Montag, 14. Mai 2012 von Karin S. Wozonig
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Biedermeier als Parodie

Das Grimmsche Wörterbuch weiß zum Begriff „Parodie“ zu sagen:

umbildung einer bekannten ernsten dichtung mit beibehaltung ihrer form ins scherzhafte oder spöttische, dann auch im übertragenen sinne (aus griech. parōdía neben-, gegengesang, dann umdichtung allgemein bekannter und berühmter gedichte, so dasz bei geringer veränderung der worte statt des erhabenen ein gemeiner und lächerlicher sinn hervorgeht.)

Aus dem Biedermann (vir bonus) ist mit wenigen literarischen Griffen ein Biedermeier zu machen und die begriffliche Gratwanderung entspricht der so bezeichneten Epoche.

Rudolf Rodt hat nicht nur an der parodistischen Epochenbezeichnung mitgewirkt, sondern auch ernste Dichtung mit Beibehaltung ihrer Form ins scherzhafte umgebildet. Während der „Taugenichts“ von Eichendorff spätromantisch-freudig „nach Italien, nach Italien!“ läuft, wo er das gute Leben findet und wo Goethes „Mignon“ von Zitronenblüten und Gold-Orangen träumt, „wohnt“ in Rodts Italien die mehrdeutige Pomeranze. Und so sieht der sehnsüchtige Wanderlustige aus Rodts Gedicht „Wanderlust“ (1849) Kalifornien:

Aber jetzt! nach Kalifornigen
Jagt es mir den Sinn den zornigen,
Der schon längst dahin geschwärmt:
Wo die goldnen Adern ziehen,
Durch die schweigenden Prairieen,
Und der Sakramenter lärmt –
Dahin, Alter, laß mich ziehn!

Nach Kalifornigen, nach Kalifornigen
Fang ich an das Lied von vornigen,
Wo der ew’ge Dollar rollt,
Wo es gelber wird und gelber,
Wo des Wandrers Adern selber
Wandeln sich in flüssig Gold –
Alter, dahin muß ich ziehn!

Dahin, wo bei Tropenhitze
Auch in der geringsten Pfütze
Noch ein echter Goldfisch irrt;
Wo die Quellen, die gefrieren,
Sich zu Gold statt Eis fixiren,
Wenn es jemals Winter wird –
Dahin, Alter, möcht ich ziehn.

Dort wo unter jeder Scholle
Von Dukaten eine Rolle
Schlummernd uns entgegen lacht;
Wo das Silber ist Lappaligen,
Wo der Mensch mit Viktualien
Glänzende Geschäfte macht –
Dahin, Alter, laß mich ziehn! –

Freitag, 11. Mai 2012 von Karin S. Wozonig
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Wissenskulturen

Ich freue mich darüber, dass in das aktuelle Jahrbuch des Forum Vormärz Forschung ein Beitrag von mir über den komplexen Text „Zur Diätetik der Seele“ von Ernst von Feuchtersleben aufgenommen wurde. Ich danke den Herausgebern Gustav Frank und Madleen Podewski für diese Möglichkeit, an einer multiperspektivischen Behandlung der „Wissenskulturen des Vormärz“ mitzuwirken.

Je eingehender ich mich mit dem Biedermeier beschäftige, desto deutlicher überträgt sich die zeitgenössische Erschütterung aller Sicherheiten und die Problematik der Formulierung und Verfestigung neuer sozialer und ästhetischer Normen auf meine Erkenntnis. Und das meine ich im positiven Sinn.

