Montag, 1. Januar 2024 von Karin S. Wozonig
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Unsere Speisestunde ist vier Uhr

Montag, 1. Januar 1855

Theuerster Fürst,

In Frau von Bagréeff’s Auftrag bin ich so frei, bei Ihnen anzufragen, ob Sie ihr wohl die Ehre erzeigen möchten, übermorgen (Mittwoch) bei ihr zu speisen. Vielleicht bestimmt es Sie zu einer gütigen Zusage, wenn ich Ihnen anvertraue, daß Sie Grillparzer bei uns finden werden. Nicht minder räthlich scheint es mir, beizufügen: weiter Niemand.

Da mir die Freude, Sie am Neujahrstag zu sehen, nicht beschieden ward, erlauben Sie mir wohl, Ihnen schriftlich zu sagen, von welchen Segenswünschen für Sie mein Herz erfüllt ist. Geht auch nur die Hälfte derer in Erfüllung, so giebt es auf Erden keinen glücklicheren Menschen als Sie, mein guter, theurer Fürst.

Mit alter Treue Ihnen für immer ergeben.

Betty Paoli

Unsere Speisestunde ist vier Uhr.

„Der über allen Parteien schwebende Geist der Poesie“

Was es mit diesem Geist auf sich hat? Es ist der Geist von Betty Paoli. Die Parteien sind Maria Anna Schwarzenberg, ihr Sohn Friedrich (der „Landsknecht“), Hieronymus Lorm, Adalbert Stifter und andere. Nachzulesen hier: Urte Stobbe und Claude D. Conter (Hg.). Adel im Vormärz.

Montag, 19. Juli 2021 von Karin S. Wozonig
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Vormärz in Luxemburg

Dieser Blog war längere Zeit konferenzfrei, was daran liegt, dass die Rahmenprogramme von Zoom-Konferenzen nicht der Rede wert sind. Heute habe ich wieder etwas zu berichten: Luxemburg (Stadt) hat eine Gratisstraßenbahn und schicke Stadträder, gutes Essen und einen gastfreundlichen Nationalbibliotheksdirektor, der in einer interessanten, neuen Nationalbibliothek wirkt.

Das Thema der besagten Konferenz war der Adel im Vormärz. Und wer denkt da nicht an die geistreiche Fürstin Schwarzenberg und ihren schriftstellernden Sohn Fritz? – die für mich, ich gebe es unumwunden zu, ohne Betty Paoli (bürgerlich Betty Glück) nur halb so lustig wären.

Wenngleich ein Teil des geplanten Rahmenprogramms der Konferenz buchstäblich ins Wasser gefallen ist, so bestand doch genug Gelegenheit, die Distanz zwischen den Ständen, Zeiten und Disziplinen auch außerhalb der Vorträge und Diskussionen zu überwinden (innerhalb sowieso). Merci beaucoup.

Donnerstag, 8. Juli 2021 von Karin S. Wozonig
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Ein Fürst in der Steiermark

Grätz, den 7. Juni

Diesen Morgen passirte ich den Semmering, das Gebirg, welches die Steiermark vom Land Oesterreich trennt. Es war ein herrlicher Anblick. … Fröhliche Landleute mit ihren grünen Hüten, geputzte schäkernde Bauerndirnen wandelten auf der Straße der Frühmesse zu, zu welcher aus den benachbarten Dörfern die Glocke rief. …

Grätz ist ein freundlicher, lieber Ort. Hübsche Frauengesichter und stattliche Männer. –

Erzherzog Johann, einer der seltensten Männer seiner Zeit, ist der Abgott des ganzen Gebirgslandes. … Als Historiker, Botaniker, Geologe, würde er in jeder gelehrten Gesellschaft gewiß als eine der ausgezeichnetsten Erscheinungen glänzen, – im Volke aber ist er als kühner Gemsenjäger und trefflicher Landwirth gepriesen. … Ich kenne viele radicale Lord’s und liberale Professoren, welche sonderbare Gesichter dazu machen würden, müßten sie den Grundsatz der Gleichheit dahin ausdehnen, mit und unter dem Volke zu leben, mit ihm zu entbehren und auf seine Weise sich zu freuen, – wie der Erzherzog es thut. …

Nichts geht über das Wirthshausleben in der Steiermark! – Die kräftigen Männergestalten, mit ihren grünen Hüten und grauen Jagdröcken, mit dem treuherzigen, biedern Ausdruck in Gesicht und Wort, – Frohsinn und Gutmüthigkeit im Blick, aber doch zum Nothfall den silbernen Schlagring an der kräftigen Hand! … Spottet nur, ihr überklugen, intelligenten Nordteutschen, – naserümpfend und diese Länder das teutsche Böotien schimpfend, – spottet der breiten Mundart, des einfachen Köhlerglaubens! Aber glaubt mir, – so hoch ihr verdient geschätzt zu werden, als Männer des Wortes und der That, – so rüstig ihr im Augenblicke der Gefahr Degen und Feder zu führen versteht, – etwas Lebensfrische und Gemüthsoxygenstoff könnt ihr, ohne daß es euch schadet hier einsaugen; – und es wird euch nicht gereuen, legt ihr den gelehrten Philistermantel und die Brillen, die auf eurer Nase sitzen, ab, und böotisirt ein klein Weniges mit, unter den rüstigen, kräftigen, heiteren Böotiern…

[Friedrich Schwarzenberg]: Fragmente aus dem Tagebuche während einer Reise in die Levante, 1837