Dienstag, 4. Januar 2011 von Karin S. Wozonig
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Lektüreempfehlung: Der einzige Ort

Heute, am Geburtstag des Autors, empfehle ich die Lektüre von Thomas Stangls Roman „Der einzige Ort“. Der 2004 erschienene Text handelt von den europäischen Reisenden Gordon Laing und René Caillié, die sich in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts auf die Suche nach dem sagenumwobenen Ort Timbuktu machen. Thomas Stangl macht von seinen Quellen (unter anderem Briefe und Dokumente von Laing und Cailliés Reisebeschreibungen) in bester (postmoderner) literarischer Manier Gebrauch. Hier ein kurzer Textauszug:

Das Licht, das sehr viel später durch die Türöffnung dringt, dem Schattenreich (Lehm, pralle Getreidesäcke, ein Regenschirm, um den sich eine knochige Hand krampft) Konturen gibt, fügt sich in den engen Kreis der Angst und des Schmerzes ein, verstärkt den Schmerz; von seinem Gaumendach zieht sich die Spannung in die Hirnhaut, in die Knochen seiner Schädeldecke, frißt sich voran; etwas in seinem Nacken scheint zu zerreißen, etwas in seiner Kehle scheint sich aufzulösen. Er kann die Augen kaum offen halten, von den Rändern seines Blickfelds her drängt sich etwas Fremdes ins Bild, verzerrt es und schmilzt es zusammen; dieses Fremde (obwohl vom Licht getragen) verschwindet auch nicht bei geschlossenen Lidern, doch solange er eine Spur des Wissens davon bewahren kann, daß es sich um nichts als unbestimmte Traumerscheinungen handelt, glaubt er das Entsetzen in Grenzen halten zu können, den letzten Trost zu bewahren, daß es noch eine Außenwelt gibt, eine Welt, die nach begreifbaren Regeln funktioniert, so wie er nach begreifbaren, ihm bekannten Regeln funktioniert hat.

Thomas Stangl: Der einzige Ort. Roman. München: btb 2006. S. 138f.

Donnerstag, 30. Dezember 2010 von Karin S. Wozonig
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Geburt einer Pythia

Heute vor 196 Jahren wurde Betty Paoli geboren.

Betty Paoli: „Die Pythia“

Ich dichte nicht in frohen Stunden –
Mein Leben ist an solchen leer!
Ich dichte nicht, um zu gesunden –
Genesung gibts für mich nicht mehr.

Ich dichte nicht, um zu erstreben
Des Ruhmes gleißnerische Pracht,
Die, statt Unsterblichkeit zu geben,
Ein zweites Mal nur sterben macht.

Ich dichte nicht, um mich zu krönen
Mit meiner Leiden Dorngeflecht;
Die Menge würde mich verhöhnen
Und sprechen: Es geschah Dir Recht!

Mein Lied quillt aus demselben Borne,
Aus dem das Wort der Pythia brach,
Als rauh und wild im Siegerzorne
Der Macedonier zu ihr sprach.

Des Schicksals nachtumflorten Willen,
Der Zukunft keimevollen Grund
Sollt‘ ihm ihr Seherspruch enthüllen,
Allein verschlossen blieb ihr Mund.

Doch nichts kann sein Verlangen wenden,
Nichts beugen seinen starren Sinn!
Mit frevelhaft vermessnen Händen
Faßt er die bleiche Priesterin.

Zum Schlunde, dunkel, unergründlich,
Drängt er sie zürnend mit Gewalt,
Bis: »Ja! du bist unüberwindlich!«
Sie angst- und zorndurchschauert lallt. –

Donnerstag, 16. Dezember 2010 von Karin S. Wozonig
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Konsumgesellschaft

Das heutige Kaffeehausgespräch, der monatliche literarische Salon, den ich gemeinsam mit dem Sozialwissenschaftler Detlef Thofern leite, widmet sich dem Thema „Konsum“. Aus diesem Anlass möchte ich die Worte des Warenhausbesitzers Octave Mouret aus „Das Paradies der Damen“ von Emile Zola (1883) zitieren, der seinem Bankier erklärt,

der Handel basiere jetzt auf der ununterbrochenen und raschen Umsetzung des Kapitals, wobei es darum gehe, dieses so oft wie möglich innerhalb eines Jahres in Waren zu verwandeln… Wir bedürfen keines großen Betriebskapitals. Wir müssen uns lediglich bemühen, uns sehr schnell der eingekauften Waren zu entledigen, um sie durch andere zu ersetzen… Auf diese Weise können wir uns mit einem kleinen Gewinn begnügen… Nur werden daraus schließlich doch Millionen, wenn man nur mit erheblichen Warenmengen arbeitet, die unaufhörlich erneuert werden.

