebensgeschichte“, erschienen 1889, von Bertha von Suttner, geboren am 9. Juni 1843 in Prag, gestorben am 21. Juni 1914 in Wien.

Donnerstag, 8. Mai 2014 von Karin S. Wozonig
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Betty Paoli stellt Fragen

Ist es nicht eine seltsame Erscheinung, daß während ganz Europa in Waffen starrt und der menschliche Scharfsinn sich eifrigst mit der Erfindung neuer Mordmaschinen beschäftigt, die Propheten des ewigen Friedens immer zahlreicher werden? Wenige Monate nach dem Genfer Friedenskongreß ertönte neuerlichst im französischen Senat von Michel Chevaliers Lippen der orakelhafte Ausspruch: „Die Zeit der Kriege ist um.“ Jedenfalls meinte er es ernster als die in Genf versammelten Männer, die sehr wohl wissen, daß nur die furchtbarsten Kämpfe ihnen zur Herrschaft verhelfen können. …

Nun bleibt allerdings hier noch die Frage offen: Ist die Prophezeiung ewigen Friedens etwa nur verfrüht? etwa nur insofern irrig, als sie uns die Zustände, die  einst späte Nachgeschlechter beglücken werden, schon für die nächste Zukunft verheißt? Wenn wir noch tief genug in den Banden roher Leidenschaft und knechtisch dumpfen Sinnes liegen, um die Schlichtung jedes Streites der brutalen Gewalt zu übertragen, so folgt ja daraus noch nicht, daß unsere Epigonen sich nicht zu einer höheren Stufe menschlicher Entwicklung emporringen werden. …

Niemand wird es in den Sinn kommen, den ungeheuren geistigen Fortschritt zu leugnen, dessen Augenzeugen wir sind. Aber man vergesse das Eine nicht: der Einfluß der Civilisation erstreckt sich nicht weiter als auf den Intellekt des Menschen. Sie kann falsche Begriffe rektifiziren, Vorurtheile beseitigen, tausend Fäden anspinnen, an die sich das Wohl von Unzähligen knüpft, aber an dem innersten Kern des Menschen, an jener geheimnißvollen Macht, die immer gleich unerforschlich bleibt, ob man sie Dämon, Instinkt oder Wille nenne, vermag sie nicht das Geringste zu ändern. …

Mit Recht bestaunt man den ungeheuern Wissensschatz, den die Menschheit im Laufe der Jahrtausende zusammentrug; ist aber der Mensch durch ihn anders geworden? Bewegen sein Herz nicht heute noch dieselben Leidenschaften, von denen die urältesten Mythen sprechen? Sind in dem Maße, wie das Wissen sich vermehrte, Eigennutz und Ungerechtigkeit aus der Welt verschwunden? Ist die Gier, sich mit fremdem Gute zu bereichern, sind Ruhm- und Selbstsucht schwächer geworden, seit die Astronomen über den Lauf der Gestirne, die Physiologen über die verborgensten Geheimnisse des Lebens lichtvollen Aufschluß zu geben vermögen? …

Auszug aus Betty Paoli: „Die Friedensmänner“, 1868

Sonntag, 27. April 2014 von Karin S. Wozonig
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Lesung bei Ida Fleischl

Aus dem Tagebuch von Marie von Ebner-Eschenbach, 27. April 1887:

Abends Vorlesung Auguste Wilbrandts bei Ida. Poe Das verrätherische Herz. Villinger Der Eskimo. Bei Marsala. Klaggesang. Marsala wundervoll übersetzt von Betty.

Sonntag, 20. April 2014 von Karin S. Wozonig
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Konzeptuelle Reisen

Nächste Woche wird in Wien die ESSHConference stattfinden und ich werde dabei sein, um in einem Panel über „reisende“ Konzepte zu sprechen. Das konkrete Konzept, oder eigentlich: die Idee, deren Bewegung durch Raum und Zeit ich in meinem Vortrag untersuchen werde, ist die der gesellschaftlichen Gleichstellung von Frauen mit Männern. Selbstverständlich beschäftige ich mich mit dieser Frage anhand eines Fallbeispiels. In Frage käme z.B. Betty Paolis Nachdenken über die Philosophie von Mary Wollstonecraft. Dieses oder Ähnliches sollte mein Vortrag enthalten:

Betty Paoli had begun publishing feuilletons and reviews in 1848 and had been writing feuilletons on the social and economical situation of women for the Austrian “Neue Freie Presse” since the 1860ies. In these texts, Paoli based her arguments for female education and opportunities for qualified gainful employment for women on demographical changes in Austria and also frequently referred to the legal situation in France and in the USA. Though Paoli utilised “travelling concepts” (M. Bal) from an emancipatory discourse, she generally started off from the main point of interest of her readership, namely economy, and carefully minimized references to the feminist movements of either foreign or Austrian origin. However, in 1885, she writes an article on “Die Wandlungen der Frauenfrage” (“Transformations of the Woman Question”). In this text Paoli explicitly uses Mary Wollstonecraft’s seminal text “A Vindication of the Rights of Women” (1792) and the well known example of the life and work of George Sand to create a historical perspective of transnational developments in women’s rights. Here Paoli focuses on the interconnectedness of bourgeois gender roles, particularly on the economic aspects of marriage, and on the economical situation of unmarried (middle class) women. At the same time, though, she creates a narration of advancement through which she provides herself as a writer with a historical connection to her predecessors and thus she reaches beyond the necessities of the moment she agitated for in earlier texts.
In my paper I will present Betty Paoli’s feuilletons on the so called “Frauenfrage” and the essay of 1885 in particular as exemplary for the transformation and selective use of the historic and transnational flow of ideas and knowledge in regard to the realisation of women’s rights and gender equity. Paoli’s adaptation of progressive arguments for the bourgeois readership she targeted will be examined in a close reading approach to unveil its heuristic quality and to highlight it as a specific praxis of discourse.

Zumindest habe ich das gedacht, als die abstracts für das Konferenzprogramm (Mai 2013) fällig waren. Abstract, die kurzen Zusammenfassungen von Vorträgen oder Aufsätzen, die gelegentlich lange vor dem dazugehörigen Text zu schreiben sind, heißen deshalb Astracts, weil die darin entwickelten Ideen noch völlig abstrakt erscheinen – zumindest geht mir das so. Im Laufe der Zeit hat sich für mich herausgestellt, dass George Sands Romane, im Zusammenhang mit der Frage die ich stelle, aufschlussreicher sind als Mary Wollstonecrafts politische Schriften. Und deshalb werde ich am kommenden Samstag bei der Konferenz nur über erstere sprechen, ganz gemäß der Auffassung, dass sich bewegende (Vortrags)konzepte ein wichtiges kulturwissenschaftliches Instrument sind.

Donnerstag, 17. April 2014 von Karin S. Wozonig
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All-age-Dystopien

Heute wird wieder einmal der literarische Salon „Kaffeehausgespräche“ stattfinden. Salonherr Detlef hat sich das Thema Kinder- und Jugendliteratur ausgedacht und ich habe gern zugestimmt. Vor kurzem erst habe ich ein Buch von Judith Kerr gelesen („Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“, vom Verlag empfohlenes Lesealter: 14-17 Jahre), das ich noch nicht gekannt habe. Ich gehöre in Bezug auf das Alter definitiv nicht zur Zielgruppe und habe mich mit großem Interesse bei meiner Lektüre beobachtet. Der Abstand zwischen dem impliziten Leser und mir war deutlich zu bemerken und keine Sekunde lang zu vergessen.

Anders ist es mir bei „The Hunger Games“ (dt. „Die Tribute von Panem“, vom Verlag empfohlen ab 12 Jahren) ergangen, einem Paradebeispiel des Marketingcoups „All-age-Literatur“. Für mich liegt die Erklärung für das Funktionieren von Jugendliteratur neuerer Machart in der Dystopie. Und weil die „Kaffeehausgespräche“ nicht einfach nur frei flottierendes Reden sind, sondern auch eine Einleitung haben, in der Anfangs- und Anknüpfungspunkte für die Diskussion geboten werden, werde ich heute im Salon (im Chavis um 19.00) über „The Hunger Games“ sprechen.

Sonntag, 13. April 2014 von Karin S. Wozonig
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Betty Paoli im Porträt

Aus dem Tagebuch von Marie von Ebner-Eschenbach, April 1886: „Mit Ida in das Atelier Frln Müllers um Betty Porträt zu sehen. Stirn Augen und Nase vortrefflich. Die geistige Ähnlichkeit gut getroffen.“

Montag, 10. März 2014 von Karin S. Wozonig
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Wissen und Nichtwissen

Manchmal beschäftige ich mich mit Gegenwartsliteratur. Zum Beispiel im Rahmen eines Workshops, in dem es um den Buchmarkt gehen wird, um Neuerscheinungen, um Informationsquellen, die es ermöglichen, Spreu vom Weizen zu trennen, um Literaturkritik (ein Thema, das ich besonders interessant finde) etc.

In ein paar Wochen werde ich mich mit dem in diesem Blog schon öfter erwähnten Roman „Der einzige Ort“ von Thomas Stangl bei einer Konferenz beschäftigen, die selbstbewusst den Titel „Literatur und Wissen“ trägt. Hier gibt es das Programm als PDF.

Montag, 30. Dezember 2013 von Karin S. Wozonig
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Immer diese Literaturgeschichte

Wir feiern am 30. Dezember Betty Paoli’s Geburtstag – eigentlich den 71t; offiziell (Dank der Ungenauigkeit der Literaturgeschichte) den 70t.

