Sonntag, 20. April 2014 von Karin S. Wozonig
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Konzeptuelle Reisen

Nächste Woche wird in Wien die ESSHConference stattfinden und ich werde dabei sein, um in einem Panel über „reisende“ Konzepte zu sprechen. Das konkrete Konzept, oder eigentlich: die Idee, deren Bewegung durch Raum und Zeit ich in meinem Vortrag untersuchen werde, ist die der gesellschaftlichen Gleichstellung von Frauen mit Männern. Selbstverständlich beschäftige ich mich mit dieser Frage anhand eines Fallbeispiels. In Frage käme z.B. Betty Paolis Nachdenken über die Philosophie von Mary Wollstonecraft. Dieses oder Ähnliches sollte mein Vortrag enthalten:

Betty Paoli had begun publishing feuilletons and reviews in 1848 and had been writing feuilletons on the social and economical situation of women for the Austrian “Neue Freie Presse” since the 1860ies. In these texts, Paoli based her arguments for female education and opportunities for qualified gainful employment for women on demographical changes in Austria and also frequently referred to the legal situation in France and in the USA. Though Paoli utilised “travelling concepts” (M. Bal) from an emancipatory discourse, she generally started off from the main point of interest of her readership, namely economy, and carefully minimized references to the feminist movements of either foreign or Austrian origin. However, in 1885, she writes an article on “Die Wandlungen der Frauenfrage” (“Transformations of the Woman Question”). In this text Paoli explicitly uses Mary Wollstonecraft’s seminal text “A Vindication of the Rights of Women” (1792) and the well known example of the life and work of George Sand to create a historical perspective of transnational developments in women’s rights. Here Paoli focuses on the interconnectedness of bourgeois gender roles, particularly on the economic aspects of marriage, and on the economical situation of unmarried (middle class) women. At the same time, though, she creates a narration of advancement through which she provides herself as a writer with a historical connection to her predecessors and thus she reaches beyond the necessities of the moment she agitated for in earlier texts.
In my paper I will present Betty Paoli’s feuilletons on the so called “Frauenfrage” and the essay of 1885 in particular as exemplary for the transformation and selective use of the historic and transnational flow of ideas and knowledge in regard to the realisation of women’s rights and gender equity. Paoli’s adaptation of progressive arguments for the bourgeois readership she targeted will be examined in a close reading approach to unveil its heuristic quality and to highlight it as a specific praxis of discourse.

Zumindest habe ich das gedacht, als die abstracts für das Konferenzprogramm (Mai 2013) fällig waren. Abstract, die kurzen Zusammenfassungen von Vorträgen oder Aufsätzen, die gelegentlich lange vor dem dazugehörigen Text zu schreiben sind, heißen deshalb Astracts, weil die darin entwickelten Ideen noch völlig abstrakt erscheinen – zumindest geht mir das so. Im Laufe der Zeit hat sich für mich herausgestellt, dass George Sands Romane, im Zusammenhang mit der Frage die ich stelle, aufschlussreicher sind als Mary Wollstonecrafts politische Schriften. Und deshalb werde ich am kommenden Samstag bei der Konferenz nur über erstere sprechen, ganz gemäß der Auffassung, dass sich bewegende (Vortrags)konzepte ein wichtiges kulturwissenschaftliches Instrument sind.

Donnerstag, 17. April 2014 von Karin S. Wozonig
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All-age-Dystopien

Heute wird wieder einmal der literarische Salon „Kaffeehausgespräche“ stattfinden. Salonherr Detlef hat sich das Thema Kinder- und Jugendliteratur ausgedacht und ich habe gern zugestimmt. Vor kurzem erst habe ich ein Buch von Judith Kerr gelesen („Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“, vom Verlag empfohlenes Lesealter: 14-17 Jahre), das ich noch nicht gekannt habe. Ich gehöre in Bezug auf das Alter definitiv nicht zur Zielgruppe und habe mich mit großem Interesse bei meiner Lektüre beobachtet. Der Abstand zwischen dem impliziten Leser und mir war deutlich zu bemerken und keine Sekunde lang zu vergessen.

