Samstag, 29. Dezember 2018 von Karin S. Wozonig
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Ökonomische Fangorgane

Und da habe ich mir gedacht, daß der Mensch zweimal bedürfnislos ist, einmal im Naturzustande, das andere Mal auf dem höchsten Grade der Bildung. Was dazwischen liegt – daß Gott erbarm! (…) Wer künstlich Bedürfnisse schafft, wie es ein großer Teil unserer Industrie, unseres Handels tut, der schafft Unzufriedenheit. Wer sich von einem ursprünglich harmlosen Lebensgenießen ablenken läßt und in eine Überfülle moderner Werte gerät, der ist bald ein Übersättigter und Ungesättigter zugleich. Warum dem armen Menschen tausend Fangorgane und tausend Genußherzen anzüchten wollen, wenn zwei Arme zur Arbeit und ein Herz zum Genießen bisher ausgereicht haben!

aus Peter Rosegger: Erdsegen. Vertrauliche Sonntagsbriefe eines Bauernknechtes. Ein Kulturroman. (Erstdruck 1897/98)

Im guten Buchhandel wohlfeil zu erwerben: Peter Rosegger. Ausgewählte Werke. Gesamtschuber mit 4 Bänden. Mit Vorwort, Materialien und Kommentar, herausgegeben von Daniela Strigl und Karl Wagner. Styria Verlag 2018

Samstag, 7. Juli 2018 von Karin S. Wozonig
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Weltheimat Poesie

Peter Rosegger, von Marie von Ebner-Eschenbach in einem Brief als „lieber Meister“ tituliert, ist jetzt auch schon hundert Jahre tot. Das Jubiläum bleibt nicht unbemerkt, im Gegenteil: Roseggerfestspiele, Roseggerausstellung, Rosegger in Funk und Fernsehen. Da stellt sich natürlich die Frage: Liest den eigentlich auch irgendwer? Können tun wir es, jetzt ganz neu in einer sehr schönen, zuverlässigen Ausgabe: Peter Rosegger: Ausgewählte Werke. Zwei Bände gibt es schon, zwei kommen noch. Wer damit durch sein wird, wird die wichtigsten Texte des „Heimwehmenschen“ (Stefan Zweig über Rosegger) gelesen haben.

Peter Rosegger
An die Welt!

Ich hab‘ mir erbaut
Ein Häuschen allhier;
O Leben so laut,
Was willst Du von mir?
O führ‘ mich nicht hin
In’s brausende Feld,
Ich bleib‘ was ich bin,
Mir selber die Welt.
Mein Glück ist in mir,
Nicht gebe mir dich;
Ich will nichts von dir,
Nur lasse mir mich.

So steht es im Marienbader Fest-Album von 1868. Und die Begründung, warum man überhaupt Literatur lesen sollte – die Frage stellt sich natürlich nicht erst heute – liefert im selben Fest-Album die gescheite Betty Paoli.

Betty Paoli
Den Poesieverächtern

Ihr scheucht die Poesie
Von euerm Herde,
Und ahnet nicht, daß sie
Das Salz der Erde!
Daß Nebel nur und Rauch
Was ihr beginnet,
Wenn’s nicht durch ihren Hauch
Bestand gewinnet!

Kein Wahnbild fremd und fern,
Entrückt dem Streben,
Sie ist der tiefste Kern
Von allem Leben!
Der Kern, deß Gluth und Licht
Es froh durchflammen.
Vermorschet er, dann bricht
die Welt zusammen.

 

Montag, 21. August 2017 von Karin S. Wozonig
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Sommerfrischlers Nord-Süd-Gefälle

Wer z.B. unsere steierischen Dörfer seit dreißig Jahren heute das erstemal wiedersieht, der wird sie kaum mehr erkennen. Das allgemeine Aufstreben hat auch das Bauernthum ergriffen, und dort – insofern es die Leute nicht vom Bauernstand hinaus, sondern eigentlich erst in denselben emporgehoben hat – erfreuliche Umgestaltungen hervorgebracht. … Jeder kann nicht „Herr“ sein, aber man ist auch im Bauernstand ein freier Mann; Jeder kann nicht in einem Stadtpalast wohnen, aber man hebt auch in der Hütte an, menschenwürdig zu leben. Im Unterlande der Steiermark – besonders im fruchtbaren Lande der Slovenen – läßt diese „Menschenwürdigkeit“ freilich noch sehr viel zu wünschen übrig, und was die Zustände der Bauernhäuser und Dörfer anbelangt, erinnere ich mich an den Ausspruch jenes boshaften Fremden: die Grenze zwischen Europa und Asien gehe mitten durch die Steiermark. Das Unterland hat paradiesische Gegenden, wer weiß es nicht! und doch wird sich selten ein städtischer Sommerfrischler in eine jener Bauernschaften verirren, wenn er in derselben nicht etwa sein Winzerhaus oder sein Schloß hat; während die obersteierischen Dörfer, kaum minder als die salzburgischen, tirolischen und kärntnerischen, selbst die entlegenen, bescheidenen, sich von Jahr zu Jahr mehr mit Städtern füllen. … Zum Theile für solche Gäste ist es berechnet, wenn die Häuser und Dörfer von Jahr zu Jahr hübscher und einladender herausgeputzt werden. … Gewiß ist, daß der Bauer den materiellen Vortheil zu schätzen beginnt, und dass manche oberländische Ortschaft ein gutes Sommerfrischjahr einer guten Ernte vorzieht.

Peter Rosegger: „Von dem Verhältnisse unserer Bauern zu den Sommerfrischlern“. In: Bergpredigten. 1885