Mittwoch, 26. Oktober 2011 von Karin S. Wozonig
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Über den Vormärz und die Paulskirche reden

Bei der Tagung Literatur im Umfeld der Frankfurter Paulskirche 1848/49 habe ich sehr viel Neues gehört und einige sehr interessante Gespräche geführt. Besonders gut finde ich es, dass sich eine Generation von klugen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen etabliert hat, für die Kooperation eine Selbstverständlichkeit ihrer akademischen Sozialisation ist. Das macht den Umgang mit ihnen angenehm. Die andere Erklärung für die gute Atmosphäre wäre, dass Menschen, die sich für das neunzehnte Jahrhundert interessieren einfach freundlicher sind als andere. Aber das kann ich dann doch nicht glauben.

Meine Präsentation des 1846 anonym erschienen  „Actenmäßigen Berichts der ersten Versammlung deutscher Schriftstellerinnen, gehalten in Weimar am 5., 6. und 7. Oktober 1846“ – das war es, was sich hinter meinem Vortrag mit dem Titel „Autorinnen im Vormärz. Ein Panorama politischer Teilhabe“ verborgen hat – wurde durchaus positiv aufgenommen. Wenn man sich einen so prägnanten Text als Grundlage für einen Vortrag sucht, kann aber eigentlich nichts schief gehen.

Ich hoffe sehr, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Konferenz, die ihr Interesse an dem Text bekundet habe, mir ihre Erkenntnisse mitteilen. Implikationen und Rezeptionsspuren sind in einem solchen Fall kaum systematisch zu erarbeiten. Verklausulierte Andeutungen in Briefen oder kleine Notizen in Zeitungen können für die Einschätzung eines Texts dieser Art hilfreich sein, sind aber oft Zufallsfunde.

Dank an Bernd Füllner, Frank Fürbeth, Gabriele von Glasenapp, Rainer Hillenbrand, Pierre Krügel, Claudia Lieb, Antonie Magen, Petra Mayer, Barbara Potthast, Bernhard Walcher, Björn Weyand und Ulrich Wyss für die informativen und kurzweiligen Vorträge und an die Veranstalter Robert Seidel und Bernd Zegowitz darüber hinaus für die Einladung.

Mittwoch, 19. Oktober 2011 von Karin S. Wozonig
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Schreibende Frauen im Vormärz

Beschäftigt man sich mit der literarischen Szene in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, so stößt man auf einige sehr erfolgreiche Schriftstellerinnen. Die meisten von ihnen sind heute weitgehend vergessen. Und das, obwohl sie genug Bücher verkauft haben, um vom Schreiben leben zu können. Oder so populär waren, dass ihre Gedichte in Schulbüchern abgedruckt wurden, wie z.B. die von Betty Paoli.

In einigen Tagen gibt mir die Konferenz „Literatur im Umfeld der Frankfurter Paulskirche 1848/49“, veranstaltet vom Institut für Deutsche Literatur und ihre Didaktik der Goethe Universität Frankfurt am Main, die Gelegenheit über ein paar Schriftstellerinnen zu sprechen, die im Vormärz geschrieben haben.

Samstag, 8. Oktober 2011 von Karin S. Wozonig
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Am Versöhnungstage

Die Zeit, wo aus dem Herzen, unbeklommen
Die Segenspalme der Vergebung grünt,
Der Tag der Buße war herangekommen,
Wo Israel sich vor dem Herrn entsühnt;

Da flossen Thränen, bange Seufzer bebten;
Der Sturm der Andacht riß die Seelen fort;
Gebete, Opfer und Gesänge schwebten,
Als Friedensmittler zwischen hier und dort.

Im Auge tiefen Mitgefühles Spende,
Versenk‘ ich mich in diesen großen Schmerz
Und presse, träumerisch-sinnend, meine Hände
Auf mein erschüttert-überwältigt Herz.

„O Israel!“ so drängt es mich zu rufen,
„Was feierst Du noch dieses Sühnungsfest?
Ward dir nicht an des Opferaltars Stufen
Schon längst der letzte Jammerschrei erpreßt?

Betty Paoli, 1855

Freitag, 30. September 2011 von Karin S. Wozonig
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Interessante Bekanntschaft

Hochverehrter!

