Samstag, 5. März 2011 von Karin S. Wozonig
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Anteilnahme nach Knigge

Meine Serie der Lesefrüchte aus dem echten Knigge setze ich heute fort mit einer Beobachtung zum Thema „aufrichtiges Interesse am Mitmenschen“:

Gehe von niemand und laß niemand von Dir, ohne ihm etwas Lehrreiches oder etwas Verbindliches gesagt und mit auf den Weg gegeben zu haben; aber beides auf eine Art, die ihm wohltue, seine Bescheidenheit nicht empöre und nicht studiert scheine, daß er die Stunde nicht verloren zu haben glaube, die er bei Dir zugebracht hat, und daß er fühle, Du nehmest Interesse an seiner Person, es gehe Dir von Herzen, Du verkauftest nicht bloß Deine Höflichkeitsware ohne Unterschied jedem Vorübergehenden!

Donnerstag, 3. März 2011 von Karin S. Wozonig
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Knigge-Humor english version

Above all things let us never foget that people want to be amused and entertained; that even the most instructive conversation at last becomes irksome to many if it be not seasoned by occasional fallies of wit and good humour; further, that nothing in the world appears to the generality wittier, wiser and more pleasant than what is said to their praise and flatters their vanity; but that it also is beneath the dignity of a rational man to act the mean part of a jester, and unworthy of an honest man to flatter meanly. There is a certain medium which I wish to recommend to you. Every man has at least one good quality which we may praise without degrading ourselves; and an encomium of that sort uttered by a man of understanding and of judgment may become an impulse to strive at greater perfection. This hint will be sufficient for those that are inclined to understand me…. True humour and genuine wit cannot be forced nor produced by art and mental toils; but they are felt like the presence of a celestial being, creating pleasure, congenial warmth and secret awe.

Practical Philosophy of Social Life; or, The Art of Conversing with Men; After the German of Baron Knigge. By P. Will. First American Edition. 1805

Mittwoch, 2. März 2011 von Karin S. Wozonig
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Knigge-Humor

Wie angekündigt wird es in diesem Blog in den nächsten Tagen in loser Folge Lesefrüchte aus dem „Original-Kniggegeben, einem Werk, das ich immer wieder gern lese. Heute ein Ausschnitt über den Witz:

Vor allen Dingen vergesse man nie, daß die Leute unterhalten, amüsiert sein wollen; daß selbst der unterrichtendste Umgang ihnen in der Länge ermüdend vorkommt, wenn er nicht zuweilen durch Witz und gute Laune gewürzt wird; daß ferner nichts in der Welt ihnen so witzreich, so weise und so ergötzend scheint, als wenn man sie lobt, ihnen etwas Schmeichelhaftes sagt; daß es aber unter der Würde eines klugen Mannes ist, den Spaßmacher, und eines redlichen Mannes unwert, den niedrigen Schmeichler zu machen. Allein es gibt einen gewissen Mittelweg; diesen rate ich einzuschlagen, und da jeder Mensch doch wenigstens eine gute Seite hat, die man loben darf, und dies Lob, wenn es nicht übertrieben wird, aus dem Munde eines verständigen Mannes Sporn zu größerer Vervollkommnung werden kann, so ist das Wink genug für den, der mich verstehn will. … Wahrer Humor und echter Witz lassen sich nicht erzwingen, nicht erkünsteln, aber sie wirken, wie das Umschweben eines höhern Genius, wonnevoll, erwärmend, Ehrfurcht erregend.

Mittwoch, 23. Februar 2011 von Karin S. Wozonig
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Der Konstruktionscharakter von Natur

Ein Thema des Salongesprächs über die Natur im Buch, das mitzugestalten ich vorige Woche das Vergnügen hatte, war die Frage danach, wieviel an unseren Naturvorstellungen kulturell gemacht ist. In der FR von gestern findet sich ein Interview mit dem Historiker Joachim Radkau, in dem er dieser Frage nachgeht. Unter anderem meint er:

Ich denke, es müssen mehr Human- und Kulturwissenschaftler an den Entscheidungsprozessen beteiligt werden, die sich über den Konstruktionscharakter von Natur bewusster sind. Natur gibt es ja wirklich, aber wenn wir von Natur reden, dann meinen wir zumeist ein Konstrukt, das wir im Kopf haben – was durchaus auch seinen praktischen Wert hat: Man geht sensibler mit ihr um.

Das finde ich auch. Und ein beträchtlicher Teil dieses Konstrukts basiert auf literarisierter Natur – oder ist literarisierte Natur.