Sonntag, 12. Dezember 2010 von Karin S. Wozonig
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Kunst und Natur nach Hebbel

Die Kunst ist eine zusammengepresste Natur und die Natur eine auseinandergelaufene Kunst.

Friedrich Hebbel

Mittwoch, 8. Dezember 2010 von Karin S. Wozonig
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Naturbetrachtung nach Friedrich Hebbel

Die Natur hat mit dem Menschen in die Lotterie gesetzt und wird ihren Einsatz verlieren.

Friedrich Hebbel

Sonntag, 5. Dezember 2010 von Karin S. Wozonig
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Quellen und Strömungen germanistischer Forschung

Ich hatte das Vergnügen, an der Konferenz „Uferdasein. Quellen und Strömungen germanistischer Forschung“ im winterlichen Ústí nad Labem teilzunehmen. In meinem Vortrag habe ich mir Gedanken gemacht über die evolutionsbiologisch interessierte Literaturwissenschaft, die mich seit dem Darwin-Jahr 2009 beschäftigt. Dank an die Organisatorinnen und Organisatoren!

Freitag, 26. November 2010 von Karin S. Wozonig
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Mutige Frau

George Sand. Die Sand ist doch ein ungewöhnliches Weib, was man auch sonst über sie denken und sagen möge. Das hat sie denn neuerdings bewiesen durch die Offenheit, mit der sie ihren 40sten Geburtstag gefeiert hat; eine gewöhnliche Frau würde diesen Moment in Nacht und Vergessenheit begraben haben.

Sonntags-Blätter, 12. November 1843, Nr. 46, S. 1089

Sonntag, 31. Oktober 2010 von Karin S. Wozonig
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Nikolaus Lenau äquilibriert

Nikolaus Lenau an Emilie von Reinbeck, 6. Oktober 1842:

Betty Paoli hat mir ihre mir gewidmeten Gedichte nebst einem Briefe zugesendet, so voll berauschenden Lobes und warmer Gesinnung der innigsten Theilnahme, daß ich fast einige Augenblicke äquilibriren mußte um nicht von einem selbstüberschätzenden Taumel ergriffen zu werden. Doch, ich bin gerettet; nicht blos bei meiner Geige bin ich mir der falschen Griffe und des Gefitschels bewußt. – Ich habe die Dichterin besucht und fand sie sehr liebenswürdig und vernünftig. Leider konnte ich aber meiner gewohnten Verschlossenheit nicht dasjenige Maß von Freundlichkeit zur Gegengabe abgewinnen, das die gute, edle Seele verdient hätte.

Dienstag, 19. Oktober 2010 von Karin S. Wozonig
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Aktuelles

Mit dem Thema Differenz und Hybridität habe ich mich in den letzten Monaten eingehend beschäftigt. Ein Ergebnis davon ist die Nummer 4 der Zeitschrift „Aussiger Beiträge“, die ich gemeinsam mit Renata Cornejo und Jana Hrdli?ková herausgegeben habe und die soeben im Praesens Verlag erschienen ist.

Samstag, 9. Oktober 2010 von Karin S. Wozonig
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Der Killy

Für die Neuausgabe des Killy Literaturlexikons habe ich einen Artikel über Betty Paoli geschrieben. Vor einigen Wochen ist der betreffende Band erschienen und jetzt auch online beim Verlag de Gruyter verfügbar. Ich schreibe immer gern über Paoli, dieser Lexikonbeitrag hat mir aber besondere Freude gemacht. Denn der Artikel aus dem Killy von 1991, verfasst von Eda Sagarra, war für mich ein wichtiger Startpunkt für mein literaturwissenschaftliches Interesse an der Dichterin. Dieses hat seither zu einer Monographie, Zeitschriften- und Buchbeiträgen geführt und ist – wie Sie auch aus diesem Blog ersehen können – noch nicht erlahmt.