Samstag, 7. Juli 2012 von Karin S. Wozonig
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Kempner atemlos

Ein letztes Mal möchte ich mich in meinem Blog luftig-sommerlich mit Friederike Kempner, der unfreiwillig komischen Dichterin beschäftigen. Im Vorwort der fünften Auflage ihrer Gedichtsammlung beklagt sie sich darüber, dass sie sich

wie mancher Beherrscher von Rußland … fast täglich von anonymen Briefen heimgesucht

sieht, von Briefen „anonymer Feindschaft“ nämlich, als die Kempner Spott und Hohn über ihre missglückten Verse zeitlebens betrachtete. Aber ganz richtig beobachtet sie, dass

das liebenswürdige Publikum diese gemeinen Angriffe kaum seiner Entrüstung gewürdigt und in seiner reichen Gunst sind die Gedichte ein bleibendes Buch geworden.

Wie in einem früheren Blogeintrag berichtet, war die Erfolgsautorin Gabriele Reuter, deren Roman Aus guter Familie (1895) mit beklemmender Genauigkeit die emotionale Über- und intellektuelle Unterforderung von bürgerlichen Frauen in ihrer Zeit schildert, ein Fan der „göttlichen Rieke“.

Auch Marie von Ebner-Eschenbach (über die Gabriele Reuter eine biographische Skizze verfasst hat), kannte die Gedichte Kempners und nützte eines davon für die Charakterisierung einer weiblichen Figur in ihrer Erzählung Bertram Vogelweid: Siglinde, von ihrer Mutter genötigt in Gesellschaft ein Gedicht vorzutragen, bekommt „schwere Atembeklemmungen“, trotzdem bereitet sie mit ihrem Vortrag dem Auditorium „ein wahres Vergnügen“. Ebner-Eschenbach konnte voraussetzen, dass Kempners „Wanderer“, von „Lindchen“ mit nervöser Kurzatmigkeit rezitiert, ihren Leserinnen und Lesern bekannt war.

Der müde Wandrer sitzet am Steg,
Vorüber eilet der Fluß,
Am Ufer lehnend, die Hände gekreuzt,
Und badet den müden Fuß.

Die Hände so braun und braun ist der Fuß,
Noch brauner ist das Gesicht,
Wo kam er nur her, der müde Gesell,
Wahrhaftig, ich weiß es nicht.

Dienstag, 26. Juni 2012 von Karin S. Wozonig
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Gabriele Reuter lernt dichten

Der verschwurbelte Stil und der holprige Vers von Friederike Kempners Gedichten fordern zur Parodie auf. Das kann durchaus einen Lerneffekt und Auswirkungen auf das persönliche Leben haben, wie die Erfolgsautorin Gabriele Reuter zu erzählen weiß:

Der Abend bei Blombergs brachte uns nicht allein künstlerische und poetische Genüsse – er verschaffte uns auch die Bekanntschaft einer Dichterin von gänzlich anderer Art – die uns von nun an eine Quelle nicht endenwollenden Vergnügens wurde. Die göttliche Rieke! Friederike Kempner!

Wer weiß heute noch von ihr? Damals war sie einem Kreise intimer humoristischer Genießer bekannt – bis Paul Lindau sie entdeckte und eine Zeitlang ganz Deutschland von ihr redete und sie dann vergaß. Diese noch nicht dagewesene Mischung von höchstem Gedankenflug mit grotesken Vergleichen und trivialen Wendungen, dieser kindische Größenwahn, der sich echter Menschenliebe und dem feurigsten Eifer für die Leiden aller Unterdrückten verband, mußte auf Menschen, die das Leben vom Gesichtswinkel des Humoristen aus betrachteten und den tiefen Sinn für die hinter ihm lauernde Tragik besaßen, wie Elisabeth, geradezu erschütternd wirken. Sie konnte sich begeistern an Naturschilderungen mit dem immer wiederkehrenden Refrain:

O Röslein mein,
Mimöslein klein –
Und lustig hüpfendes Vögelein,

oder jene andere grandiosere:

Laßt mich in die Wüste laufen,
Wo die vierzig Palmen sind,
Wo die Dromedare saufen
Und die Quelle ewig rinnt,
Dort in jenen schatt’gen Räumen
Mit dem großen Geist allein
Will ich alle glücklich träumen
Und werd‘ selber glücklich sein!

Am nächsten Morgen schon wurde das Gedichtbändchen bestellt, das vorn das Bild der Dichterin zeigte, im karierten Rock, sinnig die Feder in der Hand haltend. Wir begannen fortan die Menschen einzuteilen in solche, die die göttliche Rieke verstanden, und in solche, die die Schätze, die sie bot, nicht zu würdigen wußten. Als mir einige neue Strophen ganz in Riekes überraschender Manier gelangen, hat dies Elisabeths Freundschaft zu mir mehr gefördert als mein jahrelanges stilles Werben.