Der Almanach Thalia von 1847 enthält eine Musikbeilage. Es handelt sich um die Vertonung eines Gedichts von Salomon Hermann Mosenthal von Joseph Dessauer:
Dieser Almanach enthält auch Fantasien eines Geisteskranken, ein Prosastück von Josephine von Rémekhazy, in dem der Insasse einer Irrenanstalt aus seinen früheren Leben erzählt. Der Text endet mit folgender Passage:
Wie viele Episoden möcht‘ ich noch aufzeichnen! Aber man gibt mir zu wenig Papier, ja ich schreibe nur verstohlen. – Der Doctor sagt, ich hätte zu viel gelesen und mein Kopf sei schwach. Gegenwärtige Zeit ist für mich die trübseligste, und wäre die Natur nicht immer für mich grün – ich habe mir eine grüne Brille gekauft – so müßte ich verzweifeln. – Aber ich weiß mir stets zu helfen; wenn man mich nicht schreiben läßt, denk‘ ich doch etwas, und ich rathe es Allen an, die man einem ähnlichen Zwange unterwirft.
Aha! Ein Druckfehler! Nein, ein Sprachfehler! Ein Drucksprachfehler! ein Sprachdruckfehler! gleich im ersten Blatt! „gewissen Leser“ statt „gewisser Leser! das ist entsetzlich! der Mann kennt keine Grammatik! nicht die ersten Regeln der Sprache!“ u.s.w.
Diesen Druck- oder Sprachfehler geb‘ ich gleich verschwenderisch jenen Druck- und Sprachfehler-Schmeckern, jenen unermüdlichen Setzer-Antagonisten preis! Ein Druckfehler! Ein Sprachfehler! Victoria! „Ich schenk ihn euch zum ewigen Erb und Lehen. Doch theilt euch brüderlich darein!“ Ich schenke jenen Buchstaben- und Silben- und Druckfehler-Mikrologen alle schon gebornen und noch zu geboren werdende Druckfehler, alle m statt n, alle dritte und vierte Fälle auf alle Fälle; ich vermache ihnen alle i tüpfel und alle ä striche, alle ss und alle ß, alle verwechselten großen und kleinen Buchstaben u. s. w. […] und gestehe […] daß wir die ungeheuerste Ehrfurcht für jene zarte Geistesgabe haben, alle Druckfehler so ohne weitere Vorrichtung heraus zu finden […].
Moritz Gottlieb Saphir: „Druck- oder Sprachfehler zum Besten gewissen Leser.“ In: Nachträgliche Ergänzungs-Blätter zum Humoristen von M. G. Saphir. No 1, Montag 2. Jänner 1837, S. 3
In der vorigen Folge meiner losen Blog-Reihe zum Thema Almanache und literarische Taschenbücher der ersten Hälfte des neuzehnten Jahrhunderts habe ich Ihnen eine Illustration zu einer Novelle aus der Thalia von 1843 präsentiert. Auf der schönen Website Musenalm finden Sie eine Vielzahl solcher Bilder, darunter auch ein Beispiel für die Mehrfachverwendung der Abbildungen:
Im Rheinischen Taschenbuch von 1837 trägt dieses Bild den Titel „Neugierde“, in der Iris von 1846 ist es mit „Genius des Friedens“ betitelt.
„Ein Dichter wie Puschkin gehört der Welt an,“ entgegnete sie. „Wäre ich die alleinige Besitzerin seiner Werke, und wollte ihr diese vorenthalten, so verdiente ich, daß man mir auf der Folter die Auslieferung jener Schätze abpreßte, auf die Aller Herzen, die sich für Schönes regen, ein Recht haben. Was aber der Mensch Puschkin dachte und fühlte, hoffte und besorgte, genoß und litt, was er in der kindlichen Arglosigkeit seiner Seele gegen Die aussprach, die er menschlich liebte und achtete, das gehört nicht für die Oeffentlichkeit.“
Betty Paoli: „Aus den Papieren eines deutschen Arztes“. In: Die Welt und mein Auge. Novellen. Pesth: Heckenast 1844. Bd. 2. 122-202, S. 148.
Eine Besonderheit der Almanache und literarischen Taschenbücher der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts besteht darin, dass den Gedichten, Balladen, Novellen etc. Abbildungen beigegeben wurden. Manchmal verwendeten die Verleger oder Herausgeber der Almanache dafür bereits an anderer Stelle veröffentlichte Bilder und machten sie durch Untertitel passend. In anderen Fällen wurden Bilder an Autorinnen und Autoren weitergegeben, die ihrerseits mehr oder weniger passende Texte dazu liefern.
Hier sehen Sie ein Beispiel aus der Thalia von 1847. Es handelt sich um eine Figur aus der Novelle „Der schwarze Mann im Kaffeehaus“ von August Schmidt (1808-1891), dem Begründer des Wiener Männergesang-Vereins.
