Freitag, 26. April 2013 von Karin S. Wozonig
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extremely charming if somewhat sad

Die Zeitschrift Musical Times and Singing Class Circular vom 1. May 1890 berichtet über ein Konzert in der St Jame’s Hall in London:

The vocalist, Mr. Norman Salmond, decidedly improved his position by his declamatory but perfectly legitimate rendering of “O ruddier than the cherry.” He also introduced an extremely charming if somewhat sad little song, “Good Night,” by Battison Haynes, in which the composer has caught the spirit of the German verses by Betty Paoli.

Die interessante Frage der Digitalisierung

Vor einiger Zeit habe ich einen Buchbeitrag zum Thema Literaturkritik im Medienwechsel verfasst. Ich habe hier in diesem Blog darüber berichtet, dass mich das Lesen einer konventionellen Buchbesprechung in einer so genannten Qualitätszeitung (gedruckt) von der Literatur wegtreiben könnte (hätte ich weniger Erfahrung mit solchen Besprechungen und mit Literatur), wohingegen mich Texte über Literatur, geschrieben von Menschen die auch Literatur schreiben, oft zur Literatur hinführen.

Über den Medienwechsel nachzudenken, bedeutet auch in Erwägung zu ziehen, dass Bücher aus Bytes weniger Buchqualität haben als Bücher aus Papier. Dagegen lässt sich einwenden, dass ohne google books oder ähnliche Digitalisierungsprojekte viele Bücher aus Papier verlorengehen würden. Oder dass manches Buch, das es nicht in die Presse schafft, elektronisch gelesen werden kann. Oder dass Literaturkonsum unter elektronischer Leserbeteiligung der Literatur einen größeren Stellenwert im täglichen Leben der Menschen einräumt; zumindest einer bestimmten Form von Literatur. In ein paar Jahren werden wir uns den Bauch halten vor Lachen über die Verwirrung, die „das Internet“ einst gestiftet hat.

Erschienen ist mein Beitrag über die Literaturkritik im Buch „Literatur und Digitalisierung“, herausgegeben von Christine Grond-Rigler und Wolfgang Straub. In ihrer Einleitung beobachten die beiden Herausgeber m.E. ganz richtig:

Die eigentlich interessante Frage ist nicht, ob es in Zukunft noch Bücher geben wird, sondern ob es weiterhin Literatur geben wird, die durch die besondere Kombination der drei Parameter Welthaltigkeit, individualisierte Autoren-Perspektive und Schriftlichkeit unser kulturelles Gedächtnis bereichern und prägen wird.

Donnerstag, 14. März 2013 von Karin S. Wozonig
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Privilegierte Orte der Selbsterschaffung

Und wieder kann ich von einem Artikel aus meiner Feder berichten: „Nichtlineares Erzählen. Die chaostheoretische Literaturwissenschaft und ihre Möglichkeiten“ habe ich für das Buch Kultur – Wissen – Narration. Perspektiven transdisziplinärer Erzählforschung für die Kulturwissenschaften verfasst. Der Band wurde von der Grazer Kulturwissenschaftlerin Alexandra Strohmaier herausgegeben, die darin Beiträge einer Tagung und weitere Texte zusammengestellt hat. Die einzelnen Bereiche des Buchs beschäftigen sich mit „Narration und Narratologie(n)“, „Wissen und Narration“ und „Narration (und ihre Grenzen) in Literatur, Kunst und Alltagskultur“.

Wie im vorigen Blogbeitrag ausführlich erklärt, interessiert mich die Frage, wie Leben erzählt werden – von denen die sie leben und von den anderen, z.B. von Biographinnen. In mehreren Beiträgen in Kultur – Wissen – Narration finden sich dazu anregende Thesen. So mündet der Text von Bettina Rabelhofer zum „Erzählen in der Psychoanalyse“ (343-358) in die bedenkenswerte Beobachtung:

Die Couch und die Literatur sind jene privilegierten Orte, an denen symbolische Selbsterschaffung stattfindet.

