Literarische Steilvorlage

In der Umgebung von Reichenau kann man gut wandern. Das hat schon der große, schöne Burgschauspieler Ludwig Gabillon gewusst, der 1854 über Reichenau und das Höllental nach Mariazell gegangen ist, wie wir aus einem Brief an seine sehr enge Freundin Betty Paoli wissen. Heutzutage kann man vorher, nachher oder stattdessen auf der Terrasse vom Knappenhof sitzen und die Aussicht bewundern; oder die gastfreundliche Gelassenheit der Chefin.

Ein gelungener Abschluss eines Tages in Reichenau und Umgebung könnte zum Beispiel auch ein Besuch im Thalhof sein. Dort gibt es ein feines Kulturprogramm, gestaltet vom „Salon 5“ unter dem vertrauenerweckenden Motto „in plot we trust!“; zum Beispiel einen Soloabend mit Texten von Virginia Woolf („Der Fels und die Wellen“), eine beeindruckende schauspielerische Leistung von Petra Gstrein. Aber das haben Sie verpasst, zumindest im Thalhof.

Was Sie auf jeden Fall im Thalhof sehen können, ist die beklemmend gute Erzählung „Die Totenwacht“ von Marie von Ebner-Eschenbach, entstanden 1892, in dramatisierter Form. Regie führt Anna Maria Krassnigg, Premiere ist am 4. August. Petra Gstrein – wenn sie immer so intensiv spielt, wie in dem Virginia-Woolf-Monolog, gern auch „die Gstrein“ – spielt Anna, eine Frau, die sich weigert, ihren Vergewaltiger zu heiraten. Das ist nur eine mögliche Interpretation der Gewalterfahrungen, von denen die Figur geprägt ist. Eindeutig ist, dass Anna nicht bereit ist, sich für äußerlich bequemere Bedingungen, z.B. ein schönes Haus, innerlich zu verbiegen.

Sicher interessant wird „Raxleuchten“, eine „szenisch-musikalische Reise durch 200 Jahre Thalhof-Literatur“, zusammengestellt von Evelyne Polt-Heinzl, Mitherausgeberin der neuen Ebner-Eschenbach-Leseausgabe. Premiere von „Raxleuchten“ ist am 6. August. Auch ein Salongespräch mit Polt-Heinzl wird es geben.

Auf Marie von Ebner-Eschenbach trifft wohl auch zu, was im Programm des Thalhofs mit einem Rax-steilen Superlativ über Virginia Woolf gesagt wird: Ihre unausweichlichste Beziehung war die zu ihrem eigenen Schreiben.

Sonntag, 12. März 2017 von Karin S. Wozonig
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Betty Paoli, die Edelfeder

Der „Frauentag“ bringt allerhand hervor. Zum Beispiel bemerkt man in seinem Zuge, dass Betty Paoli auch für die Wiener Zeitung geschrieben hat. Einen Artikel von Andrea Reisner gibt es hier.

Montag, 16. Januar 2017 von Karin S. Wozonig
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Zeit für Grillparzer

Es wird Zeit, dass wir wieder einmal ausführlich über Grillparzer reden, dessen Nachlass sich übrigens entgegen anderslautenden Gerüchten nicht irgendwo, sondern in der Handschriftensammlung der Wienbibliothek im Rathaus befindet – just dort, wo auch der Nachlass von Betty Paoli liegt.

Bärtiger Biedermeier

Im Unteren Belvedere in Wien läuft noch bis zum 12. Februar die sehenswerte Ausstellung „Ist das Biedermeier?“ Berechtigterweise geht die Kuratorin Sabine Grabner davon aus, dass es eine sehr konkrete Vorstellung davon gibt, was das Biedermeier sei. Der parodistische Aspekt fehlt heute dabei, die Konzentration liegt wohl auf der wenn auch kitschigen, so doch ernstgemeinten Idylle und auf dem Rückzug in die eigenen vier Wände.

Wenn man wie diese Ausstellung das Biedermeier ungefähr fünfzehn Jahre zu spät beginnen und erst 1860 enden lässt (die politischen Ereignisse, die üblicherweise die Epochengrenzen darstellen, sind der Wiener Kongress am Anfang und die sogenannte Bürgerliche Revolution von 1848 am Ende), dann hat man das Klischee zwar schon von vornherein ausgehebelt und die Frage im Titel lässt sich ohne viel Nachdenken für ziemlich viele Bilder mit Nein beantworten. Aber im Untertitel der Ausstellung „Amerling, Waldmüller und mehr“ steckt das Wichtige: Zwar sehen wir unter anderem die „Lautenspielerin“ von Friedrich von Amerling und das Selbstporträt von Georg Ferdinand Waldmüller, also klassisches Biedermeier, vor allem aber wird der geographische Rahmen erweitert und es gibt nicht nur die üblichen in Wien oder Linz (ein Bild von Adalbert Stifter ist auch zu sehen) ansässigen Österreicher, sondern auch die unüblichen, nämlich Maler aus habsburgischen Kronländern, aus dem heutigen Slowenien, Italien und Tschechien bzw. aus Ungarn.

