Zur Erinnerung
Aus dem Tagebuch von Betty Paoli, 13. März 1882:
27ster Jahrestag von meiner ersten Begegnung mit Ida.
Aus dem Tagebuch von Betty Paoli, 13. März 1882:
27ster Jahrestag von meiner ersten Begegnung mit Ida.
Am Sonntag den 13. März, 8.15, liest Nicole Heesters in der Sendung „Du holde Kunst“ auf Ö1 unter anderem ein Gedicht von Betty Paoli. Die Sendung steht unter dem Titel „Ich weiß, was ich will“, einem Zitat aus dem Gedicht „Ich“ von Paoli, über dessen Verbreitung in den Medien ich bereits berichtet habe.
Meine Serie der Lesefrüchte aus dem echten Knigge setze ich heute fort mit einer Beobachtung zum Thema „aufrichtiges Interesse am Mitmenschen“:
Gehe von niemand und laß niemand von Dir, ohne ihm etwas Lehrreiches oder etwas Verbindliches gesagt und mit auf den Weg gegeben zu haben; aber beides auf eine Art, die ihm wohltue, seine Bescheidenheit nicht empöre und nicht studiert scheine, daß er die Stunde nicht verloren zu haben glaube, die er bei Dir zugebracht hat, und daß er fühle, Du nehmest Interesse an seiner Person, es gehe Dir von Herzen, Du verkauftest nicht bloß Deine Höflichkeitsware ohne Unterschied jedem Vorübergehenden!
Above all things let us never foget that people want to be amused and entertained; that even the most instructive conversation at last becomes irksome to many if it be not seasoned by occasional fallies of wit and good humour; further, that nothing in the world appears to the generality wittier, wiser and more pleasant than what is said to their praise and flatters their vanity; but that it also is beneath the dignity of a rational man to act the mean part of a jester, and unworthy of an honest man to flatter meanly. There is a certain medium which I wish to recommend to you. Every man has at least one good quality which we may praise without degrading ourselves; and an encomium of that sort uttered by a man of understanding and of judgment may become an impulse to strive at greater perfection. This hint will be sufficient for those that are inclined to understand me…. True humour and genuine wit cannot be forced nor produced by art and mental toils; but they are felt like the presence of a celestial being, creating pleasure, congenial warmth and secret awe.
Practical Philosophy of Social Life; or, The Art of Conversing with Men; After the German of Baron Knigge. By P. Will. First American Edition. 1805
Wie angekündigt wird es in diesem Blog in den nächsten Tagen in loser Folge Lesefrüchte aus dem „Original-Knigge“ geben, einem Werk, das ich immer wieder gern lese. Heute ein Ausschnitt über den Witz:
Vor allen Dingen vergesse man nie, daß die Leute unterhalten, amüsiert sein wollen; daß selbst der unterrichtendste Umgang ihnen in der Länge ermüdend vorkommt, wenn er nicht zuweilen durch Witz und gute Laune gewürzt wird; daß ferner nichts in der Welt ihnen so witzreich, so weise und so ergötzend scheint, als wenn man sie lobt, ihnen etwas Schmeichelhaftes sagt; daß es aber unter der Würde eines klugen Mannes ist, den Spaßmacher, und eines redlichen Mannes unwert, den niedrigen Schmeichler zu machen. Allein es gibt einen gewissen Mittelweg; diesen rate ich einzuschlagen, und da jeder Mensch doch wenigstens eine gute Seite hat, die man loben darf, und dies Lob, wenn es nicht übertrieben wird, aus dem Munde eines verständigen Mannes Sporn zu größerer Vervollkommnung werden kann, so ist das Wink genug für den, der mich verstehn will. … Wahrer Humor und echter Witz lassen sich nicht erzwingen, nicht erkünsteln, aber sie wirken, wie das Umschweben eines höhern Genius, wonnevoll, erwärmend, Ehrfurcht erregend.