Judith hat gestern einen glorreichen Triumph bei der Fürstin Schwarzenberg gefeiert und wiederholt auch, in einer neuen Art, bei dem Vorleser, mir selbst. […] Nun eine Bitte. Ich möchte, daß Sie, Verehrtester, mir etwas zu danken hätten. Erlauben Sie mir zu dem Ende, daß Sie durch niemand Andern – (Dr Schmidl hat dieselbe Absicht) – als durch mich die interessante Bekanntschaft von Betty Paoli machen. Ich will Sie Dienstag um 11 Uhr Morgens dazu in Ihrer Wohnung abholen. […]

Brief von Franz Xaver Fritsch an Friedrich Hebbel (undatiert)

Freitag, 23. September 2011 von Karin S. Wozonig
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Viele Germanisten, viele Dichter

Gestern und heute hatte ich das Vergnügen, an einer Tagung teilzunehmen, die vom Verein Neugermanistik, Institut für Germanistik der Universität Wien, veranstaltet wurde und die sich dem Thema „Der Dichter und sein Germanist“ (Frauen waren mitgemeint) widmete. Mit Referenz auf und Reverenz an Wendelin Schmidt-Dengler haben bei dieser Gelegenheit Literaturwissenschaftler(innen) mit unterschiedlichen Erkenntnisinteressen tief in ihre Werkstatt und gelegentlich in ihre Seele schauen lassen und ich fühle mich bestätigt in meiner Annahme, dass ich mit dem „Possession-Syndrom“ nicht alleine bin. Dieses Syndrom habe ich an mir nach der Lektüre des Romans von A. S. Byatt entdeckt. In ihm stehen die Literaturwissenschaftler(innen) irgendwann mit Schaufeln auf dem Friedhof, um die Särge „ihrer“ Dichterin und „ihres“ Dichters auszugraben, um an die Dokumente zu kommen, die ihnen für den Beweis ihrer biographischen Thesen noch fehlen.

Ich danke den Veranstaltern der Konferenz Daniela Strigl, Franz Eybl, Stephan Kurz und Michael Rohrwasser sehr herzlich dafür, dass sie mir die Möglichkeit geboten haben, über Betty Paolis dichterische Einkleidung – durch sie selbst und durch ihre Biograph(inn)en – zu sprechen!

Montag, 19. September 2011 von Karin S. Wozonig
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Widmung An Ida

Daß ich, als jeder Trost mir fern gelegen,
Und meiner Hand der Hoffnung Stab entwunden,
Inmitten all der Larven dich gefunden,
Ich nenn‘ es meines Lebens höchsten Segen!

Jetzt wandeln wir schon lang auf gleichen Wegen,
Die heitern theilend und die trüben Stunden,
Und schreiten, fester, inn’ger stets verbunden,
Dem letzten, nachtverhüllten Ziel entgegen.

Vor dir, so hoff‘ ich, werd‘ ich es erreichen!
Vor dir, wird des Befreiers milde Hand
Mich aus dem Buche der Lebend‘ gen streichen!

Und, wenn im Grab ich deinem Blick entschwand,
Dann sei dir dieses Buch ein Liebeszeichen,
Ein stiller Gruß aus fernem Geisterland!

Betty Paoli: Neueste Gedichte. 1870

Samstag, 17. September 2011 von Karin S. Wozonig
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Relative Peinlichkeit

Aus dem Tagebuch von Marie von Ebner-Eschenbach: „Flora findet die Gedichte Betty Paolis an Ida so schrecklich. Es werden sich die Leute darüber lustig machen, meint sie. Das glaube ich doch nicht.“

Dienstag, 13. September 2011 von Karin S. Wozonig
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Am 5. September

An Ida.

Als dämmernd noch das Leben vor mir lag,
Mein Herz noch nichts errungen, nichts verloren,
Nicht ahnt‘ ich da, daß mir an diesem Tag
Mein bestes Kleinod ward zur Welt geboren!

Nicht ahnte ich, daß heut‘ der hellste Stern
An meinem Horizonte aufgegangen,
Daß meines Wesens innerlichster Kern
Den vollen Abschluß heute erst empfangen.

Ich ahnt‘ es nicht; erst jetzt erkenn‘ ich’s ganz!
Nur eines kann ich auch noch jetzt nicht fassen:
Daß deiner Liebe heller Strahlenkranz
Auf meine Stirn sich mochte niederlassen.

Es heißt ja doch, daß nur um Gleich und Gleich
Die Bande sich wahrhaft’ger Freundschaft weben.
Du aber bist so reich, so überreich,
Und ich, – – was hab‘ ich Arme dir zu geben?

Nichts als mich selbst! doch diese Gabe schafft
Dir Sorgen nur und immer neue Mühen!
Denn stützen mußt du mich mit deiner Kraft,
Dein böses altes Kind zum Guten ziehen.

Du mußt, bald ernst und streng, und bald gelind,
Hier raten, trösten, strafen dort und wehren,
Und die Gedanken, die das Leben sind,
Den erdgebund’nen Geist erst denken lehren.

Tief schmerzlich überkommt mich’s manchesmal:
O daß ich früher, früher dich gefunden,
Als ungetrübt noch meines Auges Strahl,
Und meine Brust noch rein von Schuld und Wunden!

