Ein ganzer Kontinent im Salon
Mein Privatvergnügen „Kaffeehausgespräche“ hat einen neuen Termin und an diesem ein großes Thema. Alle Informationen dazu finden Sie im Blog zum Salon.
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Den Frau’n die Zukunft! Also geht der Ruf
Durch uns’re tiefbewegte Gegenwart,
Die mächt’ge Wellen schlägt und unter ihnen
Begräbt, was auf Vergangenheiten pocht…Den Frau’n die Zukunft! Und schon rütteln sie
An ihren Pforten mit erwachter Kraft.
In heißem Wissensdurst, im Thatendrang
Ausstrecken sie nach oben weiße Arme
Und greifen mit den feingeformten Händen
Nach Bürgerkronen und nach Lorbeerkränzen.Nach Lorbeerkränzen … Einzig hohe Zier,
Ach, so begehrt – und selten nur erreicht,
Nicht jetzt erst schwebst du voll Verheißungen
Weiblicher Sehnsucht vor! Nein, seit die Dichtkunst
Den Reigen führt, der sich in heil’ger Nennzahl
Auf strahlend lichten Geisteshöhen schwingt,
Hast schöne Frauenstirnen du umflochten,
Wardst du errungen von Begnadeten,
Die sich erhoben über ihr Geschlecht
Und ihrer Namen ew’gen Dauerglanz
Dem Schriftthum aller Völker eingezeichnet.O Reiz der Frauendichtung! Ob sie sapphisch
Der Liebe Schmerz, der Liebe Wonnen singt –
Ob sie, ergriffen von dem Drang der Zeit,
Der Menschheit großen Fragen zugewendet,
Gestalten schafft und, sinnreich sie verknüpfend,
Deutsame Lebensbilder weit entrollt:
Sie war und ist ein heller Spiegel stets
Der innersten Persönlichkeit. […]
aus: Prolog zur Feier des siebzigsten Geburtstages unseres Ehrenmitgliedes Marie von Ebner-Eschenbach. Gesprochen im k. k. Hofburgtheater am 13. September 1900. Von Ferdinand von Saar
Strauß hatte vorige Woche seine Benefize beim Sperl, welches er mit dem äußerst arroganten Titel: Wien, wie es ist ausstaffirte. Ist denn dieser wunderlich ernste junge Mann, wie ihn unsere Tagblätter nennen, der Universal-Typus für jede Art unserer Vergnügungen? … Da ist Lanner viel solider!
Das musste jetzt, am Ende des Neujahrskonzertreigens und anlässlich der Ballsaison, wirklich einmal gesagt werden. (Quelle: Anonyme Notiz in: Der Spiegel für Kunst, Eleganz und Mode, 10. September 1831)
Und da habe ich mir gedacht, daß der Mensch zweimal bedürfnislos ist, einmal im Naturzustande, das andere Mal auf dem höchsten Grade der Bildung. Was dazwischen liegt – daß Gott erbarm! (…) Wer künstlich Bedürfnisse schafft, wie es ein großer Teil unserer Industrie, unseres Handels tut, der schafft Unzufriedenheit. Wer sich von einem ursprünglich harmlosen Lebensgenießen ablenken läßt und in eine Überfülle moderner Werte gerät, der ist bald ein Übersättigter und Ungesättigter zugleich. Warum dem armen Menschen tausend Fangorgane und tausend Genußherzen anzüchten wollen, wenn zwei Arme zur Arbeit und ein Herz zum Genießen bisher ausgereicht haben!