Anders ist es mir bei „The Hunger Games“ (dt. „Die Tribute von Panem“, vom Verlag empfohlen ab 12 Jahren) ergangen, einem Paradebeispiel des Marketingcoups „All-age-Literatur“. Für mich liegt die Erklärung für das Funktionieren von Jugendliteratur neuerer Machart in der Dystopie. Und weil die „Kaffeehausgespräche“ nicht einfach nur frei flottierendes Reden sind, sondern auch eine Einleitung haben, in der Anfangs- und Anknüpfungspunkte für die Diskussion geboten werden, werde ich heute im Salon (im Chavis um 19.00) über „The Hunger Games“ sprechen.

Sonntag, 13. April 2014 von Karin S. Wozonig
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Betty Paoli im Porträt

Aus dem Tagebuch von Marie von Ebner-Eschenbach, April 1886: „Mit Ida in das Atelier Frln Müllers um Betty Porträt zu sehen. Stirn Augen und Nase vortrefflich. Die geistige Ähnlichkeit gut getroffen.“

Montag, 10. März 2014 von Karin S. Wozonig
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Wissen und Nichtwissen

Manchmal beschäftige ich mich mit Gegenwartsliteratur. Zum Beispiel im Rahmen eines Workshops, in dem es um den Buchmarkt gehen wird, um Neuerscheinungen, um Informationsquellen, die es ermöglichen, Spreu vom Weizen zu trennen, um Literaturkritik (ein Thema, das ich besonders interessant finde) etc.

In ein paar Wochen werde ich mich mit dem in diesem Blog schon öfter erwähnten Roman „Der einzige Ort“ von Thomas Stangl bei einer Konferenz beschäftigen, die selbstbewusst den Titel „Literatur und Wissen“ trägt. Hier gibt es das Programm als PDF.

Montag, 30. Dezember 2013 von Karin S. Wozonig
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Immer diese Literaturgeschichte

Wir feiern am 30. Dezember Betty Paoli’s Geburtstag – eigentlich den 71t; offiziell (Dank der Ungenauigkeit der Literaturgeschichte) den 70t.

Marie von Ebner-Eschenbach an Paul Heyse am 4. 12. 1885

Donnerstag, 14. November 2013 von Karin S. Wozonig
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Dilettantismus auf literaturkritik.de

Das Rezensionsforum literaturkritik.de, dessen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ich viele Einsichten in das Thema Literaturkritik und Internet verdanke, bringt mir zwei Bücher zur Kenntnis, woraus sich etwas über Dilettantismus [Duden: Di|let|tan|tis|mus, der; – (laienhafte Beschäftigung mit etwas, Liebhaberei; Stümperhaftigkeit)] lernen ließe. Und zwar durchaus Unterschiedliches. Der Dilettantismus ist gerade im Zusammenhang mit der im Internet verbreiteten Literaturkritik besonders interessant (so finde ich, wie Sie hier lesen können), aber auch im Zusammenhang mit dem Schreiben von Literatur oder Geschichte.

Dietmar Jacobsen schreibt auf literaturkritik.de über ein Buch von Joachim Zelter mit dem Titel „Einen Blick werfen. Literaturnovelle“ und konstatiert: „Über schriftstellerischen Dilettantismus als Zeitphänomen schreibt Joachim Zelter alles andere als dilettantisch.“ Nun schreibt Zelter aber gar nicht über schriftstellerischen Dilletantismus (wobei erst einmal geklärt werden müsste, was den Dilettanten vom Professionisten des literarischen Schreibens unterscheidet), sondern darüber, dass zu einem gut verkäuflichen Buch heute mehr denn je ein vermarktbares Schriftstellerleben gehört. Zelter erfindet dafür einen der deutschen Sprache nicht mächtigen (man könnte auch sagen: sprachlich stümpernden), auf dem literarischen Markt erfolgreichen Kamelreitlehrer – eine originelle literarische Behandlung der Auferstehung des Autors und der Büchervermarktung.

