Montag, 11. Juni 2012 von Karin S. Wozonig
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Kempner ohne Titel

Das im vorigen Blogeintrag zitierte Gedicht „Amerika“ von Friederike Kempner lässt sich an unfreiwilliger Komik durchaus übertreffen, mit einem Gedicht ohne Titel aus der Feder der gleichen Autorin. 1882 dichtet sie, Goethe die Reverenz erweisend:

Kennst Du das Land
Wo die Lianen blühn
Und himmelhoch
Sich rankt des Urwalds Grün?
Wo Niagara aus den Felsen bricht,
Und Sonnengluth den freien Scheitel sticht? –

Kennst Du das Land,
Wohin Märtyrer ziehn,
Und wo sie still
Wie Alpenröslein glühn?
Kennst Du das Land, kennst Du es nicht?
Die zweite Heimath ist’s, so mancher spricht!

Montag, 14. Mai 2012 von Karin S. Wozonig
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Biedermeier als Parodie

Das Grimmsche Wörterbuch weiß zum Begriff „Parodie“ zu sagen:

umbildung einer bekannten ernsten dichtung mit beibehaltung ihrer form ins scherzhafte oder spöttische, dann auch im übertragenen sinne (aus griech. parōdía neben-, gegengesang, dann umdichtung allgemein bekannter und berühmter gedichte, so dasz bei geringer veränderung der worte statt des erhabenen ein gemeiner und lächerlicher sinn hervorgeht.)

Aus dem Biedermann (vir bonus) ist mit wenigen literarischen Griffen ein Biedermeier zu machen und die begriffliche Gratwanderung entspricht der so bezeichneten Epoche.

Rudolf Rodt hat nicht nur an der parodistischen Epochenbezeichnung mitgewirkt, sondern auch ernste Dichtung mit Beibehaltung ihrer Form ins scherzhafte umgebildet. Während der „Taugenichts“ von Eichendorff spätromantisch-freudig „nach Italien, nach Italien!“ läuft, wo er das gute Leben findet und wo Goethes „Mignon“ von Zitronenblüten und Gold-Orangen träumt, „wohnt“ in Rodts Italien die mehrdeutige Pomeranze. Und so sieht der sehnsüchtige Wanderlustige aus Rodts Gedicht „Wanderlust“ (1849) Kalifornien:

Aber jetzt! nach Kalifornigen
Jagt es mir den Sinn den zornigen,
Der schon längst dahin geschwärmt:
Wo die goldnen Adern ziehen,
Durch die schweigenden Prairieen,
Und der Sakramenter lärmt –
Dahin, Alter, laß mich ziehn!

Nach Kalifornigen, nach Kalifornigen
Fang ich an das Lied von vornigen,
Wo der ew’ge Dollar rollt,
Wo es gelber wird und gelber,
Wo des Wandrers Adern selber
Wandeln sich in flüssig Gold –
Alter, dahin muß ich ziehn!

Dahin, wo bei Tropenhitze
Auch in der geringsten Pfütze
Noch ein echter Goldfisch irrt;
Wo die Quellen, die gefrieren,
Sich zu Gold statt Eis fixiren,
Wenn es jemals Winter wird –
Dahin, Alter, möcht ich ziehn.

Dort wo unter jeder Scholle
Von Dukaten eine Rolle
Schlummernd uns entgegen lacht;
Wo das Silber ist Lappaligen,
Wo der Mensch mit Viktualien
Glänzende Geschäfte macht –
Dahin, Alter, laß mich ziehn! –

Dienstag, 25. Januar 2011 von Karin S. Wozonig
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Bestseller von einst

Die nächste Nummer des Jahrbuchs des Forum Vormärz Forschung wird sich dem Thema „Wissenskulturen“ widmen. Ich werde dazu beitragen und befasse mich daher seit einiger Zeit wieder mit dem Arzt und Dichter Ernst von Feuchtersleben. Sein Buch mit dem Titel „Zur Diätetik der Seele“ war ein Bestseller seiner Zeit. Dem „Büchlein“ liegt „manch bitt’re Selbsterfahrung“ zugrunde, schreibt der Autor in einem Vorwort. Die Seelendiätetik soll vor Hypochondrie und Melancholie bewahren. Es gibt einige sehr konkrete Anweisungen in dem Text, vor allem sollte man sich nach Feuchterslebens Ansicht ein Vorbild an Goethe nehmen. Andere Autoren hingegen sind zu vermeiden:

Hypochondrie, entgeistete, grämliche, affadirende Hypochondrie ist die Amme der modernen Literatur, und man wird nächstens, zur richtigen Beurtheilung unserer jüngsten Dichter, des Arztes statt des Recensenten bedürfen. […] Solche Dichter ziehen dann natürlich ihr Publikum nach, – und da jetzt fast Alles Publikum ist, Alles von Literatur singen und reden will, – so begreift sich, wie nöthig es ist, daß man diese literarischen Interessen in einer diätetischen Schrift bespreche, wenn man noch einen Theil des Publikums vor dem Gräuel der Hypochondrie retten will. Es gehört also zur Diätetik der Seele, daß wir, weil wir die soi-disants Young’s und Byron’s unserer Tage doch nun einmal kaum überzeugen werden, daß sie vorerst was Rechtes lernen sollten, – es gehört, sage ich, zur Seelendiätetik, daß wir sie jammern lassen sollen.

Sonntag, 13. September 2009 von Karin S. Wozonig
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Schanzenfest reloaded

Aus Ärger darüber, dass das Schanzenfest im Juli dieses Jahres unter dem unbedachten Einsatz der Hamburger Polizei gelitten hat, gab es gestern eine neue Auflage dieser traditionsreichen und traditionell unangemeldeten Veranstaltung. Und ich war dabei. Ein friedliches Straßenfest mit Flohmarkt habe ich tagsüber erlebt und auch abends hat sich alles sehr gut angelassen. Phantasievolle Sprüche auf Plakaten waren da zu sehen und eine Kissenschlacht vor der Roten Flora, wovon das Centro Sociale ein schönes Foto in seinem Blog hat. In diesem Blog kann man sich auch über die Entwicklung von Schanze und Karoviertel in den letzten Jahren und die Auswirkungen auf die Anwohner informieren. Und wenn man es denn wissen will, kann man verstehen, dass das Schanzenfest ein politisches Statement ist.

Ich habe auf dem Schanzenfest gelernt: Für den Wert von drei Ü-Eier-Figuren bekommt man am Flohmarkt eine Taschenbuchausgabe von Goethes Schriften zur Weltliteratur (Insel 1987).