Mittwoch, 4. September 2013 von Karin S. Wozonig
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Wie man sich einen Wolff liest

In meinem letzten Blogbeitrag habe ich über den anonymen Text „Actenmäßiger Bericht über die erste Versammlung deutscher Schriftstellerinnen, gehalten zu Weimar am 5., 6. und 7. October 1846“ berichtet. Zu meiner Forschung zu dieser Satire hat es auch gehört, den Verfasser festzustellen. Nein, es ist mir nicht gelungen zweifelsfrei zu beweisen, dass O. L. B. Wolff, „Improvisator und fruchtbarer Belletrist“, hinter dem Text steckt, es könnte aber durchaus sein und es mehren sich die Indizien. Im folgenden Zitat aus der Zeitschrift „Literarischer Zodiacus“ von 1835 bringt ein Zeitgenosse seinen Ärger zum Ausdruck:

Das Octoberheft der in Jena erscheinenden „Minerva“ bringt von einem namenlosen Kämpfer einen Aufsatz über die Bewegungsparteien in der neuesten deutschen Literatur, eine Benennung, die er sich von uns angeeignet hat, ohne ihrer Symbole und Schildzeichen rechten Sinn und Inhalt fassen zu können. Ich habe mir an diesem für mich mannigfach fatiganten Aufsatz einen Wolf gelesen, und verlange jetzt Schmerzensgelder für solche strapazirende Langweile. In der That, ich glaube, daß der improvisirte Professor Wolf in Jena der Verfasser dieses Aufsatzes ist, in dem die Bestrebungen und Erfolge mehrerer für unsere Zeit wichtigen Schriftsteller einer ebenso magisterhaften, als persönlich beleidigenden und injuriösen Kritik unterworfen werden. Und da ich Grund habe, es anzunehmen, so will ich mich an diesen Mann halten, denn was geht seine Anonymität mich an, die, sobald sie unter diesem Mantel der Feigheit uns nachtheilig wird, ich befugt bin, durch meine strafenden Demonstrationen zu sprengen! Die von ihm zu einer gemeinsamen Stellung grupirten und darin beurtheilten Schriftsteller sind: Wienbarg, Gutzkow, Kühne, Laube und der Redakteur dieser Blätter, welcher letzere als eine eigenthümliche Abart des sogenannten ‚jungen Deutschlands,‘ mit dem spöttischen Drapeau: ‚das junge Berlin‘ behangen und geziert wird, in welcher Repräsentation der neuwerdenden Zustände unserer Vaterstadt ihn dann sein geliebter Freund Kühne durch die Zeitung für die elegante Welt secundire.

Ausschluss der Autorinnen aus demokratischen Prozessen

Vor einiger Zeit habe ich bei einer Konferenz über Autorinnen im Vormärz gesprochen. Jetzt ist daraus ein Beitrag geworden, und zwar in einem sehr hübschen Buch, herausgegeben von Robert Seidel und Bernd Zegowitz. Das Buch trägt den Titel Literatur im Umfeld der Frankfurter Paulskirche 1848.

Über den „Actenmäßiger Bericht über die erste Versammlung deutscher Schriftstellerinnen, gehalten zu Weimar am 5., 6. und 7. October 1846“ zu schreiben, war mir ein großes Vergnügen. Es handelt sich bei dem „Bericht“ um eine Satire, die ein Panorama der Beteiligung von Autorinnen am literarischen Leben bietet. Der anonyme Autor des Berichts kennt sie alle, die Verfasserinnen von Almanachnovellen, von Liebeslyrik und Kochbüchern, die Übersetzerinnen und Reiseschriftstellerinnen seiner Zeit. Er nennt sie mit Namen und lässt sie bei dem Versuch aufeinandertreffen, ihre gemeinsamen Interessen in einer Versammlung zur Sprache zu bringen.

Wir begegnen in der Satire Annette von Droste-Hülshoff, der zu diesem Zeitpunkt noch anonym veröffentlichenden Fanny Lewald, Bettina von Arnim, Louise Otto-Peters, Louise Aston (auch sie tritt anonym auf) und noch so einigen schreibende Frauen (insgesamt ca. achtzig), die im Vormärz den Herren Schriftstellern und Dichtern den Angstschweiß auf die Stirn getrieben haben.

Auch der Verfasser des „Actenmäßigen Berichts“ bedient sich des misogynen Diskurses, aber er hat sich ausführlich mit den Autorinnen beschäftigt, über die er sich lustig macht. Seine Fanny Lewald bringt einen Trinkspruch auf die Bestsellerautorin Ida Hahn-Hahn aus:

Ob auch an ihr nagt neid’scher Männer Wahnzahn
Uns ewig lieb, hoch! Ida Gräfin Hahn-Hahn!

Und Betty Paoli legt er folgenden Redebeitrag in den Mund:

Wer freilich Schriftstellerin werde, um nicht Haushälterin zu werden, oder Nähjungfer, oder Ladenmamsell, dem möge das (Lernen von anderen) ganz nützlich dünken, damit wolle sie (Paoli) den hochachtbaren Damen, die von ihrer Feder leben müßten, keineswegs zu nahe treten; unsere Zeit sei nun einmal so und von der Feder leben immer besser als von der Nähnadel, aber Talent gehöre zu Allem und lernen und eintrichtern lasse sich das einmal nicht.

Im größeren Zusammenhang der Literatur im Umfeld der Paulskirche demonstriert die Satire, dass ihr Ausschluss aus den vormärzlichen demokratischen Prozessen enorme Nachteile für schreibende Frauen hatte.

Samstag, 13. Juli 2013 von Karin S. Wozonig
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Betty Paoli zurück in der „Presse“

Die Redaktion der österreichischen „Presse“ feiert mit einer Sondernummer den 165. Geburtstag der Tageszeitung. Zwar fälscht sie damit die Pressegeschichte, denn die heutige „Presse“ ist nicht aus der 1848 gegründeten „Presse“, sondern aus dem Spin-off „Neue Freie Presse“ von 1864 hervorgegangen, aber da will ich jetzt nicht kleinlich sein. Vor allem deshalb nicht, weil die Redaktion der „Presse“ für die Jubiläumsnummer einen Beitrag von Betty Paoli, erstmals erschienen im Jahr 1865, abdruckt. Der Artikel ist im Original mit „Eine Zeitfrage“ betitelt und kann auch in einem von Eva Geber herausgegebenen Band mit Paoli-Essays, zu dem ich einen Text über Betty Paolis journalistisches Werk beigetragen habe, nachgelesen werden.

Die Zeitfrage ist die Frage nach der Qualifikation von Frauen für die Arbeitswelt, die sogenannte Frauenfrage, und der Kommentar von Bettina Steiner, der den Wiederabdruck des Texts begleitet, ist mit der Behauptung übertitelt: „Feminismus heute: Betty Paoli hätte die Quote gefordert“. Vielleicht hat sie damit recht, vielleicht würde Paoli aber auch meinen, dass ein Vorrang des biologischen Geschlechts vor der Qualifikation in keiner Hinsicht sinnvoll sei.

Ärgerlich ist es allemal, wenn man in einer Gesellschaft lebt, in der das „alberne Vorurteil“ blüht, „der beschränkteste Mann sei zu einer Anstellung in einem Geschäft, einem Comptoir, einer Schule besser befähigt als die intelligenteste Frau“ (Paoli in der „Neue Freie Presse“ 1866).

Paoli hat übrigens auch für die 1898 eingegangene „Presse“ geschrieben, und zwar gleich im Gründungsjahr der Zeitung 1848. Diese Artikel, in denen Paoli die Verirrungen der Revolution beklagt und pathetisch die Heiligkeit der Kunst beschwört, hätte die heutige „Presse“-Redaktion wohl nicht so gern in ihrer Jubiläumsnummer abgedruckt. Mit der politischen Haltung der Original-„Presse“ ist Betty Paoli ganz zufrieden. An Fürst Friedrich zu Schwarzenberg, den Sohn ihrer 1848 verstorbenen Arbeitgeberin, schreibt sie:

Ich erlaube mir Ihnen hier 2 Nummern, der Ihnen wahrscheinlich noch unbekannten „Presse“ zuzusenden; dieses Blatt ist ohne Vergleich das bedeutendste unter den in Wien erscheinenden und hat sich selbst Stadions Anerkennung erworben.

Dienstag, 2. Juli 2013 von Karin S. Wozonig
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Betrieblich gemachte Literatur

Neben meinen Beobachtungen zum Thema social reading und Leser(innen)beteiligung durch Laienkritik à la Amazon verfolge ich auch aufmerksam die Wandlungen des Literaturbetriebs durch die Innovationskraft der Marketingabteilungen von Verlagen und bin in diesem Zusammenhang höchst fasziniert von der Erfindung von Autorinnen und Autoren durch besagte Abteilungen.

Die Vermarktbarkeit von Schriftstellern ist heute ein wichtiger Faktor im Literaturbetrieb; und ist das fast immer schon gewesen. Das glückliche Zusammentreffen von werbungsaffinen Druckern, Verlegern und Rezensenten mit dem natürlichen Drang zur Selbstdarstellung des beworbenen Autors konnte schon im neunzehnten Jahrhundert Auflagen in mit Hilfe von ästhetischen Kriterien nicht messbare Höhen steigern. Große Verlage mit großen Marketingbudgets machen heute im Prinzip nichts anderes als ihre Vorläufer.

Aber: Große Verlage mit kluger Geschäftsleitung haben nicht nur große Werbebudgets, sondern auch effiziente Social-media-Expertinnen.* Wie es geht, macht Bloomsbury mit Samantha Shannon vor, das Wirtschaftsmagazin „Forbes“ berichtet darüber.

Einen lesenswerten Beitrag zum Thema Literaturbetrieb hat Marc Reichwein für literaturkritik.at geschrieben.

* Kleine Verlage mit kluger Geschäftsleitung haben auch effiziente Social-media-Expertinnen.

Samstag, 15. Juni 2013 von Karin S. Wozonig
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Mehrsprachige Emotionsforschung

Für die NZZ hat die Literaturwissenschaftlerin Franziska Meier einen sehr schönen Text über den lange vernachlässigten französischen Autor François-René de Chateaubriand geschrieben. Meier schreibt über Chateaubriand so, dass ich es wieder einmal bedaure, nicht gut genug Französisch zu können, um die sprachlichen Finessen von Chateaubriands Roman „René“ (1802) genießen zu können. Der Autor hat darin “le mal du siècle” beschrieben, also das, was in der Literatur als Weltschmerz weiterlebt, ein Thema, das mich sehr interessiert.

Sowohl „René“ als auch die umfangreichen „Erinnerungen“ und einige Erzählungen von Chateaubriand sind ins Deutsche übersetzt worden, unter anderem von Stefan Zweig, wenn ich mich recht erinnere. Aufgrund der sprachlichen Unterschiede (so nehme ich an) wird aus der Innerlichkeit des französischen Autors, aus den literarischen Seufzern und der genauen Selbstbeobachtung im Deutschen aber ganz schnell ein etwas nervendes, egozentrisches Pathos. Wie auch an Byron und bei Betty Paoli zu beobachten: Weltschmerz liest sich am überzeugendsten im Original. Warum ist das so? Gibt es eine Emotionsforscherin oder einen Emotionsforscher aus der Kulturwissenschaft, die oder der darauf eine Antwort hat? Ich bitte um Hinweise und Aufklärung, danke.

Mittwoch, 5. Juni 2013 von Karin S. Wozonig
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Systemics

Ich habe als Mitherausgeberin eines Sammelbandes mit dem Titel „Die Kunst der Systemik“ fungiert und freue mich, dass das Buch jetzt erschienen ist. Das Projekt geht auf die Initiative von Roman Mikulás zurück, der in diesem Blog bereits mehrmals genannt wurde. „Systemics“ oder „Systemik“ bezeichnet, vereinfacht gesagt, die Untersuchung von Systemen unter Berücksichtigung des größeren Ganzen, mit denen die Systeme in Beziehung und Austausch stehen. Ein solcher ganzheitlicher Zugang versucht, der Komplexität von Kunst und Kunstwerken systematisch gerecht zu werden. Wie das gehen kann, dafür haben wir, Roman Mikulás, Sibylle Moser und ich, in diesem Buch Beispiele gesammelt. Sibylle Moser beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit Sprache als synästhetischem Prozess, also als Kombination unterschiedlicher Wahrnehmungsbereiche. Daneben haben wir Texte unter anderem zu Computerspielen, dem Verhältnis zwischen Kunst und Wirtschaft und zur wissenschaftsgeschichtlichen Entwicklung des systemischen Denkens (z.B. der Beitrag von Roman Mikulás) in „Die Kunst der Systemik“ aufgenommen.

Mittwoch, 8. Mai 2013 von Karin S. Wozonig
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Gescheitheit durch Kritik als Dichterinnenhindernis

Betty Paoli, eine der sinnigern Dichterinnen unserer Zeit, hat in ihrer Sammlung: „Lyrisches und Episches“ (Pesth, Heckenast, 1855), zum Theil die frühere Bahn, auf der sie mit großem Glück gewandelt, verlassen. … In der That, es rächt sich, wenn man einst eine sanfte, wie nur unter goldglühenden Orangen, purpurnen Granaten und mauresken Erinnerungen lebende andalusische Träumerin in der Poesie war und plötzlich sich entschließt, über das Burgtheater Recensionen zu schreiben. Betty Paoli ist eine Beurtheilerin der laufenden dramatischen Tageschronik in Wien geworden. Dieser anormale Stand hat ihr mehr kritischen Verstand aufgedrängt, als dem Herzen der Phantasie einer lyrischen Dichterin gutthut.

Karl Gutzkow über Betty Paoli, 1856

Dienstag, 7. Mai 2013 von Karin S. