Weltschmerrrz
Betty Paoli hat es in die Schweiz geschafft, in die Sendung „Weltschmerz Österreich“ des SRF.
Betty Paoli hat es in die Schweiz geschafft, in die Sendung „Weltschmerz Österreich“ des SRF.
Hier und da wird der 200. Geburtstag von Iwan Turgenjew begangen. Das soll auch in diesem Blog nicht unbedacht bleiben. Erstens empfehle ich die neue Übersetzung der Novelle „Erste Liebe“ aus der Reihe textura, ein Buch im Blumenkleide. Und zweitens weise ich darauf hin, dass die russophile Betty Paoli, die nicht nur in Russland gelebt, sondern auch aus dem Russischen übersetzt hat, den Dichter dereinst kennenlernte und mit ihm, wenn auch nur kurz, korrespondierte. Seine Novellen schätzte sie sehr.
Marie von Ebner-Eschenbach war mit feinem Humor und Sprachwitz gesegnet, was man zum Beispiel in ihrer Erzählung „Bertram Vogelweid“ (1896) nachlesen kann. Über den Bertram wird allerdings auch im engeren Ebner-Eschenbach-Kreis wenig geredet, er wird unterschätzt. Als „Literaturbetriebs- und Dilettantensatire“ (Daniela Strigl) mit einem Erfolgsautor am Rande des Nervenzusammenbruchs als Helden ist die Geschichte hochkomisch, und sollte sich die Thalhof-Prinzipalin einmal für die leichte Kost entscheiden (bisher wurden von ihr drei tiefgründige Erzählungen Ebner-Eschenbachs auf die Bühne gebracht), dann böte sich „Bertram Vogelweid“ an. Allein schon die Eingangsszene, in der der Protagonist einen Kampf gegen seine Schreibtischschublade führt, würde sich auf der Bühne gut machen.
Diese Erzählung hat aber auch Tiefgang, denn der zerrüttete Bertram Vogel trifft bei der Suche nach dem mährischen Landidyll auf den hetzenden Jungtschechen und Antisemiten Meisenmann und die Abgründe des Nationalitätenkonflikts, an dem letztlich die Habsburgermonarchie untergehen wird, tun sich auf. Über diesen, in ihrer Entstehungszeit höchst aktuellen Aspekt der Erzählung habe ich in Kraków/Krakau, Polen, gesprochen. Die interdisziplinäre Konferenz fand unter dem Titel „slawisch-deutsche Begegnungen“ statt, war die dritte ihrer Art und hat gezeigt, dass es sich bei dem Thema um ein weites Feld handelt.
Wie immer, wenn ich hier in diesem Blog über eine Konferenz schreibe, spare ich die wissenschaftlichen Details aus und richte mein Augenmerk auf das Rahmenprogramm: Polnisches Essen mit Livemusik – man gab unter anderem den Radetzky-Marsch, sozusagen die musikalische Umkehrung des Ringens der Völker um Unabhängigkeit von der österreichischen Krone –, und eine Lesung von Juliana Kálnay. Und wer hätte gedacht, dass man in Kraków/Krakau usbekische Manti bekommt?
Nächstes Jahr findet die Konferenz der Reihe wohl in Osijek statt. Ich bin überzeugt, zum Thema slawisch-deutsche Beziehungen gibt es noch sehr viel zu sagen.
Hundertste Todestage bringen Neuauflagen, so auch beim kurländischen Autor Eduard von Keyserling. Eine untergegangene, eine untergehende und eine neu entstehende Welt beschreibt, nein: ziseliert Keyserling in seinen Erzählungen. Wir können seine Figuren dabei beobachten, wie sie lebensverdrossen, aber stilsicher auf den Abgrund zu schlendern. Hin und wieder stellt sich dann heraus, dass das nur hysterisches Getue oder hohles Ritual war, manchmal wird es richtig komisch oder auch sarkastisch, aber nie langweilig – eine Empfehlung.
Die Romantiker, besonders Novalis, waren an Unordnung interessiert, das Chaos war für sie verlockend und erschreckend zugleich. Dass etwas Neues, Unvorhersagbares entsteht (zum Beispiel ein Romanesco), wenn es auf das Chaotische zugeht, übt einen Reiz auf uns aus, aber so ganz geheuer ist es uns meistens nicht. Und weil diese Ambivalenz zum Denken anregt, kann man ruhig wieder einmal über die Chaostheorie reden, finde ich: Kaffeehausgespräch zum Thema.
Es gilt, den 250. Geburtstag des „Vaters der französischen Romantik“, François-René Vicomte de Chateaubriand (geboren am 4. September 1768 in Saint-Malo; gestorben am 4. Juli 1848 in Paris) nachzufeiern. Sein „René“, erschienen 1802, ist der Inbegriff des Weltschmerzes und als solcher natürlich auch Betty Paoli bekannt.
Den Stoff zu Paolis Novelle „Auf- und Untergang“, die 1844 im Taschenbuch „Iris“ erschien, liefert das Leben der Élisa Mercœur, einer von Chateaubriand geförderten, jung verstorbenen Autorin. In Paolis „Lebensbild“, so der Untertitel, stirbt Mercœur an literarischer Überarbeitung, ein Opfer ihres frühen Erfolges und der Notwendigkeit, vom Schreiben zu leben.
Man forderte Bände von mir, nicht Meisterwerke. Das Geschäft rentirte sich, es mußte folglich fortbetrieben werden; ich betrieb es fort, bis die Feder meiner Hand entsank und die Krankheit mir zuherrschte: Es ist genug!
erzählt Elisa bei Paoli ihrer Freundin aus Kindheitstagen. Mercœurs Mutter berichtet in ihren Memoiren (Mercœurs Werken in drei Bänden, erschienen 1843, vorangestellt) vom letzten Gespräch am Totenbett ihrer Tochter. An der Weigerung des Baron Taylor, Leiter der Comédie-Française, ihr Drama „Boabdil“ aufzuführen (in dem Stück verarbeitet Mercœur eine Episode aus dem Leben von Muhammad XII., Emir von Granada), sei sie gestorben, möge die Mutter der Nachwelt berichten. So oder so: Tod durch Literatur. Da wird es ernst mit dem Weltschmerz.
Marie von Ebner-Eschenbachs Werk wieder bekannt zu machen, ist ein Verdienst und dafür ist fast jedes Mittel recht, und sei es, dass man die Erzählung „Mašlans Frau“ (1897) dramatisiert auf die Bühne bringt und praktisch im selben Atemzug mit einem neuen Stück von Anna Poloni spielt („Tiefer als der Tag“– ähnliche Figurenkonstellation, ähnliche Konflikte, aber halt doch ganz, ganz anders). So geschehen am Thalhof und noch bis zum 1. September.
Intendantin und Autorin Anna Maria Krassnigg traut sich was und was dabei herauskommt, ist sehenswert. Voriges Jahr hat sie mit der Dramatisierung von Ebner-Eschenbachs „Die Totenwacht“ (1892) unter dem Titel „Am Ende eines kleinen Dorfes“ ein dickes Brett gebohrt, dieses Jahr macht sie damit weiter. Wenn Krassnigg mit ihrer Ebner-Eschenbach-Trilogie durch sein wird (ab 9. 8. ist „Das tägliche Leben“ zu sehen), wird sie drei der beeindruckendsten Texte aus dem Prosawerk Ebner-Eschenbachs unters Sommertheatervolk gebracht haben.