Ein Thema des Salongesprächs über die Natur im Buch, das mitzugestalten ich vorige Woche das Vergnügen hatte, war die Frage danach, wieviel an unseren Naturvorstellungen kulturell gemacht ist. In der FR von gestern findet sich ein Interview mit dem Historiker Joachim Radkau, in dem er dieser Frage nachgeht. Unter anderem meint er:
Ich denke, es müssen mehr Human- und Kulturwissenschaftler an den Entscheidungsprozessen beteiligt werden, die sich über den Konstruktionscharakter von Natur bewusster sind. Natur gibt es ja wirklich, aber wenn wir von Natur reden, dann meinen wir zumeist ein Konstrukt, das wir im Kopf haben – was durchaus auch seinen praktischen Wert hat: Man geht sensibler mit ihr um.
Das finde ich auch. Und ein beträchtlicher Teil dieses Konstrukts basiert auf literarisierter Natur – oder ist literarisierte Natur.
Nach meiner Beschäftigung mit dem Zusammenhang von Hypochondrie und Literatur widme ich mich wieder der evolutionsbiologisch interessierten Literaturwissenschaft. Es handelt sich dabei um einen Trend in der Literaturwissenschaft, der gelegentlich erfreulich eigentümliche und originelle Formulierungen hervorbringt. Diese sind Ergebnis des Versuchs, Literatur mit biologischer Evolution zu erklären. Um das zu bewerkstelligen, erzählen Literaturwissenschaftler die populärwissenschaftlichen Erzählungen der Soziobiologie (also der Biologie des Sozialverhaltens „produzieren und rezipieren von Literatur“) mit eigenen Worten nach. Das kann dann so klingen:
Wir müssen für jedes Verhalten, das sich unter irgendwelchen Umständen über lange Zeit hin in wiederkehrenden Situationen als direkt oder indirekt reproduktiv erfolgreich erwiesen hat, die Verhaltensmöglichkeit in uns vermuten. […] Tatsächlich gibt es noch andere Wünsche, etwa in der Sonne zu sitzen, bei Freunden, in der Nähe hübscher Mädchen oder attraktiver Knaben, und über allem gibt es dann auch den Super-Wunsch, keinen unnötigen Ärger zu haben – all dies sind evolutionär begründete und verankerte Wünsche oder Instinkte oder Triebe oder, wie man am korrektesten sagen würde, Adaptationen, Anpassungen an bestimmte wiederkehrende Umwelt-Herausforderungen. […] Die Polyphonie der Adaptationen (‚Triebe‘) oder auch ihre Kakophonie ist auf Entscheidungen angewiesen, und die Grundstruktur dieser Entscheidungen entstammt dem Bereich der jeweiligen Kultur und der mit ihr verknüpften individuellen Erfahrung. (Karl Eibl: Über den Zusammenhang der tierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen. [zum ganzen Text auf literaturkritik.de])
Die nächste Nummer des Jahrbuchs des Forum Vormärz Forschung wird sich dem Thema „Wissenskulturen“ widmen. Ich werde dazu beitragen und befasse mich daher seit einiger Zeit wieder mit dem Arzt und Dichter Ernst von Feuchtersleben. Sein Buch mit dem Titel „Zur Diätetik der Seele“ war ein Bestseller seiner Zeit. Dem „Büchlein“ liegt „manch bitt’re Selbsterfahrung“ zugrunde, schreibt der Autor in einem Vorwort. Die Seelendiätetik soll vor Hypochondrie und Melancholie bewahren. Es gibt einige sehr konkrete Anweisungen in dem Text, vor allem sollte man sich nach Feuchterslebens Ansicht ein Vorbild an Goethe nehmen. Andere Autoren hingegen sind zu vermeiden:
Hypochondrie, entgeistete, grämliche, affadirende Hypochondrie ist die Amme der modernen Literatur, und man wird nächstens, zur richtigen Beurtheilung unserer jüngsten Dichter, des Arztes statt des Recensenten bedürfen. […] Solche Dichter ziehen dann natürlich ihr Publikum nach, – und da jetzt fast Alles Publikum ist, Alles von Literatur singen und reden will, – so begreift sich, wie nöthig es ist, daß man diese literarischen Interessen in einer diätetischen Schrift bespreche, wenn man noch einen Theil des Publikums vor dem Gräuel der Hypochondrie retten will. Es gehört also zur Diätetik der Seele, daß wir, weil wir die soi-disants Young’s und Byron’s unserer Tage doch nun einmal kaum überzeugen werden, daß sie vorerst was Rechtes lernen sollten, – es gehört, sage ich, zur Seelendiätetik, daß wir sie jammern lassen sollen.
