Donnerstag, 25. Januar 2018 von Karin S. Wozonig
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Veröffentlicht in Literatur,Welt

In der Haut des Architekten

Thomas Stangl hat einen neuen Roman geschrieben. Er spielt (im mehrfachen Wortsinn) in Afrika, in einer Stadt mit dem Namen Belleville, in der Französisch die Kolonialsprache und vielleicht Ewe die richtige Sprache ist. Aber diese Eckdaten sind gar nicht wichtig. Alles, was es über die Stadt zu wissen gibt, wenn man wie der Protagonist als Europäer dorthin zu einem Kongress fährt, wird uns beschrieben. Der Sand auf den Straßen, die Struktur der Mauern, die Gerüche, die Farben der Hühner, der Weg zum Meer; alles nimmt der Architekt deutlich und überdeutlich wahr.

Anfangs nur „der Architekt“ wird der Protagonist später, wenn wir ihn ein bisschen näher betrachtet haben, „dieser Architekt“ und irgendwann, recht spät im Buch, bekommt er einen Namen, der österreichisch-passender nicht sein könnte: Hiesl.

Und er selbst hat auch einen Namen und hat sich (so kommt es ihm jetzt vor) an seinem Namen ins Lokal zerren (also retten) lassen.

stellt der Protagonist verwundert fest, als ein doppelter Deus ex Machina ihn vor dem endgültigen Selbstverlust auf einem Straßenmarkt bewahrt.

Der Architekt, der sich im fremden Land und im eigenen, immer und noch fremder werdenden Leben zu verlieren droht, wird von einem Paar auf einen, wenn auch nicht den rechten Weg gebracht. Der Mann sieht aus wie Foucault und die Frau ist makellos schön. Aber außerdem bleibt uns der Architekt bis zum Ende (an dem er dann noch einmal, wie am Anfang, ins Flugzeug nach Afrika gestiegen sein wird) lebend erhalten, weil ein Ich im Text ihn nicht in eine Baugrube stürzen lässt, in der er mit ein bisschen Pech auf Metallteilen aufgespießt worden wäre. Auf der Erzählebene des Architekten rettet ihn seine belgische Kollegin, mit der er eine Affäre gehabt hat, die er in Belleville hätte weiterführen können, wäre ihm das Eintauchen und Untergehen und nahezu Absorbiertwerden im fremden Land nicht wichtiger als Intimität mit der Frau, in die er verliebt ist.

Das Ich, das seine beklemmenden Träume und Bruchstücke seiner Vergangenheit parallel zur Geschichte des Architekten erzählt, spielt seine eigene Bedeutung für den Roman herunter:

Nur so kann man spielen: immer an der Grenze bleiben, halb im Spiel, halb in der Wirklichkeit, es sind Personen der Handlung, ein Mann, eine Frau, beliebig vermehrbare Agenten, was außerhalb ist, zählt nicht, das Ich zählt nicht.

Aber das Ich stellt mit dem Architekten eine zutiefst verunsicherte Gestalt auf die Bühne, die Figur spürt das Verschwimmen der Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit, Vergangenheit und Gegenwart, Innen und Außen bis unter die Haut. Die Detailtreue der vorwiegend unangenehmen Körperempfindungen machen diesen Roman, in dem auf den ersten Blick vor allem gedacht und erinnert wird, sinnlich. Das Buch ist sozusagen randvoll mit Betrachtungen über das Fremde und das Eigene (er ist bestes Futter für die postcolonial-Germanistik), über Familie und Generationen und über die Gespenster, die uns umtreiben und daran hindern, im Kopf oder in der Wirklichkeit an einem Ort und an der Seite eines Menschen Wurzeln zu schlagen.

Es finden sich fein gestaltete Szenen aus der herausgehobenen und im größeren Maßstab betrachtet lächerlichen Mitte (mittel gebildet, mitteleuropäisch, Mittelschicht), es ist ein komplexes und kompliziertes Buch (der blurb sagt: „ein sprachliches Kunstwerk, eine groß angelegte Reflexion über das Sein…“) und gleichzeitig eine handfeste Geschichte über eine Reise.

Dass das funktioniert, liegt an der Strategie des Ichs, das uns vielleicht sein Rezept verrät:

Man darf sie nur nicht herbeizwingen, diese Frau dort, diesen Mann, die jetzt noch etwas undeutlich erscheinen, ziemlich weit weg (und doch ist ihre Nähre schon spürbar). Denn die Papierexistenzen sind dann oft mächtiger und einflussreicher als die wirklichen, ich weiß das, ich lebe seit Jahren von ihnen und halte mich manchmal selbst für eine.

Derweil der Architekt

(der weniger bekannt für seine Gebäude als für seine Ideen ist)

denkt,

Aufgabe des Architekten ist es, Grenzen zu öffnen, die Häuser zum Leben zu bringen

und der sich unter anderem auch in ein Haus verwandelt fühlt.

Mit höchster Konzentration auf beiden Seiten lässt dieser Roman auch die Leserin in die fremde Haut schlüpfen, ein seltenes Leseerlebnis.

Thomas Stangl: Fremde Verwandtschaften. Roman, Droschl 2018, 272 Seiten

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