Den Begriff „Biedermeier“ lerne ich immer mehr zu schätzen, einerseits als passenden Hinweis darauf, dass in der Zeit zwischen 1815 und 1848 das (Klein)Bürgertum zu einem relevanten kulturellen und politischen Faktor wurde, und andererseits, weil die weite Verbreitung der Bezeichnung das Ergebnis einer Paraodie ist. Einer ihrer Urheber ist Ludwig Eichrodt, der unter dem Pseudonym Rudolf Rodt unter anderem Gedichte mit dem Titel  „Dachstubenpoesie der Lenautiker“ und „Das Frauenauge und der elektromagnetische Telegraf“ verfasst hat. Sein Wanderlied beginnt mit den schönen Zeilen

Nach Italien, nach Italien!
Möcht ich, Alter, jetzt einmaligen!
Wo die Pomeranze wohnt…

Und dieses zu seiner Zeit durchaus populäre Gedicht, erschienen 1849 in den Fliegenden Blättern, enthält auch ein paar Strophen zum Sehnsuchtsland Kalifornien. Die erste davon lautet:

Aber jetzt! nach Kalifornigen
Jagt es mir den Sinn den zornigen,
Der schon längst dahin geschwärmt:
Wo die goldnen Adern ziehen,
Durch die schweigenden Prairieen,
Und der Sakramenter lärmt –
Dahin, Alter, laß mich ziehn!

Die nächsten Strophen liefere ich in den kommenden Tagen hier in diesem Blog.

Mittwoch, 26. Oktober 2011 von Karin S. Wozonig
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Über den Vormärz und die Paulskirche reden

Bei der Tagung Literatur im Umfeld der Frankfurter Paulskirche 1848/49 habe ich sehr viel Neues gehört und einige sehr interessante Gespräche geführt. Besonders gut finde ich es, dass sich eine Generation von klugen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen etabliert hat, für die Kooperation eine Selbstverständlichkeit ihrer akademischen Sozialisation ist. Das macht den Umgang mit ihnen angenehm. Die andere Erklärung für die gute Atmosphäre wäre, dass Menschen, die sich für das neunzehnte Jahrhundert interessieren einfach freundlicher sind als andere. Aber das kann ich dann doch nicht glauben.

Meine Präsentation des 1846 anonym erschienen  „Actenmäßigen Berichts der ersten Versammlung deutscher Schriftstellerinnen, gehalten in Weimar am 5., 6. und 7. Oktober 1846“ – das war es, was sich hinter meinem Vortrag mit dem Titel „Autorinnen im Vormärz. Ein Panorama politischer Teilhabe“ verborgen hat – wurde durchaus positiv aufgenommen. Wenn man sich einen so prägnanten Text als Grundlage für einen Vortrag sucht, kann aber eigentlich nichts schief gehen.

Ich hoffe sehr, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Konferenz, die ihr Interesse an dem Text bekundet habe, mir ihre Erkenntnisse mitteilen. Implikationen und Rezeptionsspuren sind in einem solchen Fall kaum systematisch zu erarbeiten. Verklausulierte Andeutungen in Briefen oder kleine Notizen in Zeitungen können für die Einschätzung eines Texts dieser Art hilfreich sein, sind aber oft Zufallsfunde.

Dank an Bernd Füllner, Frank Fürbeth, Gabriele von Glasenapp, Rainer Hillenbrand, Pierre Krügel, Claudia Lieb, Antonie Magen, Petra Mayer, Barbara Potthast, Bernhard Walcher, Björn Weyand und Ulrich Wyss für die informativen und kurzweiligen Vorträge und an die Veranstalter Robert Seidel und Bernd Zegowitz darüber hinaus für die Einladung.

Mittwoch, 19. Oktober 2011 von Karin S. Wozonig
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Schreibende Frauen im Vormärz

Beschäftigt man sich mit der literarischen Szene in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, so stößt man auf einige sehr erfolgreiche Schriftstellerinnen. Die meisten von ihnen sind heute weitgehend vergessen. Und das, obwohl sie genug Bücher verkauft haben, um vom Schreiben leben zu können. Oder so populär waren, dass ihre Gedichte in Schulbüchern abgedruckt wurden, wie z.B. die von Betty Paoli.

In einigen Tagen gibt mir die Konferenz „Literatur im Umfeld der Frankfurter Paulskirche 1848/49“, veranstaltet vom Institut für Deutsche Literatur und ihre Didaktik der Goethe Universität Frankfurt am Main, die Gelegenheit über ein paar Schriftstellerinnen zu sprechen, die im Vormärz geschrieben haben.

