Dienstag, 10. Mai 2022 von Karin S. Wozonig
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Lied an das Beerchen

Nun ist es Zeit

Nun ist es Zeit!
Die Schwalbe pickt ans Fensterglas,
Es sprießt empor das junge Gras,
Vom Eise ist der Fluß befreit,
Nun ist es Zeit, nun ist es Zeit!

Nun ist es Zeit!
Hervor ihr Blümlein roth und blau,
Hervor ihr Veilchen auf der Au,
Hervor in eurem schönsten Kleid,
Nun ist es Zeit, nun ist es Zeit.

Nun ist es Zeit!
Ihr Vöglein über’m blauen Meer,
Du Nachtigall, nur rasch hieher,
Schon schwillt das Beerchen auf der Haid,
Nun ist es Zeit, nun ist es Zeit.

Nun ist es Zeit!
Nun Frühling auf! mit aller Macht,
Mit Sang und Klang und Blüthenpracht,
Mit deiner höchsten Seligkeit,
Nun ist es Zeit, nun ist es Zeit.

Aus „Frühlingsblätter“. Liederkranz von Johann N. Vogl, erschienen in Vesta. Taschenbuch für das Jahr 1835, dem Almanach, in dem auch das vorstehende Frühlingsgedicht Grillparzers abgedruckt wurde.

Donnerstag, 28. April 2022 von Karin S. Wozonig
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Höchste Zeit für ein Frühlingsgedicht

Frühlings Kommen

Der Wächter auf den Zinnen
Treibt gar gewaltgen Spuk.
Sieht er wohl Gäste kommen?
Er schreit: »Guck, guck! Guckguck!«

Ein Diener auf sein Rufen
Herum im Hause geht,
Der nimmt die weißen Hüllen
Vom schimmernden Gerät.

Ein andrer breitet Teppich,
Milchfarb und rosenrot;
Baumwollen das Gewebe:
Der Baum die Wolle bot.

Drauf kommen Musikanten,
Sie stimmen, proben nie,
Und doch, kommts nun zum Spielen,
Wie herrlich stimmen sie.

Ein Vorhang, rot von Seide,
Fliegt weichend von der Tür,
Der Pförtner, golden schimmernd,
Kommt öffnend draus herfür.

Halb zieht er nur den Vorhang,
Daß Tag und Dunkel gleich,
Da tritt herein der Fremdling,
Ein König in sein Reich.

Was Augen hat, schließt auf sie,
Im Garten Haupt an Haupt,
Am Raine schiebt und drängt sichs,
Die Gänge stehn umlaubt.

Am Tor auch pochts des Herzens.
Willst hier auch freien Lauf?
Nun, bringst du schöne Lieder,
So mach ich dir wohl auf.

Franz Grillparzer

Donnerstag, 28. April 2022 von Karin S. Wozonig
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Muster deutscher Redekünste – Vorwort

Seit den letzten Dezennien erfreut sich die deutsche Literatur einer besonderen Würdigung und Gunst in allen Ständen. Lesebücher, Sammlungen, Anthologien u. dgl. werden an allen öffentlichen und Privatschulen in Deutschland eingeführt und mit der Jugend gelesen. Dies und insbesondere der Mangel einer den ganzen Umfang der Redekünste umfassenden Sammlung hat mich bestimmt, eine Ausgabe von Mustern deutscher Redekünste mit besonderer Rücksicht auf neuere Literatur zu veranstalten, die zugleich den Verhältnissen unserer vaterländischen Jugend angemessen wäre; wobei ich zuvörderst die Bildung des jugendlichen Gefühls für alles Wahre, Schöne und Gute, zunächst aber die Kenntniß der Redekünste nach ihren mannigfaltigen Formen bei der Jugend zu befördern beabsichtige, um dieselbe durch Ausbildung des Geschmacks zu überzeugen, daß Versemachen nicht schon Poesie sei, und daß ein gewöhnlicher prosaischer Aufsatz, korrekt geschrieben, oft mehr Bildung benöthige, als es die Jugend zu denken gewohnt ist.

Möge der Jüngling immerhin seinen Geschmack an Dichtern bilden, nur soll sich keiner, dem einige Verse gelingen, für berufen halten, dieselben sogleich der Nachwelt übermachen zu müssen.

Die Menge der Dichterlinge und ihrer Produkte war es eben, welche die Poesie so in Miskredit gebracht hat, daß die jüngere Schwester mit ihrem hellstralenden Haupte nur mit Mühe aus diesem Schwalle emportauchen konnte. […]

Muster deutscher Redekünste mit besonderer Rücksicht auf neuere Literatur zur Bildung des Geschmacks und des Stils. Herausgegeben von Wilhelm Podlaha, Wien 1842.
Freitag, 1. April 2022 von Karin S. Wozonig
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Thomas Stangl. Ich weiß, ich wiederhole mich. Aber es gibt einen aktuellen Anlass:

Österreichischer Kunstpreis für Literatur
Preisträger: Thomas Stangl
Der Preis ist mit 15.000 Euro dotiert.
Jury: Dr. Bernhard Fetz, Mag.a Sabine Gruber und Dr.in Brigitte Schwens-Harrant

