Vor einiger Zeit habe ich mich im Zuge einer Recherche zum Thema „Literaturkritik und Internet“ intensiv mit Buchrezensionen im Feuilleton deutschsprachiger sogenannter Qualitätszeitungen befasst. Eine geballte Ladung Borniertheit eines Kritikers hat mich davongetrieben und ich habe mich daran erinnert, dass Literatur schreibende Menschen immer auch Literatur lesende Menschen sind, die gelegentlich über Literatur schreiben. Und so erfreue ich mich seit einiger Zeit an den Texten von Ruth Klüger („Was Frauen schreiben“, Wien 2010) und Brigitte Kronauer („Favoriten. Aufsätze zur Literatur“, Stuttgart 2010). Die beiden Autorinnen schreiben unter anderem über Werke und Leben von J.K. Rowling, Margaret Atwood, Wilhelm Raabe, Robert Walser und Jean Paul. Das tun sie fast immer in einem Ton, der zur Literatur hinführt. Das sollte Literaturkritik meines Erachtens auch können und zwar begründet. Ich meine nicht, dass die Literaturkritik unbedingt zu einem besprochenen Werk hinführen sollte – Gefälligkeitskritiken gibt es ohnedies zu oft –, sondern dass Literaturkritik die Kunst, deren Material die Sprache ist, würdigen sollte. Das fällt jenen leichter, die es selbst einmal ausprobiert haben.
Zeitung für die elegante Welt, 21. Juni 1843:
Carl Beck ist angekommen, um einige Monate hier zu bleiben, und wurde von einigen seiner vielen Freunde und Verehrer mit einem, ihm zu Ehren veranstalteten Diner im Prater freudig empfangen. Ein größeres Gedicht, das er in Pesth geschrieben, soll die ausgesprengten Gerüchte von früher Ermüdung aufs Siegreichste Lügen strafen. – Nun, es thut fast schon Noth, um die Ehre der anerkannten österreichischen Lyrik zu retten. – Von den zwanzig Bänden lyrischer Gedichte, die seit zwei Jahren erschienen, ist keiner außer den beiden Bänden von Betti Paoli stark genug dazu.
Vorige Woche hatte ich das Vergnügen, in der Buchhandlung Schopf vor einem äußerst liebenswürdigen Publikum über Buch-Neuerscheinungen zu sprechen, die ich in meinen Urlaubskoffer packen würde. Herzlichen Dank an Silke und Dietrich für die Einladung!
Ganz oben auf meiner Bücherliste standen an diesem Abend Homer&Langeley von E. L. Doctorow und das sehr schöne Buch Das Herz auf der Haut (mare-Verlag), eine Sammlung von Texten über das Tattoo. Das zweite wird wohl auch auf meiner Liste für eine sommerliche Veranstaltung zum Thema Neuerscheinungen deutscher Gegenwartsliteratur stehen, nicht nur wegen der vielen lesenswerten Texte, sondern auch weil das Buch aufgrund seiner liebevollen Gestaltung eine gewisse Almanach-Anmutung hat.
Aus dem Tagebuch der Ottilie von Goethe, 12. Juni 1841: „Mr. Stout der Amerikaner besuchte mich, dann Herr Hartmann der junge böhmische Poet den mir Dr. Frankl angekündigt; er brachte mir in Frankls Nahmen den Roman von Fl Glück (Betty Paoli) für den ich einen Verleger suchen soll.) Direktor Schmidt kam, Herr von Griesinger kam; Mr. Travers der Engländer kam; Betty Glück kam.“
Bei dem Roman handelt es sich um „Die Ehre des Hauses“, der 1844 – nicht auf Vermittlung von Frau von Goethe – als erster Band der Novellensammlung „Die Welt und mein Auge“ bei Cotta erschien.
Die Literaturgeschichte lebt, so könnte man meinen, von einigen wenigen einflussreichen Schriftstellern und ganz wenigen einflussreichen Schriftstellerinnen. Und dann gibt es da noch ein paar einflussreiche Protagonisten. „Bloom“ gehört dazu, und ihm zu Ehren gibt es den Bloomsday. Am diesjährigen Bloomsday werde ich mit meinem Salonherrn Detlef ein Kaffeehausgespräch leiten, in dem es – nein, nicht um Ulysses, sondern um den Einfluss ungelesener Bücher gehen soll. Also wenn es nach mir geht. Aber die Kaffeehausgespräche sind ein Salon, und für den gilt: Erlaubt ist, was interessiert.
Heute gibt es wieder einmal etwas über das elektronische Lesen zu sagen. Ich habe mich so sehr daran gewöhnt, dass ich mir gedacht hätte, ich würde es hier in meinem Blog gar nicht mehr erwähnen. Jetzt gibt es aber wieder etwas zu berichten, nämlich: Der Verkauf des Kindle durch Amazon in Europa führt dazu, dass auch wir, die wir den Kindle aufgrund seiner wie ich finde ausgesprochen unsympathischen Benennung nicht verwenden, und statt dessen z.B. auf dem OYO lesen, eine große und vor allem recht gut geordnete und gut durchsuchbare Plattform für Klassiker und generell ältere Literatur im E-Reader-lesbaren Format bekommen haben. Mit einem kleinen Programm, das das proprietäre Kindle-Format für den PC oder Mac konvertiert und einer Software für die Verwaltung von E-Books (Calibre bietet sich hier an), stehen jetzt sehr viele gut edierte Bücher zur Verfügung. Andere Anbieter, z.B. Thalia, haben das auch, aber Amazon macht (wieder einmal) vor, wie es richtig geht.
Notizen von „Asmodeus“: Von literarischen Erscheinungen sind zu nennen: Otto Prechtler’s Gedichte, Betty Paoli’s und Stifter’s Novellen. … Betty Paoli mit ihren Novellen würde uns leicht Karoline Pichler vergessen machen, wenn wir je an dieses Ideal eines Blaustrumpfs als an eine Dichterin gedacht hätten. Ja, Betty Paoli ist uns mehr als Gräfin Ida, der sie an Geist ebenbürtig, an poetischem Gemüthe überlegen ist. Die Dichterin ist Gesellschaftsdame der Fürstin Schwarzenberg. Wahrhaftig, ein interessantes Haus! Die geistreiche, vielerfahrne Frau, der chevalereske Lanzenknecht, die Dichterin der „Briefe an einen Verstorbenen“, das liberale, das aristokratische Princip und der über allen Parteien schwebende Geist der Poesie.
Zeitung für die elegante Welt. 15. Mai 1844
Für das heute stattfindende Kaffeehausgespräch beschäftige ich mich mit der „Sportskomteß“ aus der Erzählung Komtesse Muschi von Marie von Ebner-Eschenbach – und bin voller Bewunderung für die Beobachtungsgabe der Autorin.
Heute abend werde ich mit einem Grüppchen Interessierter wieder über Seumes Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802 sprechen. Im Gegensatz zu einer frühren literarischen Neigungsgruppe, die sich sozusagen hypertextuell mit einem Buch beschäftigt hat, beginnen wir diesmal am Anfang. Wer mitmachen will, schicke ein Mail.
Franz Grillparzer im Gespräch mit Marie von Ebner-Eschenbach: „No ja, Literaturgeschichte – ein gemaltes Mittagessen!“