Freitag, 15. Juli 2011 von Karin S. Wozonig
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Musik und Literatur

Das nächste Kaffeehausgespräch wird sich einem Thema widmen, an dem niemand vorbei kommt, der sich mit der Literatur des neunzehnten Jahrhunderts beschäftigt, nämlich der Verbindung von Literatur und Musik. Die Vertonung von Gedichten ist gerade in der Zeit des sogenannten Biedermeier sehr häufig zu finden und in die literarischen Taschenbücher und Almanache werden immer wieder auch Noten aufgenommen. Auch einige Gedichte von Betty Paoli wurden vertont. Über eines davon – es trägt den Titel „Gute Nacht“ – habe ich vor einiger Zeit bereits berichtet.

Sonntag, 8. August 2010 von Karin S. Wozonig
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Betty Paoli über Literatur und Entsagung

In der Zeit des Biedermeier ist das romantische Ideal von der Einheit von Kunst und Leben nicht aufrecht zu halten. Die Gesellschaft der sich emanzipierenden Bürger braucht zuverlässige Mitglieder, die ihre Leidenschaften zähmen und eine klare, effiziente Aufteilung der Sphären befolgen. Die Dichter der Zeit sind Grenzgänger zwischen den Welten, die sich den bürgerlichen Anforderungen entziehen und sie dadurch stabilisieren. Gilt das auch für die Dichterinnen? In diesem Beitrag wird das Werk der österreichischen Lyrikerin und Journalistin Betty Paoli  (1814-1894) zu diesem Thema befragt…

Weiterlesen: Karin S. Wozonig: Kunst oder Leben. Betty Paoli über Literatur und Entsagung. In: Strategien des Entziehens: sinnhaft 22. Hg. von Hyperrealitätenbüro

Samstag, 10. April 2010 von Karin S. Wozonig
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Freitag, 9. April 2010 von Karin S. Wozonig
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Der Eisstoß in Prag 1845, Teil 4

Mundartgedichte und ‚Geschichten aus dem Volke’ stehen in dem Wohltätigkeitsalbum neben schwermütiger Liebeslyrik, romantische Naturschilderungen neben Scherzgedichten. Einige der Texte sind als Ausschnitte aus bereits veröffentlichten Werken markiert, unter den Prosatexten befinden sich historische Abhandlungen,  Reiseschilderungen und Auszüge aus literarischen Tagebüchern. Das Album zum Besten der durch die Ueberschwemmungen im Frühjahr 1845 in Böhmen Verunglückten gibt einen sehr aufschlussreichen Einblick in das literarische Leben und das intellektuelle Netzwerk der Zeit.
Quelle: Karin S. Wozonig: Netzwerke der Wohltat und der Literatur. Das Album zum Besten der durch die Ueberschwemmungen im Frühjahr 1845 in Böhmen Verunglückten. In: Hanna Bergerová, Renata Cornejo, Ekkehard Haring (Hg.): Festschrift zum 15. Gründungsjubiläum des Lehrstuhls Germanistik. Ústí nad Labem 2005. S. 248-254

Sonntag, 4. April 2010 von Karin S. Wozonig
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Der Eisstoß in Prag 1845, Teil 3

Unter den Beiträgern des Wohltätigkeitsalbums finden sich prominente Vertreter der Biedermeierliteratur wie Ladislaus Pyrker, Anastasius Grün, Friedrich Halm, Eduard von Bauernfeld. Auch Texte von Caroline Pichler und Franz Grillparzer sind in dem Album vertreten.

Von Grillparzer finden wir die Gedichte Alma von Göthe und Wanderscene, von der 1843 verstorbenen Caroline Pichler steuert Ludwig August Frankl Briefe aus dem Nachlass bei. Frankl, der mit vielen der Literaten durch seine regelmäßigen Besuche im Salon der Henriette Wertheimer bekannt war, erklärt in einer Einleitung, dass die Veröffentlichung der Korrespondenzstücke zu wohltätigem Zweck ganz im Sinne Pichlers gewesen wäre.