Was gestern noch als Wahrheit hat gegolten,
Ein blinder Irrtum wird es heut gescholten.
Fehl geht, wie oft! des Forschers mühvoll Streben,
Und keine Lösung wird dem Rätsel: Leben.
Der kühnlich ragen will ins Ätherblau,
Wie häufig schwankt des Wissens stolzer Bau!
Nur was der Mund der Poesie verkündet,
Steht fest und sicher in sich selbst begründet
Und bleibt für alle Zeit in voller Kraft –
Sie ist die einz’ge wahre Wissenschaft.
Betty Paoli (1814-1894)
In der Reihe über Almanache in diesem Blog gibt es heute etwas zu sehen, worauf das Spottwort des Bibliothekars Anton Schlossar von der „Damennippes-Litteratur“ zutrifft: die Aglaja von 1823, genau gesagt den vorderen Einbanddeckel dieses schönen Produkts, das im schützenden Kartonschuber verkauft wurde:
Entgegen der Ansicht der älteren Literaturwissenschaft ist die Almanach-Literatur des neunzehhnten Jahrhunderts nicht durchwegs von geringer Qualität. Neben dem Erstdruck eines Gedichts von Friedrich Rückert finden Sie in der abgebildeten Aglaja zum Beispiel eine lesenswerte, verworrene Erzählung von Caroline Pichler und eine weniger verworrene von Helmine von Chezy.
Wie eine Singstimme durch fortgesetzte Übung an Schönheit und Rundung des Tones gewinnt, so hat das Talent der Verfasserin, durch den Fleiß, der ihr zur Seite steht, zusehends an Umfang und Tragweite gewonnen. Ich meine nicht den Fleiß, der darin besteht, tagtäglich so und so viel Bogen vollzuschreiben – den haben nur gar zu viele! – sondern die künstlerische Gewissenhaftigkeit, die alles nur leidlich Gute als ungenügend verwirft, die, statt sich mit einem à peu près zu begnügen, an einem Werk unverdrossen schafft und feilt, bis sie es von der unscheinbarsten Makel befreit und nach bestem Erkennen und Vermögen alle seine Teile harmonisch zusammengestimmt hat. Dieser Fleiß, diese unnachsichtige Strenge gegen sich selbst, diese Hingebung, die keine Mühe und Arbeit scheut, wenn sie dem im Entstehen begriffenen Werke zu gute kommen können, sie sind es, die den Künstler vom Dilettanten unterscheiden, wenn auch die ursprünglichen Anlagen beider sich zufällig die Wage halten sollten.
Betty Paoli: „Božena“. In: Gesammelte Aufsätze. Eingeleitet und herausgegebene von Helene Bettelheim-Gabillon. Wien: Verlag des Literarischen Vereins in Wien 1908 (Erstdruck in der Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, 1876)
„Benutzerfreund“ Jens Jacobsen schreibt in seinem August-Newsletter über die Störquellen bei Webprojekten. Ein Aspekt der langen Liste erscheint mir besonders bedenkenswert:
Es ist üblich, mit Blindtext und Beispielbildern zu arbeiten. Das hat auch den Vorteil, das man nicht über die Inhalte diskutieren muss, wenn es zunächst um Struktur und Gestaltung geht. Dennoch sollten echte Texte, Bilder und andere Inhalte so früh wie möglich erstellt und weitergegeben werden. Denn oft stellt sich dann heraus, dass die Gestaltung geändert werden muss, weil die Texte doch länger als erwartet sind. Oder dass die Programmierung einen weiteren Content-Typ einbinden muss, von dem bisher noch nie die Rede war.
Der übrigens im neunzehnten Jahrhundert geprägte Satz „form follows function“ bekommt meines Erachtens bei der Text-Gestaltung für das Internet eine ganz besondere Bedeutung. Und er lässt sich durchaus zu „form follows content“ ausweiten, wenn man unter Content den Inhalt und den Gehalt eines Texts versteht.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts tauchten auf dem Buchmarkt literarische Taschenbücher, auch Almanache genannt, auf, die sich an Leserinnen wenden. Diese Almanache enthalten üblicherweise Prosa- und Versbeiträge (Gedichte, Reiseberichte, Novellen, Versepen, Epigramme etc.), Bilder und gelegentlich Musikbeilagen. Und sie sind insgesamt hübsch anzusehen, was ich mit Ihnen, liebe Leserin dieses Blogs und selbstverständlich auch mit Ihnen, lieber Leser, teilen möchte.
In loser Folge werden Sie hier Titelblätter, Einbände und Abbildungen aus Almanachen aus der Zeit zwischen 1823 und 1860 finden. Den Anfang macht das Titelblatt von Gedenke mein! aus dem Jahr 1835.