Samstag, 23. Februar 2013 von Karin S. Wozonig
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Die Dichterin und ihre Germanistin

Frisch aus der Druckerpresse kommt der Tagungsband „Der Dichter und sein Germanist“, der die Konferenz gleichen Titels zu Ehren des Wiener Literaturwissenschaftlers Wendelin Schmidt-Dengler (1942-2008) dokumentiert. Ich habe dafür den Beitrag „Self-fashioning und Anekdote. Betty Paoli und ihre Biographien“ geschrieben und freue mich, den jetzt gedruckt zu sehen. (Ich freue mich immer, Texte von mir gedruckt zu sehen, immer allerdings mit einer mehr oder weniger langen Anlaufzeit, in der ich erst einmal darüber hinwegkommen muss, dass ich es hätte besser machen können. Man hätte es immer besser machen können, wenn einem anders immer schon als besser gilt, das ist der Nachteil der vielen Möglichkeiten).

Dass ich die Gelegenheit bekommen habe, diesen Text zu schreiben, freut mich aus mehreren Gründen. Erstens ist mir Schmidt-Dengler aus meinem Studium als besonders belesener und humorvoller Germanist im Gedächtnis geblieben. Zweitens war es eine interessante Konferenz und die Veranstalter(innen) haben ein vielfältiges Programm zusammengestellt. Ich habe viel gelernt. Und drittens: Ich habe die Konferenz, meinen Beitrag und die Gespräche darüber dazu genützt, über das Schreiben einer Betty-Paoli-Biographie nachzudenken. Dabei habe ich mich gefragt, wie das denn so sei mit der Erfindung versus der Dokumentation eines Lebens.

Soweit ich sehen kann, erzählen alle, die den Luxus des ungestörten Nachdenkens und die Freiheit der Entscheidung haben, sich und anderen eine Geschichte ihres Lebens ganz nach Bedarf und Bedürfnis, mit Auslassungen, Hinzufügungen und Verdrehungen. Ich finde das gut, denn das verhindert, dass man sich unsympathisch wird. Stellen Sie sich vor, Sie würden sich über jede Ihrer Handlungen und Entscheidungen aufrichtig Rechenschaft geben und alle Ihre Motive unverhohlen vor sich selbst und anderen ausbreiten. Ich vermute, Sie würden sich unsympathisch finden und meiner Erfahrung nach sind Menschen, die sich selbst unsympathisch finden überdurchschnittlich anstrengend.

Aus dem habituellen Erzählen, das heißt Konstruieren der eigenen Biographie folgt, dass Autobiographien üblicherweise stark fiktionalisiert sind, in dem Sinne, dass ihre Bestandteile in eine gute Geschichte verpackt werden, mit geringem Gewicht auf faktischen Kausalzusammenhängen. Was aber, wenn man auf einer rudimentären (und notwendigerweise fiktionalisierten) Autobiographie bei spärlicher Dokumentenlage aufbauend die Biographie eines anderen Lebens erzählen möchte? Wem soll diese Erzählung passen? Der Person zu der die Biographie gehört? Den projektierten Leserinnen und Lesern? Der Autorin der Biographie?

Um die Sache noch komplizierter zu machen, spreche ich (hier im Blog und in meinem oben erwähnten Beitrag für den Sammelband „Der Dichter und sein Germanist“) über die Biographie einer Person, nämlich Betty Paoli, die subjektive Lyrik mit einem lyrischen Ich im Zentrum geschrieben hat, das gut und mit Grund (und wenn wir die Literaturwissenschaftlerregel Nummer eins weglassen, die besagt dass das lyrische Ich nie, nie, nie der Autor/die Autorin ist) für die Stimme der Dichterin selbst gehalten werden kann; und von ihren Zeitgenossen und Freunden gehalten wurde. Die Persona (das lyrische Ich) vieler Gedichte Paolis und die Dichterin teilen Erlebnisse und Erfahrungen, das zumindest macht uns Paoli glauben. Bekenntnis- und Erlebnislyrik ist die Kunst der poetischen Authentizität. Sie ist das Paradox der künstlichen Echtheit. Und Betty Paoli beherrschte diese Kunst, die für eine Biographie zu nützen wäre. Das habe ich vor. Über das Resultat werde ich in diesem Blog berichten.