Das zweite Buch, auf das mich literaturkritik.de aufmerksam gemacht hat, stammt von Bernhard Viel und trägt den Titel „Egon Friedell. Der geniale Dilettant“. Über dieses Buch schreibt Georg Patzer ausführlich und zitiert dabei auch Friedell:

Nur der Dilettant, der mit Recht auch Liebhaber, Amateur genannt wird, hat eine wirklich menschliche Beziehung zu seinen Gegenständen, nur beim Dilettanten decken sich Mensch und Beruf; und darum strömt bei ihm der ganze Mensch in seine Tätigkeit und sättigt sie mit seinem ganzen Wesen, während umgekehrt allen Dingen, die berufsmäßig betrieben werden, etwas im üblen Sinne Dilettantisches anhaftet: irgendeine Einseitigkeit, Beschränktheit, Subjektivität, ein zu enger Gesichtswinkel.

Was Patzer nicht verrät: Dieses Zitat stammt aus Friedells „Kulturgeschichte der Neuzeit“ und gilt „dem jüngsten kulturhistorischen Versuch, nämlich unserem eigenen“. Friedell konkretisiert:

Was aber im Speziellen die Kulturgeschichte betrifft, so ist es schlechterdings unmöglich, sie anders als dilettantisch zu behandeln. Denn man hat als Historiker offenbar nur die Wahl, entweder über ein Gebiet seriös, maßgebend und authentisch zu schreiben, zum Beispiel über die württembergischen Stadtfehden in der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts oder über den Stammbaum der Margareta Maultasch oder, wie der Staatsstipendiat der Kulturgeschichte Doktor Jörgen Tesman, über die brabantische Hausindustrie im Mittelalter, oder mehrere, womöglich alle Gebiete vergleichend zusammenzufassen, aber auf eine sehr leichtfertige, ungenaue und dubiose Weise. Eine Universalgeschichte läßt sich nur zusammensetzen aus einer möglichst großen Anzahl von dilettantischen Untersuchungen, inkompetenten Urteilen, mangelhaften Informationen.

Was Friedell hier demonstriert ist, dass dem dilettierenden Kulturhistoriker auch eine literarische Figur etwas gelten muss (Jörgen Tesman ist eine Figur von Henrik Ibsen).

Sonntag, 27. Oktober 2013 von Karin S. Wozonig
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Gute Nacht: Paolis Komponisten

Vor einiger Zeit habe ich in diesem Blog über ein Gedicht von Betty Paoli geschrieben, das sehr populär war und unter dem Titel „Gute Nacht“ mehrfach vertont wurde. Damals habe ich immerhin fünf Vertonungen gezählt, mittlerweile bin ich klüger. Das Gedicht war so weit verbreitet, dass es häufig ohne Verfasserangabe gedruckt wurde, außerdem taucht es unter verschiedenen Titeln auf („Gute Nacht“, „Zum Tagesschluss“, „Im tiefsten Innern“), was daran liegt, dass es 1843 in einem Liederkranz ohne Titel (als Nummer 37) publiziert wurde. Bisher habe ich 26 Komponisten und 3 Komponistinnen gefunden, die dieses Gedicht vertont haben.

Mittwoch, 9. Oktober 2013 von Karin S. Wozonig
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Familienkonflikte und Germanistenkonferenz

Ich war auf der Konferenz der German Studies Association in Denver. In einem Panel dieser groß angelegten Veranstaltung habe ich meine Überlegungen zu Familienkonflikten im Prosawerk Betty Paolis vorgetragen. Zwanzig Novellen bzw. Erzählungen von Paoli habe ich mittlerweile gefunden und in vielen davon geht es um die Dysfunktionalität bürgerlicher Familien. Fast immer scheitern die Figuren an den von ihnen verinnerlichten Idealvorstellungen bürgerlichen Verhaltens. Fast immer ergreift die Erzählinstanz die Partei der normierenden und kontrollierenden Umgebung.

