Dienstag, 8. September 2009 von Karin S. Wozonig
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Stichwort: Emanzipation des Fleisches

Die inhaltlich und formal traditionsbeladene Diätetik Feuchterslebens, die auf die Beherrschung von Leidenschaften, Übung von Tugenden, Selbstbeobachtung und geistige Stärke abzielt, ist für die zeitgenössische Leserschaft als Gegengewicht zu einer anderen, vormärzlichen Diskursformation erkennbar. Die Dichterin und Journalistin Betty Paoli, die Feuchtersleben in den intellektuellen Wiener Kreisen des Vormärz begegnete, bemerkte im Jahr 1867: „In einer Zeit, welche die Lehre von der Emanzipation des Fleisches predigte, schrieb er auf seine Fahne den Wahlspruch: ‚Emanzipation des Geistes!‘ […] Um die [Bedeutung Feuchterslebens] aber vollkommen zu würdigen, muß man sich in die Zeit zurückversetzen, in die seine Entwicklung fiel, sich die Hindernisse vergegenwärtigen, die ihr entgegenstanden“ (Paoli 1908: 147). Die Rede von der „Emanzipation des Fleisches“ ist eine vormärzliche Chiffre, eine Körpermetapher für die Befreiung von religiösen und moralischen Zwängen.

Aus: Karin S. Wozonig: Emanzipation des Fleisches und Diätetik der Seele. Bürgerliche Selbstdisziplinierung im neunzehnten Jahrhundert. In: Marlen Bidwell-Steiner und Veronika Zangl (Hg.): Körperkonstruktionen und Geschlechtermetaphern: Zum Zusammenhang von Rhetorik und Embodiment. Innsbruck, Wien: Studienverlag 2009. S. 221-236.

Freitag, 1. Mai 2009 von Karin S. Wozonig
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Betty Paoli und der italienische Freiheitskampf

Eine besondere Stellung in ihrer lyrischen Produktion nimmt Paolis Gedichtband Romancero ein. […] Der Romancero erschien 1845 und ist Bettina von Arnim gewidmet, was schon bei Erscheinen des Buchs als Reverenz an Arnims Werk Das Buch gehört dem König (1843) und der darin enthaltenen Kritik am Feudalismus bzw. dem Plädoyer für die Demokratie gewertet wurde. […]

Eine weitere Ballade aus dem Gedichtband Romancero ist „Maria Pellico“, in deren Mittelpunkt der innere Kampf der Schwester des Freiheitskämpfers Silvio Pellico steht, der für seine Beteiligung am italienischen Freiheitskampf zu fünfzehn Jahren Kerker verurteilt wurde. Die zu Beginn der Ballade ausgedrückte Zuversicht, dass der Freiheitskampf erfolgreich sein würde („Du lebst! Nicht ehern sind des Kerkers Wände,/ Der Menschheit Geist nicht ewig eingezwängt,/Ein Tag kommt, der die Fesseln deiner Hände/ Und alle Burgen der Despoten sprengt!“) wird zur Vorlage für den inneren Konflikt Maria Pellicos, für die Schilderung ihrer Jugend, in der sie unter Anleitung ihres großen Bruders Natur-, Menschen- und Freiheitsliebe lernte, für ihren Konflikt mit ihrer Familie, als sie beschließt, aus Gram über Silvio Pellicos Schicksal ins Kloster zu gehen.

[…] Es ist auf die politischen Implikationen des Romancero zurückzuführen, dass Betty Paoli im 1846 anonym erschienenen, fiktiven Actenmässigen Bericht über die erste Versammlung deutscher Schriftstellerinnen… zu jenen gehört, die nach einer flammenden Rede von Ida Frick, die mit den Worten endet: „Freiheit, Gleichheit! Gleichheit, Freiheit walte unter uns. Wer meine Ansicht theilt, gebe es durch Aufheben der rechten Hand zu erkennen.“ die Hand hebt. So wie „die hochachtbare Bettina“, Helmina von Chezy, Louise Otto und Kathinka Zitz-Halein wird vom anonymen Verfasser des Berichts auch Paoli als revolutionär gesinnt eingestuft.

Auszug aus: Karin S. Wozonig: Betty Paolis Reise nach Venedig im Jahr 1846. In: ForumVormärzForschung, Jahrbuch 2008, 14. Jahrgang, Wege in die Moderne. Reiseliteratur von Schriftstellerinnen und Schriftstellern des Vormärz. Hg. von Christina Ujma. Bielefeld 2009. S. 193-204.