aus Peter Rosegger: Erdsegen. Vertrauliche Sonntagsbriefe eines Bauernknechtes. Ein Kulturroman. (Erstdruck 1897/98)
Im guten Buchhandel wohlfeil zu erwerben: Peter Rosegger. Ausgewählte Werke. Gesamtschuber mit 4 Bänden. Mit Vorwort, Materialien und Kommentar, herausgegeben von Daniela Strigl und Karl Wagner. Styria Verlag 2018
Nein, nicht was Sie denken – keine Weihnachtslieder. Es geht um den literarischen Kanon. Dass Betty Paoli aus dem niemals hätte herausfallen dürfen und ihr Gedicht Ich jedem gebildeten Menschen bekannt und überhaupt obligates Maturawissen sein sollte, ist klar. Andere Dichterinnen und Dichter hingegen, die seinerzeit so ausgesehen haben, als würden sie nie untergehen, haben es nicht besser verdient – sagen wir heute und könnten uns dann aber auch die Frage stellen: Warum war jemand dereinst wirklich berühmt, kanonisiert (also zum Maßstab erhoben) und ist heute zu Recht vergessen? Thomas Keul, Herausgeber der Zeitschrift VOLLTEXT, hat eine Serie daraus gemacht und nächste Woche gibt es in Wien eine Veranstaltung dazu: alte schmiede. Reihe Literatur als Zeit-Schrift XXVIII
Betty Paoli hat es in die Schweiz geschafft, in die Sendung „Weltschmerz Österreich“ des SRF.
Hier und da wird der 200. Geburtstag von Iwan Turgenjew begangen. Das soll auch in diesem Blog nicht unbedacht bleiben. Erstens empfehle ich die neue Übersetzung der Novelle „Erste Liebe“ aus der Reihe textura, ein Buch im Blumenkleide. Und zweitens weise ich darauf hin, dass die russophile Betty Paoli, die nicht nur in Russland gelebt, sondern auch aus dem Russischen übersetzt hat, den Dichter dereinst kennenlernte und mit ihm, wenn auch nur kurz, korrespondierte. Seine Novellen schätzte sie sehr.
Marie von Ebner-Eschenbach war mit feinem Humor und Sprachwitz gesegnet, was man zum Beispiel in ihrer Erzählung „Bertram Vogelweid“ (1896) nachlesen kann. Über den Bertram wird allerdings auch im engeren Ebner-Eschenbach-Kreis wenig geredet, er wird unterschätzt. Als „Literaturbetriebs- und Dilettantensatire“ (Daniela Strigl) mit einem Erfolgsautor am Rande des Nervenzusammenbruchs als Helden ist die Geschichte hochkomisch, und sollte sich die Thalhof-Prinzipalin einmal für die leichte Kost entscheiden (bisher wurden von ihr drei tiefgründige Erzählungen Ebner-Eschenbachs auf die Bühne gebracht), dann böte sich „Bertram Vogelweid“ an. Allein schon die Eingangsszene, in der der Protagonist einen Kampf gegen seine Schreibtischschublade führt, würde sich auf der Bühne gut machen.
Diese Erzählung hat aber auch Tiefgang, denn der zerrüttete Bertram Vogel trifft bei der Suche nach dem mährischen Landidyll auf den hetzenden Jungtschechen und Antisemiten Meisenmann und die Abgründe des Nationalitätenkonflikts, an dem letztlich die Habsburgermonarchie untergehen wird, tun sich auf. Über diesen, in ihrer Entstehungszeit höchst aktuellen Aspekt der Erzählung habe ich in Kraków/Krakau, Polen, gesprochen. Die interdisziplinäre Konferenz fand unter dem Titel „slawisch-deutsche Begegnungen“ statt, war die dritte ihrer Art und hat gezeigt, dass es sich bei dem Thema um ein weites Feld handelt.
Wie immer, wenn ich hier in diesem Blog über eine Konferenz schreibe, spare ich die wissenschaftlichen Details aus und richte mein Augenmerk auf das Rahmenprogramm: Polnisches Essen mit Livemusik – man gab unter anderem den Radetzky-Marsch, sozusagen die musikalische Umkehrung des Ringens der Völker um Unabhängigkeit von der österreichischen Krone –, und eine Lesung von Juliana Kálnay. Und wer hätte gedacht, dass man in Kraków/Krakau usbekische Manti bekommt?
Nächstes Jahr findet die Konferenz der Reihe wohl in Osijek statt. Ich bin überzeugt, zum Thema slawisch-deutsche Beziehungen gibt es noch sehr viel zu sagen.