Die Schauspieler bzw. die Schauspielerin der Thalhofer Wortwiege leisten bei „Mašlans Frau“ ganze Arbeit und dass das am Sterbebett Mašlans aufgerollte Beziehungsdrama nicht langweilig wird, ist dem demonstrativ abgeklärten Arzt mit weichem Kern (gespielt von Martin Schwanda) und dem idealistischen Pfarrer mit böhmischer (?) Sprachfärbung (Daniel F. Kamen) zu verdanken. Mir war die Gstrein in der titelgebenden Rolle wieder zu g‘fühlig, aber dass sie spielen kann, das steht fest. Jens Ole Schmieder als Mašlan hingegen hat seinen schauspielerischen Glanzpunkt erst als aus dem Bauernschrank kippende Leiche. Höchst gelungen sind die Kostüme von Antoaneta Stereva und auch das Bühnenbild von Lydia Hofmann ist stimmig.
Dass jetzt ausgerechnet ihre Erzählungen auf die Bühne gebracht werden, ist ein bisschen seltsam, bei der durch Überambition und Kritik verhinderten Bühnenautorin Ebner-Eschenbach, über deren Werden, Leben und Denken Krassnigg und Daniela Strigl geistvoll und kurzweilig gesprochen haben.
Krassnigg hat für ihr anspruchsvolles Sommertheater drei Texte gewählt, die bei Ebner-Eschenbachs erster und wichtigster Kritikerin Betty Paoli wahrscheinlich unter den (mit sittlichen Vorbehalten) zu lobenden wären und die Paolis Urteil, gefällt anlässlich des Erscheinens der „Neuen Erzählungen“, bestätigen:
Marie v. Ebner ist mehr als eine talentvolle Schriftstellerin, sie ist durch und durch eine echte Künstlerin, die nicht mit der Hoffnung auf zufälliges Gelingen, sondern mit zielbewußtem Wollen an die Arbeit geht. Wohl wissend, daß nur mittels der Form das Schöne uns bewußt werden kann, pflegt sie dieselbe mit einer bis ins Kleinste gehenden, sich aber nie ins Kleinliche verlierenden Sorgfalt. Ihr Stil ist von seltener Reinheit, Frische und Natürlichkeit, die Führung des Dialogs so lebendig, daß sich in kurzen, abgerissenen Sätzen oft ein ganzer Charakter ausspricht. Hier hat sich einmal ein großes Talent mit einem seiner würdigen Gemüt zusammengefunden.
Betty Paoli, „Presse“, 24. Juni 1881
Am Donnerstag folgt die Premiere von „Das tägliche Leben“, gekoppelt mit Theodora Bauers Stück „Am Vorabend“.
Im Jüdischen Museum in Wien gibt es gerade eine Ausstellung zum Thema Salon, die sehr interessant ist, aber ein Manko hat: Sie beschäftigt sich mit diesen in der Zeit von 1780 bis 1938 „meist von ihren jüdischen Gastgeberinnen geprägten Kommunikationsräumen“, die „in zweifacher Hinsicht Orte der Emanzipation und der Ermächtigung“ waren und ausgerechnet Ida Fleischl-Marxow (Lebensfreundin von Betty Paoli) wird nicht erwähnt. Zitat aus einen Nachruf auf Ida Fleischl-Marxow:
Eine Erscheinung von so reicher Eigenart mußte ungesucht zu einem Krystallisations-Punkte schöner Geselligkeit werden, und das Haus Fleischl hat eine markante Rolle im geistigen Gesellschaftsleben Wiens gespielt. Kein literarischer Salon – denn nichts lag Frau von Fleischl ferner als Coteriewesen – war es der Sammelpunkt eines weiten, eigenthümlich mannigfaltigen Kreises, in welchem sich Vertreter der Litteratur, Wissenschaft und Kunst mit denen der verschiedensten Stände zu jenem behaglich ungezwungenen Verkehr zusammenfanden, wie ihn nur das gleichstellende Wohlwollen der Hausfrau hervorzurufen vermag.