József Borsos z.B. wurde 1821 in Veszprém geboren und starb 1883 in Budapest. Er ist mit dem Bild „Der Emir vom Libanon“ in der Ausstellung vertreten, das auch als Plakatsujet dient.

Und bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass dieser Emir vor Kurzem einen Auftritt hier im Blog hatte, nämlich als früher Hipster. Denn es handelt sich bei dem bunten Orientalen um den besonders hübsch frisierten Grafen Zichy, dessen Barttracht zu seiner Zeit so berühmt war, dass sich Betty Paoli in einem Brief an Marie von Ebner-Eschenbach darauf beziehen konnte.

Wer es noch nicht geahnt hat, kann es in dieser Ausstellung lernen: Das Biedermeier ist immer mehr als das „Biedermeier“.

Sonntag, 9. Oktober 2016 von Karin S. Wozonig
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Quadratur des Kreises

Wieder bekomme ich die Gelegenheit, öffentlich über Betty Paoli zu sprechen. Diesmal wird es konkret um die wechselvolle Beziehung zu Adalbert Stifter gehen. Wobei „wechselvoll“ nicht ganz stimmt, denn es hat genau genommen nur einen deutlichen Wechsel in der Verbindung der beiden gegeben: von „überschwänglich zugetan“ zu „ohne Kontakt“. Woran mag das gelegen haben? Auch darauf versuche ich eine Antwort zu geben in meinem Vortrag bei der Tagung Stifters Welten: Wien.

Sonntag, 2. Oktober 2016 von Karin S. Wozonig
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die Götter zu versöhnen

Als Ergänzung zu Marie von Ebner-Eschenbachs klugem Ausspruch zum Thema Zigarren gibt es heute ein Gedicht von einem Bekannten Betty Paolis, nämlich von Ernst Freiherr von Feuchtersleben (1806-1849), dem Experten für Psychosomatik.

Rauchlied

Laßt uns unsre Pfeifen stopfen!
Alles in der Welt ist Rauch;
Herzen, die vor Wonne klopfen,
Bange Herzen, sind es auch.

In den lieben blauen Wölkchen
Blasen wir die Grillen weg;
Sind wir doch ein eignes Völkchen,
Ohne Arbeit, ohne Zweck;

Hören nicht des Mißmuths Flüstern,
Der nur fern von Rauchern schleicht;
Hören bloß der Blätter Knistern,
Wie das Feuer durch sie streicht;

Riechen nicht, wie weis’re Männer,
Schon von fern Verrätherluft;
Riechen nur als Kräuterkenner,
Unsres lieben Krautes Duft.

Unsre Feinde müssen weichen,
Dampf und Qualm sind unser Schutz;
Unser Trost bei bösen Streichen
Ist: auch wir sind nicht viel nutz.

Drum, die Götter zu versöhnen,
Zündet ihnen Opfer an!
Zwischen des Gesanges Tönen
Dampft mit Andacht himmelan!

Sonntag, 21. August 2016 von Karin S. Wozonig
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Gender- und Literaturkritik mit Bart

Die gescheite Schriftstellerin Betty Paoli fordert bei der Beurteilung geistiger Produkte Geschlechtsblindheit:

Unweibliche Idee? Wie ihr doch thöricht sprecht!
Was hat der Geist denn wohl gemein mit dem Geschlecht?

Als man für die Wiener Weltausstellung 1873 im Rahmen der Präsentation von „Frauen-Arbeiten“ auch eine Abteilung für die „literarische Production von Frauen“ plante, ereifert sich Paoli in einem Brief an Marie von Ebner-Eschenbach:

[Ich ärgere mich] über den hirnverbrannten Einfall, die von Frauen herrührenden literarischen Werke a parte zusammenzustellen, d. h. daraus eine Art von Ghetto zu machen. Ein Buch muß gut sein. Ist es dieß, so ist es vollkommen gleichgültig ob es einen Mann oder eine Frau oder eine Maus zum Verfasser hat. Und ist es schlecht, so wird es um kein Haar besser, wenn der Autor mit einem Bart wie Graf Edmund Zichy gesegnet ist.