Mittwoch, 9. Februar 2011 von Karin S. Wozonig
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Ökogespräch

Der monatliche Salon „Kaffeehausgespräche“, den ich gemeinsam mit dem Sozialwissenschaftler Detlef Thofern veranstalte, wird im Februar im Zeichen des Ecocriticism stehen. Zumindest, wenn es nach mir geht (man weiß bei einem Salon ja nie so genau, was die Gäste daraus machen werden). Mich treibt seit geraumer Zeit die Frage um, welchen Einfluss literarisierte Natur auf das Natur-Verständnis des Lesers/der Leserin hat. Noch interessanter wird es bei literarischen Naturkatastrophen. Ist zu erwarten, dass jemand, der einen Roman liest, in dem es um die Folgen der menschengemachten Klimaveränderung geht, sein Auto abschafft? Mir ist kein Fall bekannt.

Dienstag, 25. Januar 2011 von Karin S. Wozonig
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Bestseller von einst

Die nächste Nummer des Jahrbuchs des Forum Vormärz Forschung wird sich dem Thema „Wissenskulturen“ widmen. Ich werde dazu beitragen und befasse mich daher seit einiger Zeit wieder mit dem Arzt und Dichter Ernst von Feuchtersleben. Sein Buch mit dem Titel „Zur Diätetik der Seele“ war ein Bestseller seiner Zeit. Dem „Büchlein“ liegt „manch bitt’re Selbsterfahrung“ zugrunde, schreibt der Autor in einem Vorwort. Die Seelendiätetik soll vor Hypochondrie und Melancholie bewahren. Es gibt einige sehr konkrete Anweisungen in dem Text, vor allem sollte man sich nach Feuchterslebens Ansicht ein Vorbild an Goethe nehmen. Andere Autoren hingegen sind zu vermeiden:

Hypochondrie, entgeistete, grämliche, affadirende Hypochondrie ist die Amme der modernen Literatur, und man wird nächstens, zur richtigen Beurtheilung unserer jüngsten Dichter, des Arztes statt des Recensenten bedürfen. […] Solche Dichter ziehen dann natürlich ihr Publikum nach, – und da jetzt fast Alles Publikum ist, Alles von Literatur singen und reden will, – so begreift sich, wie nöthig es ist, daß man diese literarischen Interessen in einer diätetischen Schrift bespreche, wenn man noch einen Theil des Publikums vor dem Gräuel der Hypochondrie retten will. Es gehört also zur Diätetik der Seele, daß wir, weil wir die soi-disants Young’s und Byron’s unserer Tage doch nun einmal kaum überzeugen werden, daß sie vorerst was Rechtes lernen sollten, – es gehört, sage ich, zur Seelendiätetik, daß wir sie jammern lassen sollen.

Dienstag, 18. Januar 2011 von Karin S. Wozonig
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Literarischer Erstkontakt im Gespräch

Auch im Jahr 2011 werde ich gemeinsam mit Detlef Thofern regelmäßig einen literarischen Salon veranstalten. Unter dem Titel „Kaffeehausgespräche“ widmen wir uns wechselnden Themen. Detlef und ich denken uns den Gesprächsstoff aus und bereiten jeweils ca. 10minütige Einleitungen vor, die den möglichen Rahmen abstecken. Dann wird das allgemeine Gespräch eröffnet und nimmt einen nicht vorhersehbaren Verlauf, der von den Interessen der Gäste bestimmt wird. Salon eben. Übermorgen ist es wieder so weit, Thema: Bücher der Kindheit.

Mittwoch, 12. Januar 2011 von Karin S. Wozonig
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Lesestoff für hundert Jahre

Wie in diesem Blog mehrfach angekündigt, habe ich eine meiner Lieblingstätigkeiten, nämlich das Lesen, auf sogenannte elektronische Bücher ausgedehnt. Als Werkzeug dafür (danke Gerda!) dient mir ein Gerät mit der eigentümlichen Bezeichnung OYO, das unter anderem über eine sehr simple Webshop-Funktion verfügt, mit deren Hilfe man hürdenlos Bücher der Buchhandelskette Thalia (294 Buchhandlungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz) kaufen kann, ein Geschäftsmodell, dass sich, glaubt man den Pressemeldungen von Amazon, bewährt.

Wer so wie ich Bücher des neunzehnten Jahrhunderts schätzt, kann mittlerweile auch diese im e-Book-Format käuflich erwerben (der Preis beträgt zwischen 90 Cent und 2 Euro pro Buch). Alternativ stellen diversen Plattformen, unter anderem google books, gemeinfreie Bücher aller Art gratis in den entsprechenden Formaten (der OYO erkennt unter anderem pdf- und epub-Dateien) zur Verfügung. Die Qualität der Digitalisate lässt allerdings oft zu wünschen übrig und die Auswahl ist gleichermaßen überwältigend wie enttäuschend.