Was kann man Besseres über einen Salon sagen? Und es gibt etwas ganz Besonderes an Ida Fleischl-Marxows Salon: Er brachte einen Salon-Sohn hervor. Zitat aus den „Römischen Memoiren“ von Ludwig Pollak:
Was die Ärzte der deutschen Colonie betrifft, so war gegen Ende des 19. Jhdts. […] der an Römerjahren älteste der Wiener Dr. Otto von Fleischl Marxow (1849-1935). Aus einer hochstehenden jüdischen Wiener Familie stammend – die Mutter geb. Marx war Münchnerin u. intime Freundin der Dichterin Marie Ebner Eschenbach – und die besten Geister des damaligen Wien, so Grillparzer, Laube, Billroth, Exner, verkehrten im väterlichen Hause. […] Fleischl kam schon 1873 nach Rom, wo er bis zum Weltkriege blieb. Er wurde der meistgesuchte Arzt der Colonie u. oesterr. ung. Botschaftsarzt. Mit der Zeit wurde sein Haus – er selbst war ein trefflicher Pianist – das Rendezvous besonders von Musikern wie Liszt, Wagner, Brahms, Sgambati u. Joachim; Nietzsche, die Maler Böcklin, Lenbach, Pidoll u. Stauffer Bern waren oft Gäste bei Fleischls. Er war im wahrsten Sinne des Wortes ein vornehmer Mann, uneigennützig, hilfreich u. edel, behandelte Unbemittelte umsonst, ihnen noch die Medizinen zahlend, vielleicht zu weich für seinen schweren Beruf.
Peter Rosegger, von Marie von Ebner-Eschenbach in einem Brief als „lieber Meister“ tituliert, ist jetzt auch schon hundert Jahre tot. Das Jubiläum bleibt nicht unbemerkt, im Gegenteil: Roseggerfestspiele, Roseggerausstellung, Rosegger in Funk und Fernsehen. Da stellt sich natürlich die Frage: Liest den eigentlich auch irgendwer? Können tun wir es, jetzt ganz neu in einer sehr schönen, zuverlässigen Ausgabe: Peter Rosegger: Ausgewählte Werke. Zwei Bände gibt es schon, zwei kommen noch. Wer damit durch sein wird, wird die wichtigsten Texte des „Heimwehmenschen“ (Stefan Zweig über Rosegger) gelesen haben.
Peter Rosegger
An die Welt!Ich hab‘ mir erbaut
Ein Häuschen allhier;
O Leben so laut,
Was willst Du von mir?
O führ‘ mich nicht hin
In’s brausende Feld,
Ich bleib‘ was ich bin,
Mir selber die Welt.
Mein Glück ist in mir,
Nicht gebe mir dich;
Ich will nichts von dir,
Nur lasse mir mich.
So steht es im Marienbader Fest-Album von 1868. Und die Begründung, warum man überhaupt Literatur lesen sollte – die Frage stellt sich natürlich nicht erst heute – liefert im selben Fest-Album die gescheite Betty Paoli.
Betty Paoli
Den PoesieverächternIhr scheucht die Poesie
Von euerm Herde,
Und ahnet nicht, daß sie
Das Salz der Erde!
Daß Nebel nur und Rauch
Was ihr beginnet,
Wenn’s nicht durch ihren Hauch
Bestand gewinnet!Kein Wahnbild fremd und fern,
Entrückt dem Streben,
Sie ist der tiefste Kern
Von allem Leben!
Der Kern, deß Gluth und Licht
Es froh durchflammen.
Vermorschet er, dann bricht
die Welt zusammen.
Der Göttinger Germanist Stefan Descher hat darüber nachgedacht, was die Literaturwissenschaftler in den letzten vierzig Jahren eigentlich so gemacht haben, wenn sie Literatur gelesen haben, und ob man nicht doch auch korrekte, wahre Interpretationen herstellen kann, statt relativistisch herumzureden. Er kommt zu dem Schluss, dass [spoiler alert!] relativistische Theorien, z.B. die Dekonstruktion, nicht überzeugend seien. Hier können Sie meine Rezension des Buchs lesen.