 

Dienstag, 2. August 2016 von Karin S. Wozonig
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Ratio(n)

Nicht nur in ihren Aphorismen, sondern auch in ihren Briefen hält Marie von Ebner-Eschenbach Gedanken von zeitloser Gültigkeit fest. So z.B. im Brief an Betty Paoli vom 17. Juni 1878:

Die drei Cigarren im Tage sind freilich etwas knapp bemessene Ration aber giebt es ein Opfer dieser Art das man nicht brächte wenn man dadurch gesünder werden kann?

Mittwoch, 6. Juli 2016 von Karin S. Wozonig
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Cerri anschmiegsam

Mehrfach wurde in diesem Blog der Dichter-Beamte Cajetan Cerri erwähnt, ein Betty-Paoli-Verehrer, der die Dedikation an die Stelle setzte, an der es ihm deutlich an Talent fehlte. Wie er das im einzelnen machte und worin seine eigenen lyrischen Leistungen bestanden, lässt sich in dem Aufsatz „Friedrich Hebbel und Cajetan Cerri. Mit einer unbekannten Widmung an Hebbel“ von Walter Hettche nachlesen (Hebbel-Jahrbuch 71/2016). Walter Hettche stellt Cerris systematisches Anbiedern an die literarische Szene und die Literaturgeschichte durch Widmungen und Motti sehr informativ und durchaus amüsant dar.

Cerris ungeniertes textliches Anschmiegen an bedeutende Dichter kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass er selbst in der unteren Liga der Almanachverseschmiede spielt – im Gegenteil. Seinem „Franz Grillparzer gewidmet“ in der Gedichtsammlung Glühende Liebe (1850) schickt er z.B. ein Gedicht hinterher, das nicht nur den Bescheidenheitstopos bedient, sondern außerdem recht typisch Cerri ist:

Ich weiß, es sollten diese schlichten Klagen
Es kaum versuchen sich zu Dir zu heben,
Denn kühne Adler sollten nur es wagen
Zum Sonnenstrahl im stolzen Flug zu schweben.

Doch sieh‘, der Sturm, der an dem Blätterrauschen
Der Eichen nur gewohnt – er mag’s doch leiden
Muß er auch manchmal dem Geflüster lauschen,
Das ihm engegentönt vom Blatt der Heiden.

D’rum zürn‘ auch du dem Lied nicht, das sich leise
Zu dir erschwingt, du mächtiger Sangesstreiter:
Denk‘ an des Vögleins schlichte Abendweise –
Du hörst ihr zu – und gehst dann lächelnd weiter.

 

Sonntag, 15. Mai 2016 von Karin S. Wozonig
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Weiblicher Adler

In Schwingen und Federn theilt ein scharfsinniger kritischer Kopf die dichterischen Organe Östreich’s, und wenn er auch nicht jedem in’s Angesicht sagt: du bist Adlerschwinge, du bist Gänsekiel, so läuft doch dieser ernste Spruch: du dienst dem Gott in dir, und du dem Fleisch der Welt! durch sein ganzes Buch. […] In der Gartenkunst pfropft man Birnen auf Pflaumen, aber die Östreicher wuchern förmlich in den Treibhäusern ihrer Sprache mit dieser Gartenkunst, die bei ihnen keine Kunst mehr ist, sondern ein Wildwuchs ihrer üppigen Phantasie.

Anonym: Östreich’s poetische Schwingen und Federn. In: Europa, 20. Februar 1847, S. 121-125

Ehe wir von jenen östreichischen Dichtern scheiden, deren sich ganz Deutschland als eines Schmuckes seiner Literatur erfreut, von den Adlern, die, während sie aus ihrer bewunderten Höhe nach den Reizen und Schmerzen der Erde spähen, doch das Auge ungeblendet nach dem Licht wenden, unter welchem allein irdische Zustände würdig gedeihen können, wollen wir noch eines weiblichen Adlers Erwähnung thun, Betty Paoli.

Hieronymus Lorm: Wien’s poetische Schwingen und Federn. Leipzig 1847, S. 82

Mehr dazu in Karin S. Wozonig: Das ‚Nationalgemüth‘ der Literatur. Wien’s poetische Schwingen und Federn (1847) von Hieronymus Lorm. In: Jahrbuch FVF 21 (2015). Das Politische und die Politik im Vormärz. Norbert Otto Eke/Bernd Füllner (Hg.) Bielefeld: 2016 S. 159-183