Mittwoch, 13. Februar 2013 von Karin S. Wozonig
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Salongespräche gehen weiter

Nächste Woche werde ich wieder ein Kaffeehausgespräch leiten, oder eigentlich: Ich initiiere es nur und gebe eine kurze Einleitung in das Thema des Tages. Das Gespräch selbst folgt dann seiner eigenen Dynamik.

Die Idee zu diesem Salon stammt ursprünglich von Erika Werner. Sie hat mit den Lesungen mit Musik, die sie für ihren Verein S.T.I.L. e.V. gestaltet hat, kleine und größere Veranstaltungsorte in Hamburg „bespielt“. Darunter war ein Lokal mit dem Namen Heile Welt, etwas versteckt in einem Hinterhof auf der Weidenallee. Erika mochte den Ort und überlegte sich, wie man ihn bekannter machen und für stärkeren Zulauf sorgen könnte. Eine regelmäßige Veranstaltung wäre eine gute Idee, meinte sie. Also erfanden wir die Kaffeehausgespräche. Die Heile Welt ist trotzdem untergegangen. Aber im Chavis haben wir einen passenden Ort für die angeregten Unterhaltungen über Literatur, Bücher, das Wetter und das Leben gefunden. Und derzeit ist es die Konditorei in Davis, die den Rahmen und den Marmorkuchen zum Salon bietet.

Professionell Literatur zu lesen verstellt manchmal den Blick auf den schieren Unterhaltungswert, den sie haben kann. Im Salon über Bücher zu sprechen, ohne den Anspruch, die „angemessene“ Interpretation zu liefern oder alle Feinheiten der Sprache zu ergründen, und das Reden über Literatur ganz ohne Vermittlungsabsicht haben mir viele Einsichten in mein Feld beschert. Und ich habe nicht nur Bücher, sondern auch interessante Menschen kennen gelernt, im Salon. Deshalb: Er geht weiter, am 22. Februar.

Freitag, 25. Januar 2013 von Karin S. Wozonig
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Die Tarockpartie

Das Wienmuseum zeigt noch bis Anfang April die Sonderausstellung „Spiele der Stadt – Glück, Gewinn und Zeitvertreib“. In der Ausstellung und in der Bildergalerie auf der Website zur Ausstellung ist das Bild der tarockspielenden Damen Betty Paoli, Marie von Ebner-Eschenbach und Ida von Fleischl-Marxow zu sehen, das am 17. Mai 1891 von Richard Fleischl-Marxow gemacht wurde.

Eine Schilderung der Tarockpartie lieferte Marie von Ebner-Eschenbach in ihrem Nachruf auf Betty Paoli:

„Den letzten Winter hatte sie [Paoli] besonders gut zugebracht. Sie war wieder schriftstellerisch täthig, sie konnte wieder von Herzen heiter sein bei ihrer geliebten Tarockpartie. Länger als ein Decennium hat sie bestanden. Anfangs begnügten wir uns mit einem Spielchen am Sonntag; später fand ich mich an jedem zweiten Nachmittage im Hause unserer gemeinsamen Freundin, Frau Ida, ein. Betty kam aus ihrem Zimmer in den Salon herüber … Sie hatte immer ein freundliches Lächeln, einen warmen Händedruck zum Willkommgruß und brachte meistens etwas mit, einen Brief, ein Buch, ein Manuscript, aus dem sie vorlesen wollte ehe die Partie begann. Unter den vielen interessanten Zuschriften, die sie erhielt, waren ihr und uns die liebsten die Friedrich Pecht’s. Sie boten immer eine Fülle der Anregung, manchmal kam aber auch das Tarockkränzchen in ihnen schlecht weg. Der verehrte Künstler und Kunstkritiker gerieth in edlen Zorn und fragte höchst unwirsch ob denn drei vernünftige Frauen wirklich nichts Besseres zu thun hättten bei ihren Zusammenkünften, als Tarock zu spielen? Ihm waren eben die Geheimnisse unserer Nachmittags-Beschäftigung nicht erschlossen. Er hatte den lächelnden Ernst nicht gesehen, mit dem Betty die bedeutende Handlung einweihte, indem sie sprach: „Spielen! spielen! Wir sind nicht da, um uns zu unterhalten.“ Und so spielten wir denn. Was? Betty’s Ueberzeugung war: Tarock, weil sie ja doch Tarockkarten in Händen hielt. Wie? Nun das Reich, in dem sie sich beim Kartenspielen bewegte, war nicht das der Berrechnung und Combination, sondern das der Inspiration. Manchmal flog, nachdem sie ihre Blätter eines nach dem andern langsam aufgenommen hatte, plötzlich eines davon auf den Tisch, und sie sagte ein Ultimo an, der ein größeres Wagnis war als Hannibal’s Zug über die Alpen. „Aber Betty“, rief dann Frau Ida ganz bestürzt, „du hast ja noch gar nicht gekauft.“ Richtig! zu kaufen hatte sie vergessen, holte das Versäumte sofort nach und begann zu gleicher Zeit eine sehr unterhaltende Geschichte zu erzählen…“

Soviel Inspiration beim Spiel kann teuer werden, und so hält Marie von Ebner-Eschenbach in ihrem Tagebuch fest:

Nachmittags kam Ida u. Betty Paoli, wir plauderten bis Moriz sich einfand, der eine Partie Tarock proponirte, u. es wurde bis 8 Uhr gespielt. B. P. hatte ein ganz horrendes Unglück „Das geht über meine Verhältnisse!“ Moriz behauptete, ich hätte verstohlen ihre Marken aus unseren Büchsen in die ihre zurück escamotirt.

Mittwoch, 9. Januar 2013 von Karin S. Wozonig
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Betty Paoli und Jakob Kaufmann

Betty Paoli hatte viele interessante Freundinnen und Freunde. Durch ihre literarischen Erfolge lernte sie Dichter, Verleger und Redakteure kennen und bei ihrer Arbeit als Gesellschafterin traf sie auf die Salongäste ihrer Arbeitgeberinnen, auf Intellektuelle, Künstlerinnen und Künstler, Politiker und Mäzene. Für Paoli waren diese Beziehungen sehr wichtig, denn sie verschafften ihr die soziale Anerkennung, die sie qua Geburt (Stand und Geschlecht) nicht hatte. Die Freundschaftssemantik nimmt deshalb auch einen wichtigen Platz in Paolis Lyrik ein.

Die Anfrage eines Doktoranden, der sich mit einem Autor aus Paolis Freundeskreis beschäftigt, der heute fast vergessen ist, hat mich dazu gebracht, ein Huldigungsgedicht Paolis an diesen brüderlichen Freund, Jakob Kaufmann, wieder zu lesen. Kaufmann nahm an den vormärzlichen Bewegungen in Österreich und Deutschland Teil und war Mitarbeiter von Gustav Freytag bei den „Grenzboten“.

An Jakob Kaufmann

In der Heimath trauter Haft
Wolltest du nicht weilen;
Mög‘ auf deiner Wanderschaft
Dich mein Gruß ereilen.

Schmerzlich, freudig, mög‘ er dich
An die Zeit gemahnen,
Wo für flücht’ge Stunden sich
Kreuzten unsre Bahnen.

O wie froh ließ ich dein Wort
Meinen Geist umranken,
Und empfing von dir den Hort
Ew’ger Lenzgedanken!