Diese Novellen und Erzählungen sind, wenn man sie so hintereinander wegliest, recht ermüdend, aber sie präsentieren ein Problem, das sich in ihrer Entstehungszeit entwickelt und verfestigt hat und bis heute nicht wirklich gelöst ist. Bei der Konferenz habe ich Gelegenheit gehabt, mit einer kompetenten Historikerin darüber zu sprechen, wie weit die Literatur des neunzehnten Jahrhunderts die realen Familienkonstellationen der Zeit abbildet; ein interessantes Thema, für dessen Behandlung ein interdisziplinärer Ansatz von großem Vorteil ist.

Donnerstag, 26. September 2013 von Karin S. Wozonig
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Die Presse und der Minister

Vor einiger Zeit habe ich mich in diesem Blog darüber gefreut, dass Betty Paoli durch das Jubiläum der Zeitung in die „Presse“ zurückgekehrt ist, ein Blatt, für das sie einige ihrer besten Feuilletonbeiträge verfasst hat. In diesem Zusammenhang habe ich auch erwähnt, dass die heutige „Presse“ nicht die gleiche Zeitung wie die ursprüngliche „Presse“ ist, dass Betty Paoli aber auch für die ursprüngliche, im Jahr 1848 gegründete „Presse“ geschrieben hat und mit der reaktionären Ausrichtung der Zeitung ganz einverstanden war.

Das Zitat Paolis, die „Presse“ habe sich selbst „Stadions (das ist Franz Stadion Graf von Warthausen und Thannhausen, 1849 Innen- und Unterrichtsminister) Anerkennung erworben“, möchte ich heute mit einem Zitat des Historikers Joseph Alexander Helfert (1820–1910) in den Kontext der Zeitungsgeschichte stellen:

„Die Presse“ hatte fürs erste die auffallende Wohlfeilheit für sich, da sie für einen Kreuzer pro Bogen großen Formats mehr bot als alle bisherigen größeren Zeitungen für das doppelte. Sie gewann zweitens das gebildete Publikum durch die gewandte Eleganz und den zwar entschiedenen, mitunter scharfen, aber stets anständigen Ton ihrer Vortragsweise. Sie war drittens österreichisch, und dies nicht im wohldienerischen, sondern in freimütig wohlmeinendem Sinne, und machte aus dieser Tendenz kein Hehl. ‚Die Presse‘ verfocht die Sache der Reaktion: ‚sie ist und will schwarzgelb sein‘ … Aber auch Stadion wurde nicht vergessen, der sich für ‚Die Presse‘ vom ersten Augenblicke interessiert hatte und dessen zeitweiser Verkehr mit deren Eigentümer und Herausgeber kein Geheimnis war. Hinter Zang, hieß es, stecke niemand anderer als Stadion, der ‚Zukunftsminister,‘ der sich behutsam vorsorgend schon das Organ für sein einstiges Portefeuille zurechtlege; Stadion habe ‚Die Presse‘ gegründet, Landsteiner (Leopold Landsteiner, Redakteur) sei sein verkaufter Sklave.

Mittwoch, 18. September 2013 von Karin S. Wozonig
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Buchmarketing

Heute möchte ich erzählen, dass Betty Paoli in ihrer Funktion als Kritikerin für die Zeitung „Die Presse“ versucht hat, Büchern zum Erfolg zu verhelfen. Das ist dem Autor Alfred Friedmann, über dessen Literatur Paoli meines Wissens nie geschrieben hat, nicht entgangen. In einem Artikel mit dem Titel „Etwas über das Recensieren“ schreibt er:

Die Dichterin Betty Paoli hat jüngst in der „Presse“ der Dichterin Ebner von Eschenbach zwei Feuilletons gewidmet und gesagt: „dem Genie gehöre solch epische Recension, dem Mittelgut kaum eine kurze Notiz; ein gutes Buch mache sich übrigens ganz von selbst bekannt.“ Gewiß! Getrennt sind die beiden Behauptungen sehr richtig; geeint stoßen sie sich gegenseitig u. wenn ein gutes Werk sich selbst bekannt macht, warum dann zwei Feuilletons darüber? Auch hat nicht jede Freifrau Marie von Eschenbach ihre Betty Paoli, und nicht jedem mittelmäßigen Buch wird eine Notiz.