Marie von Ebner-Eschenbach an Paul Heyse am 4. 12. 1885

Donnerstag, 14. November 2013 von Karin S. Wozonig
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Dilettantismus auf literaturkritik.de

Das Rezensionsforum literaturkritik.de, dessen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ich viele Einsichten in das Thema Literaturkritik und Internet verdanke, bringt mir zwei Bücher zur Kenntnis, woraus sich etwas über Dilettantismus [Duden: Di|let|tan|tis|mus, der; – (laienhafte Beschäftigung mit etwas, Liebhaberei; Stümperhaftigkeit)] lernen ließe. Und zwar durchaus Unterschiedliches. Der Dilettantismus ist gerade im Zusammenhang mit der im Internet verbreiteten Literaturkritik besonders interessant (so finde ich, wie Sie hier lesen können), aber auch im Zusammenhang mit dem Schreiben von Literatur oder Geschichte.

Dietmar Jacobsen schreibt auf literaturkritik.de über ein Buch von Joachim Zelter mit dem Titel „Einen Blick werfen. Literaturnovelle“ und konstatiert: „Über schriftstellerischen Dilettantismus als Zeitphänomen schreibt Joachim Zelter alles andere als dilettantisch.“ Nun schreibt Zelter aber gar nicht über schriftstellerischen Dilletantismus (wobei erst einmal geklärt werden müsste, was den Dilettanten vom Professionisten des literarischen Schreibens unterscheidet), sondern darüber, dass zu einem gut verkäuflichen Buch heute mehr denn je ein vermarktbares Schriftstellerleben gehört. Zelter erfindet dafür einen der deutschen Sprache nicht mächtigen (man könnte auch sagen: sprachlich stümpernden), auf dem literarischen Markt erfolgreichen Kamelreitlehrer – eine originelle literarische Behandlung der Auferstehung des Autors und der Büchervermarktung.

Das zweite Buch, auf das mich literaturkritik.de aufmerksam gemacht hat, stammt von Bernhard Viel und trägt den Titel „Egon Friedell. Der geniale Dilettant“. Über dieses Buch schreibt Georg Patzer ausführlich und zitiert dabei auch Friedell:

Nur der Dilettant, der mit Recht auch Liebhaber, Amateur genannt wird, hat eine wirklich menschliche Beziehung zu seinen Gegenständen, nur beim Dilettanten decken sich Mensch und Beruf; und darum strömt bei ihm der ganze Mensch in seine Tätigkeit und sättigt sie mit seinem ganzen Wesen, während umgekehrt allen Dingen, die berufsmäßig betrieben werden, etwas im üblen Sinne Dilettantisches anhaftet: irgendeine Einseitigkeit, Beschränktheit, Subjektivität, ein zu enger Gesichtswinkel.

Was Patzer nicht verrät: Dieses Zitat stammt aus Friedells „Kulturgeschichte der Neuzeit“ und gilt „dem jüngsten kulturhistorischen Versuch, nämlich unserem eigenen“. Friedell konkretisiert:

Was aber im Speziellen die Kulturgeschichte betrifft, so ist es schlechterdings unmöglich, sie anders als dilettantisch zu behandeln. Denn man hat als Historiker offenbar nur die Wahl, entweder über ein Gebiet seriös, maßgebend und authentisch zu schreiben, zum Beispiel über die württembergischen Stadtfehden in der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts oder über den Stammbaum der Margareta Maultasch oder, wie der Staatsstipendiat der Kulturgeschichte Doktor Jörgen Tesman, über die brabantische Hausindustrie im Mittelalter, oder mehrere, womöglich alle Gebiete vergleichend zusammenzufassen, aber auf eine sehr leichtfertige, ungenaue und dubiose Weise. Eine Universalgeschichte läßt sich nur zusammensetzen aus einer möglichst großen Anzahl von dilettantischen Untersuchungen, inkompetenten Urteilen, mangelhaften Informationen.

Was Friedell hier demonstriert ist, dass dem dilettierenden Kulturhistoriker auch eine literarische Figur etwas gelten muss (Jörgen Tesman ist eine Figur von Henrik Ibsen).

Sonntag, 27. Oktober 2013 von Karin S. Wozonig
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Gute Nacht: Paolis Komponisten

Vor einiger Zeit habe ich in diesem Blog über ein Gedicht von Betty Paoli geschrieben, das sehr populär war und unter dem Titel „Gute Nacht“ mehrfach vertont wurde. Damals habe ich immerhin fünf Vertonungen gezählt, mittlerweile bin ich klüger. Das Gedicht war so weit verbreitet, dass es häufig ohne Verfasserangabe gedruckt wurde, außerdem taucht es unter verschiedenen Titeln auf („Gute Nacht“, „Zum Tagesschluss“, „Im tiefsten Innern“), was daran liegt, dass es 1843 in einem Liederkranz ohne Titel (als Nummer 37) publiziert wurde. Bisher habe ich 26 Komponisten und 3 Komponistinnen gefunden, die dieses Gedicht vertont haben.