Jurybegründung:
„In eine Zeit, in der selbstgewiss verlautbarte Standpunkte aufeinanderprallen, stellt Thomas Stangl seit seinem Debüt Der einzige Ort (2004) seine Literatur, in der die Möglichkeiten der Sprache ausgelotet werden, mit der sich „Wirklichkeit“ erst erkunden lässt. Mit seinen Romanen, Erzählungen und Essays legt Stangl ein poetisches Netz über die Wirklichkeit und bereist und befragt diese damit. Er steht in der Tradition eines Prosaschreibens, das nicht zuerst auf die erzählte Geschichte baut, sondern auf die Wahrnehmung von Welt, die beeinflusst ist von Sprache, Denken und Erinnerung. Thomas Stangl eröffnet einen Raum der Verwandlung, der zugleich den Blick auf die Verhältnisse schärft.“

Dienstag, 8. März 2022 von Karin S. Wozonig
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Grillparzer ist alterslos

Über Grillparzer kann man aus vielen Gründen – einen finden Sie hier: Wahlgedanken – gar nicht genug schreiben, daher heute ein Hinweis auf eine Rezension des Buchs von Brigitte Prutti: „Franz Grillparzer. Porträts des Dichters als alter Mann“.

Mittwoch, 16. Februar 2022 von Karin S. Wozonig
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Paraphrase

Ein Menschenleben ach, es ist so wenig!
Ein Menschenschicksal, ach, es ist so viel!
Franz Grillparzer

Der Welle gleich, die, fortgespült vom Strande,
Spurlos im weiten Ocean verschwimmt;
Der Flamme ähnlich, die nach kurzem Brande
Zu einem todten Aschenrest verglimmt;
Ein Schatten nur, in täuschendem Gewande,
Der, kaum erschienen, auch schon Abschied nimmt:
Blindwaltenden Gesetzen unterthänig,
Ein Menschenleben, ach, es ist so wenig!

Allein in dieser winz’gen Spanne Zeit,
die uns, den Bildern eines Traums, gelassen,
Welch ein Gewog‘ von Lust und Kampf und Leid,
Von tiefstem Lieben und von tiefstem Hassen!
Ist auch das Leben kurz, das Herz ist weit
Und stark genug, die Ewigkeit zu fassen
Im Loos, das ihm für flücht’ge Tage fiel.
Ein Menschenschicksal, ach, es ist so viel!

Wien 16. Februar 1872

Betty Paoli

Freitag, 21. Januar 2022 von Karin S. Wozonig
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Kein Freund der Kleindichter

Betty Paoli schreibt über Franz Grillparzer, mit dem sie jahrelang freundschaftlich verbunden war:

Viele hielten ihn für einen Egoisten, weil er sich nicht von jeder Lappalie, wegen der man sich an ihn wendete, aus seiner stillen Gedankenwelt reißen ließ und überhaupt den Verkehr mit Anderen eher mied als suchte. Daran, meine ich, hat er sehr wohl getan; ein Mensch wie er hat einen anderen Beruf, als ein angenehmer Gesellschafter zu sein oder eine Kleindichterbewahranstalt zu gründen.

Donnerstag, 11. November 2021 von Karin S. Wozonig
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Einzüge

Um jetzt von mir einen Blick, ein Wort, ein Lächeln zu erhaschen, muß man Tischler, Tapezierer, Besenbinder oder dergleichen sein…

Betty Paoli am Tag vor ihrem Einzug in die Obere Bäckerstraße (Oktober 1855).
Montag, 6. September 2021 von Karin S. Wozonig
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Umzüge

Das Studienjahr ist zu Ende und es ist Zeit, wieder einmal umzuziehen. Das bringt mich zu einer ewigen Wahrheit:

Montag, 19. Juli 2021 von Karin S. Wozonig
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Vormärz in Luxemburg

Dieser Blog war längere Zeit konferenzfrei, was daran liegt, dass die Rahmenprogramme von Zoom-Konferenzen nicht der Rede wert sind. Heute habe ich wieder etwas zu berichten: Luxemburg (Stadt) hat eine Gratisstraßenbahn und schicke Stadträder, gutes Essen und einen gastfreundlichen Nationalbibliotheksdirektor, der in einer interessanten, neuen Nationalbibliothek wirkt.

Das Thema der besagten Konferenz war der Adel im Vormärz. Und wer denkt da nicht an die geistreiche Fürstin Schwarzenberg und ihren schriftstellernden Sohn Fritz? – die für mich, ich gebe es unumwunden zu, ohne Betty Paoli (bürgerlich Betty Glück) nur halb so lustig wären.

Wenngleich ein Teil des geplanten Rahmenprogramms der Konferenz buchstäblich ins Wasser gefallen ist, so bestand doch genug Gelegenheit, die Distanz zwischen den Ständen, Zeiten und Disziplinen auch außerhalb der Vorträge und Diskussionen zu überwinden (innerhalb sowieso). Merci beaucoup.