Wie in diesem Blog mehrfach angekündigt, habe ich eine meiner Lieblingstätigkeiten, nämlich das Lesen, auf sogenannte elektronische Bücher ausgedehnt. Als Werkzeug dafür (danke Gerda!) dient mir ein Gerät mit der eigentümlichen Bezeichnung OYO, das unter anderem über eine sehr simple Webshop-Funktion verfügt, mit deren Hilfe man hürdenlos Bücher der Buchhandelskette Thalia (294 Buchhandlungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz) kaufen kann, ein Geschäftsmodell, dass sich, glaubt man den Pressemeldungen von Amazon, bewährt.
Wer so wie ich Bücher des neunzehnten Jahrhunderts schätzt, kann mittlerweile auch diese im e-Book-Format käuflich erwerben (der Preis beträgt zwischen 90 Cent und 2 Euro pro Buch). Alternativ stellen diversen Plattformen, unter anderem google books, gemeinfreie Bücher aller Art gratis in den entsprechenden Formaten (der OYO erkennt unter anderem pdf- und epub-Dateien) zur Verfügung. Die Qualität der Digitalisate lässt allerdings oft zu wünschen übrig und die Auswahl ist gleichermaßen überwältigend wie enttäuschend.
Daher habe ich jetzt zu einer altmodischen Lösung gegriffen und mir eine DVD des etwas glücklosen Unternehmens Direct Media Publishing gekauft, das mit seiner Digitalen Bibliothek bereits vor Jahren ein großes Digitalisierungsprojekt realisiert hat, mit seiner proprietären Software – die durchaus gute Funktionalitäten aufweist – allerdings den Geist der Zeit nicht ganz verstanden hat. Neben der von Seiten des Anbieters etwas optimistischen Möglichkeit, durch den Kauf einer Konvertierungssoftware aus den Texten der Digitalen Bibliothek e-Reader-lesbare Dateien zu machen, gibt es auch die Möglichkeit „Die große eBook-Bibliothek der Weltliteratur“ zu erstehen. In meiner Version sind von den knapp 3.000 Texten (davon ca. 1.800 deutschsprachige „Klassiker“) fünf im epub-Format fehlerhaft, lassen sich aber durch die entsprechenden pdf-Files ersetzen. Die Texte sind gut redigiert, Funktionen wie Volltextsuche und Inhaltsverzeichnisse sind vorhanden. Ab heute habe ich nicht nur die Lutherbibel und Goethes „Faust“ sondern auch mehrere Gedichtbände von Ada Christen, den „Witiko“ von Stifter und das publizistische und lyrische Hauptwerk von Betty Paoli immer bei mir.
Vor fünfzehn Jahren wurde der sogenannte Sokal-Hoax veröffentlicht, ein Artikel, der die geringen naturwissenschaftlichen Kenntnisse von Philosophen, Geistes- und Sozialwissenschaftlern und ihre dilettantische Kritik an „objektivem“ Wissen bloßstellen sollte. In zahlreichen weiteren Texten hat der Autor Alan Sokal seine Hauptaussage, Nicht-Naturwissenschaftler würden naturwissenschaftliche Begriffe verwenden, ohne sie zu verstehen, wiederholt. Ein interessanter Aspekt der Diskussion (mit dem ich mich auch in meinem Buch „Chaostheorie und Literaturwissenschaft“ beschäftigt habe) ist die Frage nach der Verwendung von Metaphern in den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen.
In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Democracy beschäftigt sich der Kulturwissenschaftler Michael Bérubé in einem lesenswerten Beitrag mit dem politischen Aspekt der Sokal-Debatte und kommt zum Schluss, dass eine krude Abwandlung des von Sokal (implizit) aufs Korn genommenen linken Relativismus den „Klimaskeptikern“ und den Vertretern des „Intelligent Design“ in die Hände spielt.