Außerdem stellt Frankl (neben eigenen Texten) ein Gedicht von Joseph Emanuel Hilscher zur Verfügung und erläutert, dass der von den Überschwemmungen besonders betroffene Ort Leitmeritz Hilschers Geburtsort sei.

Viele der im Album vertretenen Autoren sind Almanach-erprobte Vielschreiber, so z. B. Ignaz F. Castelli, Heinrich von Levitschnigg und Johann Nepomuk Vogel, viele Beiträger sind einander in den Salons der Ottilie von Goethe bzw. der Henriette Wertheimer begegnet. […] Von Betty Paoli finden sich vier Gedichte in dem Album, formal in der ihr eigenen Strenge und mit Themen, die für ihre Lyrik typisch sind: Schmerz, Seelenleid, innerer Kampf und Todesahnung. [Fortsetzung folgt.]

Quelle: Karin S. Wozonig: Netzwerke der Wohltat und der Literatur. Das Album zum Besten der durch die Ueberschwemmungen im Frühjahr 1845 in Böhmen Verunglückten. In: Hanna Bergerová, Renata Cornejo, Ekkehard Haring (Hg.): Festschrift zum 15. Gründungsjubiläum des Lehrstuhls Germanistik. Ústí nad Labem 2005. S. 248-254

Dienstag, 30. März 2010 von Karin S. Wozonig
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Der Eisstoß in Prag 1845, Teil 2

Der anonyme Privatkorrespondent der Prager Zeitung schreibt am 5. April: „Es werden viele Spenden und Gaben erfordert werden, um dieses große Unglück nur einger Maßen zu mildern.“ Und tatsächlich läuft – wie schon bei ähnlichen Ereignissen in früherer Zeit – eine Spenden-Maschinerie an, in der die Wohltätigkeit der Mächtigen und des politisch weitgehend machtlosen Bürgertums der Zeit konkurrieren.

Am 6. April genehmigt der Kaiser 40.000 Gulden Konventionsmünze als Sofortmaßnahme für die Überschwemmungsopfer. Die gleiche Summe bringen „unaufgefordert“, wie die Wiener Zeitung bemerkt, die Familien Rothschild, Sina, Arnstein und Eskeles und Hermann Todesco auf. […]

Im September 1845 erscheint das Album. Zum Besten der durch die Ueberschwemmungen im Frühjahr 1845 in Böhmen Verunglückten bei Strauss Wwe. u. Sommer in einer Auflagenhöhe von 2.000 Stück.  Es handelt sich dabei um einen Teil einer größer angelegten Spendenaktion auf Initiative von Anton Adolf Schmidl, Redakteur der Österreichischen Blätter für Literatur und Kunst. Schmidl war Geograph und als Schriftsteller bekannt unter dem Pseudonym Salmoser.

Durch den Verkauf eines musikalischen Albums und durch eine Kunstlotterie hatte Schmidl 3.685 Gulden und 42 Kreuzer an Spenden eingenommen (zum Vergleich: Staatskanzler Metternich spendete im April 1.000 Gulden). Gemeinsam mit Gustav Ritter von Franck, Redakteur der Wiener Zeitschrift für Kunst und Literatur und dem Schriftsteller Johann Gabriel Seidl wählte Schmidl aus 525 für diesen Zweck zur Verfügung gestellten Texten 128 für das Wohltätigkeitsalbum aus. [Fortsetzung folgt.]

Quelle: Karin S. Wozonig: Netzwerke der Wohltat und der Literatur. Das Album zum Besten der durch die Ueberschwemmungen im Frühjahr 1845 in Böhmen Verunglückten. In: Hanna Bergerová, Renata Cornejo, Ekkehard Haring (Hg.): Festschrift zum 15. Gründungsjubiläum des Lehrstuhls Germanistik. Ústí nad Labem 2005. S. 248-254