Montag, 25. April 2011 von Karin S. Wozonig
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Seume in Graz

Graz

Hier will ich einige Tage bleiben und ruhen: die Stadt und die Leute gefallen mir. Du weißt, daß der Ort auf beiden Seiten der Murr sehr angenehm liegt; und das Ganze hat hier einen Anblick von Bonhommie und Wohlhabenheit, der sehr behaglich ist. … Graz ist eine der schönsten großen Gegenden, die ich bis jetzt gesehen habe; die Berge rund umher geben die herrlichsten Aussichten und müssen in der schönen Jahreszeit eine vortreffliche Wirkung tun. Das Schloß, auf einem ziemlich hohen Berge, sieht man sehr weit; und von demselben hat man rund umher den Anblick der schön bebauten Landschaft, die durch Flüsse und Berge und eine Menge Dörfer herrlich gruppiert ist. … Die Grazer sind ein gutes, geselliges, jovialisches Völkchen; sie sprechen im Durchschnitt etwas besser deutsch als die Wiener.

Johann Gottfried Seume: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802

Donnerstag, 14. April 2011 von Karin S. Wozonig
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Seume, Gnade und Gerechtigkeit

Im Vorjahr habe ich als Ausgründung meines literarischen Salons „Kaffeehausgespräche“ eine „Neigungsgruppe ‚Der Mann ohne Eigenschaften'“ gegründet, in der über den Jahrhundertroman von Robert Musil gesprochen wurde. Das Interesse an dem Buch erlahmte noch weit vor dem Krypto-Inzest und es gibt ein Nachfolgeprojekt: die Lese- und Diskussionsgruppe „Mit Seume nach Syrakus“, die sich Johann Gottfried Seumes Reisebericht „Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802“ widmet. Das erste Treffen der Gruppe wird am 17. April stattfinden, Weitere Informationen gibt es auf www.kaffeehausgespraeche.de

Aus gegebenem Anlass werde ich in meinem Blog in unregelmäßigen Abständen aus Seumes Buch zitieren. Ich beginne heute mit einer Reflexion, die ihren Anfang ungefähr in der Mur-Mürz-Furche genommen hat:

Jeder soll billig sein für sich; das ist menschlich, das ist schön; aber alle müssen gerecht sein gegen alle; das ist notwendig, sonst kann das Ganze nicht bestehen. Der billige Richter ist ein schlechter Richter, oder seine Gesetze sind mehr als mangelhaft. Die Billigkeit des Richters wäre ein Eingriff in die Gerechtigkeit. Zur Gerechtigkeit kann, muß der Mensch gezwungen werden, zur Billigkeit nicht; das ist in der Natur der Sache gegründet. … Wir haben Billigkeit, Großmut, Menschenliebe, Gnade und Erbarmung genug im einzelnen, bloß weil wir im allgemeinen keine Gerechtigkeit haben. Die Gnade verderbt alles, im Staate und in der Kirche. Wir wollen keine Gnade, wir wollen Gerechtigkeit; Gnade gehört bloß für Verbrecher; und meistens sind die Könige ungerecht, wo sie gnädig sind. Wer den Begriff der Gnade zuerst ins bürgerliche Leben und an die Stühle der Fürsten getragen hat, soll verdammt sein, von bloßer Gnade zu leben; vermutlich war er ein Mensch, der mit Gerechtigkeit nichts fordern konnte.

Seume: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802.