Dann wäre nie des Samums glüher Hauch
Vergiftend über mich hinweggegangen!
Ich gliche nicht dem blitzversengten Strauch,
Und könnte geben, statt nur zu empfangen!

Doch, hat voreinst nicht aus des Heilands Mund
Die schmerzenmüde Welt dies Wort vernommen:
»Für jene nicht, die kräftig und gesund,
Nein! für die Kranken ist der Arzt gekommen«?

Du treuer Arzt! so hast, als, wüst und wirr,
Das Fieber mich der Leidenschaft bezwungen,
Du mich gepflegt, und liebest nun in mir
Die Beute, die dem Tod du abgerungen!

Betty Paoli: Neueste Gedichte, 1870

Dienstag, 6. September 2011 von Karin S. Wozonig
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Die selbsterfunde Lebensgeschichte

Seit Jahren beschäftigt mich die Frage, wie mit der Biographie einer Autorin oder eines Autors umzugehen ist. Sind Lebensgeschichten relevant für das Verständnis literarischer Texte? Ist es zulässig, „autobiographische Bezüge“ in Romanen zu finden oder gilt nicht viel mehr: In einem Roman ist alles, aber auch wirklich alles fiktiv (weil es andernfalls kein Roman wäre)? Und sind die Lebensgeschichten, die Autorinnen und Autoren von sich selbst erzählen, Bestandteil ihres Lebens oder ihres Werks? Was ist, wenn sie viele verschiedene Geschichten von sich erzählen, jede gleich wahr – wenn auch nicht gleich wirklich?

Die vorläufigen Ergebnisse meiner Überlegungen in Bezug auf den konkreten Fall Betty Paoli darf ich im Rahmen der Veranstaltung „Der Dichter und sein Germanist“, einem Symposion in memoriam Wendelin Schmidt-Dengler, veranstaltet vom Institut für Germanistik der Universität Wien und der Österreichischen Gesellschaft für Literatur vorstellen.

Dienstag, 23. August 2011 von Karin S. Wozonig
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Der Beginn einer Dichterinnen-Karriere

An die Männer unserer Zeit

Halb Scherz, halb Ernst

Spotten hör’ ich Euch und zürnen ob der Frauen Wankelmuth
Ob in zarten Mädchenherzen gar zu leicht entbrannter Glut,
Ob der Leere, die da waltet in so manches Weibes Sinn,
Und wie leicht es Lieb’ und Treue gibt für Erdenlust dahin;

Ob der Flachheit und des Unwerths uns’rer jetz’gen Frauenwelt,
Wie sie einzig nur verehren, was dem Auge wohlgefällt;
Wie sie – doch genug der Frevel! Rede stehen will ich Euch
Eurer Klage Antwort geben, und sie werde Euch sogleich.

Lästert feindlich nicht die Frauen! Schmäht Ihr sie, so schmäht Ihr Euch,
Denn es sind der Frauen Herzen einem reinen Spiegel gleich:
Selber ist er ohne Makel, doch das Spiegelbild seyd Ihr;
Will nun dieses nicht gefallen, ey, was kann das Glas dafür?

Seht , es ähneln Frauenherzen ungeschliffenem Demant:
Bildet liebend ihn und sorglich eine kunstverständ’ge Hand,
Wird er klare Strahlen sprühen, wird er leuchten hell und hehr,
Wird er Glanzeswogen werfen, wie ein glutentflammtes Meer.

Doch wie anders, wenn den Demant unberuf’ne Hand verdarb,
Wenn durch ungeschicktes Walten all’ sein Glanz gar schnell erstarb;
Traun! der Stein war wunderprächtig, aber dennoch ist er hin,
Weil dem Mann, der ihn behandelt, fehlte kunstgewandter Sinn.

Ihr seyd uns’re Herr’n und Meister! Ja, wir bilden uns an Euch,
Um von Euch geliebt zu werden, möchten wir Euch werden gleich,
Ey, und seltsam ist es, wahrlich! daß wir, Euer Conterfey,
Nun das Ziel von Euerm Zürnen und von Eurer Spötteley.

Sollen Frauen sich veredeln, möget edler werden Ihr,
Möget bannen aus dem Busen wilder Leidenschaften Gier,
Mögt zuvor erst selber werden, wie die Frauen sollten seyn,
Fehlerfrey und ohne Mängel, und im Herzen treu und rein.

Ob dies jemals wird geschehen? Ach, ich glaub’ es nimmermehr!
Manches Jahr noch wird sich senken in der Ewigkeiten Meer,
Doch wohl nimmer wird man schauen, daß Ihr fühlt, wie’s unrecht sey,
And’rer Fehler zu bekritteln, wenn man selbst nicht fehlerfrey.

Betti Glück

Aus: Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode, 25. August 1832