Daher habe ich jetzt zu einer altmodischen Lösung gegriffen und mir eine DVD des etwas glücklosen Unternehmens Direct Media Publishing gekauft, das mit seiner Digitalen Bibliothek bereits vor Jahren ein großes Digitalisierungsprojekt realisiert hat, mit seiner proprietären Software – die durchaus gute Funktionalitäten aufweist – allerdings den Geist der Zeit nicht ganz verstanden hat. Neben der von Seiten des Anbieters etwas optimistischen Möglichkeit, durch den Kauf einer Konvertierungssoftware aus den Texten der Digitalen Bibliothek e-Reader-lesbare Dateien zu machen, gibt es auch die Möglichkeit „Die große eBook-Bibliothek der Weltliteratur“ zu erstehen. In meiner Version sind von den knapp 3.000 Texten (davon ca. 1.800 deutschsprachige „Klassiker“) fünf im epub-Format fehlerhaft, lassen sich aber durch die entsprechenden pdf-Files ersetzen. Die Texte sind gut redigiert, Funktionen wie Volltextsuche und Inhaltsverzeichnisse sind vorhanden. Ab heute habe ich nicht nur die Lutherbibel und Goethes „Faust“ sondern auch mehrere Gedichtbände von Ada Christen, den „Witiko“ von Stifter und das publizistische und lyrische Hauptwerk von Betty Paoli immer bei mir.

Dienstag, 4. Januar 2011 von Karin S. Wozonig
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Lektüreempfehlung: Der einzige Ort

Heute, am Geburtstag des Autors, empfehle ich die Lektüre von Thomas Stangls Roman „Der einzige Ort“. Der 2004 erschienene Text handelt von den europäischen Reisenden Gordon Laing und René Caillié, die sich in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts auf die Suche nach dem sagenumwobenen Ort Timbuktu machen. Thomas Stangl macht von seinen Quellen (unter anderem Briefe und Dokumente von Laing und Cailliés Reisebeschreibungen) in bester (postmoderner) literarischer Manier Gebrauch. Hier ein kurzer Textauszug:

Das Licht, das sehr viel später durch die Türöffnung dringt, dem Schattenreich (Lehm, pralle Getreidesäcke, ein Regenschirm, um den sich eine knochige Hand krampft) Konturen gibt, fügt sich in den engen Kreis der Angst und des Schmerzes ein, verstärkt den Schmerz; von seinem Gaumendach zieht sich die Spannung in die Hirnhaut, in die Knochen seiner Schädeldecke, frißt sich voran; etwas in seinem Nacken scheint zu zerreißen, etwas in seiner Kehle scheint sich aufzulösen. Er kann die Augen kaum offen halten, von den Rändern seines Blickfelds her drängt sich etwas Fremdes ins Bild, verzerrt es und schmilzt es zusammen; dieses Fremde (obwohl vom Licht getragen) verschwindet auch nicht bei geschlossenen Lidern, doch solange er eine Spur des Wissens davon bewahren kann, daß es sich um nichts als unbestimmte Traumerscheinungen handelt, glaubt er das Entsetzen in Grenzen halten zu können, den letzten Trost zu bewahren, daß es noch eine Außenwelt gibt, eine Welt, die nach begreifbaren Regeln funktioniert, so wie er nach begreifbaren, ihm bekannten Regeln funktioniert hat.

Thomas Stangl: Der einzige Ort. Roman. München: btb 2006. S. 138f.

Donnerstag, 30. Dezember 2010 von Karin S. Wozonig
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Geburt einer Pythia

Heute vor 196 Jahren wurde Betty Paoli geboren.

Betty Paoli: „Die Pythia“

Ich dichte nicht in frohen Stunden –
Mein Leben ist an solchen leer!
Ich dichte nicht, um zu gesunden –
Genesung gibts für mich nicht mehr.

Ich dichte nicht, um zu erstreben
Des Ruhmes gleißnerische Pracht,
Die, statt Unsterblichkeit zu geben,
Ein zweites Mal nur sterben macht.

Ich dichte nicht, um mich zu krönen
Mit meiner Leiden Dorngeflecht;
Die Menge würde mich verhöhnen
Und sprechen: Es geschah Dir Recht!

Mein Lied quillt aus demselben Borne,
Aus dem das Wort der Pythia brach,
Als rauh und wild im Siegerzorne
Der Macedonier zu ihr sprach.

Des Schicksals nachtumflorten Willen,
Der Zukunft keimevollen Grund
Sollt‘ ihm ihr Seherspruch enthüllen,
Allein verschlossen blieb ihr Mund.

Doch nichts kann sein Verlangen wenden,
Nichts beugen seinen starren Sinn!
Mit frevelhaft vermessnen Händen
Faßt er die bleiche Priesterin.

Zum Schlunde, dunkel, unergründlich,
Drängt er sie zürnend mit Gewalt,
Bis: »Ja! du bist unüberwindlich!«
Sie angst- und zorndurchschauert lallt. –