Einen Strom von Poesie
Fühlt‘ ich mich umschwellen,
Meine Seele läuternd, wie
Heil’gen Stromes Wellen! –

Bruder! grüße ich dich leis‘
Hier in meinem Sange,
Weil ich keinen Namen weiß,
Der von süßrem Klange.

O gewiß! dein Herz verkennt
Nicht was meines flüstert:
Daß wir, ob für stets getrennt,
Doch für stets verschwistert.

Mittwoch, 28. November 2012 von Karin S. Wozonig
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Über den Weltschmerz

Ich kann vermelden, dass ein neuer Artikel von mir erschienen ist, und zwar:

„Die Schwester Lenaus? Betty Paoli und der Weltschmerz.“ In: Edinburgh German Yearbook Bd. 6, Sadness and Melancholy in German Literature and Culture. Herausgegeben von Mary Cosgrove und Anna Richards. Rochester, New York: Camden House 2012. S. 71-94.

Donnerstag, 8. November 2012 von Karin S. Wozonig
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Friederike Kempner und der Kanon

Vor einiger Zeit habe ich in diesem Blog die Mysterien von Parodie und unfreiwilliger Komik anhand des dankbaren Gegenstands der Kempnerschen Gedichte bedacht. Nun ist mir ein Aufsatz untergekommen, verfasst von der feministischen Literaturwissenschaftlerin Susanne Kord, der den vielversprechenden Titel „The Genius of Involuntary Humour: The Kempner-Effect and the Rules of Fiction“ trägt. (Oxford German Studies, 41.2)

Kord versucht Friederike Kempner als subversiv zu lesen. Sie vermutet bei Kempner eine (absichtliche) Lachgemeinschaft mit den Leserinnen und Lesern, Ausdruck von Solidarität mit allen verkannten Dichtern oder Karikaturen der „großen“, männlichen Literatur. Diese jeweiligen Kempner-Effekte (Kord spricht nur von einem) würden erzielt, unabhängig davon, ob Kempner das wollte oder nicht, unabhängig also davon, ob sie das Genie der unfreiwilligen Komik oder ihr poetisches Danebenhauen Absicht sei.

Das „Vergnügen“ an Kempners Gedichten sei, so Kord, sogar noch größer, wenn/da man nicht wisse ob die Dichterin den komischen Effekt erzielen wollte oder nicht. Die nicht ganz kohärenten Schlussfolgerungen Kords machen die Leserinnen und Leser zu Komplizen Kempners, die Kempner-Gedichte nur witzig finden, weil sie eine Vorstellung von „guter“ Literatur haben. Das ist sicher richtig – wären alle jemals geschriebenen deutschen Gedichte von Kempner-Qualität, wäre Kempner nicht besonders lustig. Was Kord nicht erwähnt: Kempner hatte auch eine Vorstellung von „guter“ Literatur und zählte in Kenntnis der Werke von Schiller, Goethe und Heine ihre eigene dazu.

Sonntag, 21. Oktober 2012 von Karin S. Wozonig
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Walter Scott, Übersetzungsvergleich

In den beiden letzten Blogeinträgen habe ich die erfolgreiche Rezitation des „Hochländischen Kriegslieds“ von Betty Paoli durch den Schauspieler Josef Lewinsky erwähnt. Die Neue Freie Presse schreibt darüber:

Als er (Lewinsky) das hochländische Kriegslied mit so zündender Gewalt des Wortes und der Geberde gelesen hatte, daß wir fast die nervenaufregenden Klänge des altschottischen Pibrochs zu hören meinten, brach ein Beifallssturm los, der erst endete, als der Vorleser die Wiederholung des Gedichtes begann.

Heute finden Sie hier dieses Gedicht in drei Fassungen: das Original von Walter Scott, eine Übersetzung von Ferdinand Freiligrath und – als erstes – die Bearbeitung von Betty Paoli.

Betty Paoli: Hochländisches Kriegslied aus dem XV. Jahrhundert

Pibroch von Donald Dhu,
Schalle! ertöne!
Wecke aus träger Ruh‘
Clan Donald’s Söhne!
Kommet in Eil‘ heran,
Kommt im Vereine,
Kriegerisch angethan,
Herr’n und Gemeine!

Kommt aus der Thäler Grund,
Kommt von den Höhen!
Seht unser Banner, bunt,
Trutziglich wehen!
Kommt, von dem Plaid bedeckt,
Herzen voll Treue!
Tapf’re, die nichts erschreckt,
Zeigt euch aufs neue!

Laßt eu’rer Heerden Schaar
Achtlos entweichen,
Öde den Traualtar,
Grablos die Leichen!
Lasset den Hirsch, das Reh,
Netze und Schlingen!
Muthiger gilt’s als je
Schwerter zu schwingen!

Kommt wie der Sturm, wenn er
Wälder zersplittert!
Kommt wie das grimme Meer,
Wenn es gewittert!
Kommet, o kommet All‘!
Kommt zum Gefechte!
Häuptling und Lehnsvasall,
Freie und Knechte!

Kommen schon seh‘ ich sie,
Waffen erblitzen!
Feder und Heideblüh‘
Auf ihren Mützen!
Rasch auf die Feinde zu!
Spart nicht mit Streichen!
Pibroch von Donald Dhu,
Schmett’re das Zeichen!

Walter Scott: Pibroch of Donuil Dhu (1816)

Pibroch of Donuil Dhu,
Pibroch of Donuil,
Wake thy wild voice anew,
Summon Clan Conuil.
Come away, come away,
Hark to the summons!
Come in your war array,
Gentles and commons.

Come from deep glen, and
From mountain so rocky,
The war-pipe and pennon
Are at Inverlochy.
Come every hill-plaid, and
True heart that wears one,
Come every steel blade, and
Strong hand that bears one.

Leave untended the herd,
The flock without shelter;
Leave the corpse uninterr’d,
The bride at the altar;
Leave the deer, leave the steer,
Leave nets and barges:
Come with your fighting gear,
Broadswords and targes.

Come as the winds come, when
Forests are rended;
Come as the waves come, when
Navies are stranded:
Faster come, faster come,
Faster and faster,
Chief, vassal, page and groom,
Tenant and master.

Fast they come, fast they come;
See how they gather!
Wide waves the eagle plume,
Blended with heather.
Cast your plaids, draw your blades,
Forward each man set!
Pibroch of Donuil Dhu,
Knell for the onset!

Ferdinand Freiligrath: Pibroch of Donald Dhu

Donuil Dhu’s Kriegsgesang!
Schlachtlied von Donuil!
Töne mit wildem Klang,
Wecke Klan Conuil!
Kommt herbei, kommt herbei;
Auf zum Gefechte!
Horcht auf das Feldgeschrei,
Herren und Knechte!

Meidet die Schlucht, so wild,
Felsige Bahnen!
Hört, wie die Pfeife schrillt!
Schaut auf die Fahnen!
Hügel-Plaid, Hochlands-Schwert,
Kommet hernieder!
Und wer sie trägt und ehrt,
Muthig und bieder!

Lasset die Braut, das Weib!
Lasset die Heerde!
Lasset des Todten Leib
Ueber der Erde!
Lasset die Jagd, den Teich,
Barken und Schlingen!
Bringt euer Kriegeszeug,
Tartschen und Klingen!

Kommt, wie der Sturm kommt, wenn
Wälder erzittern!
Kommt, wie die Brandung, wenn
Flotten zersplittern!
Schnell heran, schnell herab,
Schneller kommt Alle,
Häuptling, und Bub‘ und Knapp‘,
Herr und Vasalle!

Seht, wie sie kommen! seht,
Wie sie sich schaaren!
Haidkraut im Winde weht,
Feder des Aaren!
Weg den Plaid, zieht das Schwert!
Vorwärts, ihr Leute!
Donuil Dhu’s Kriegsgesang
Töne zum Streite!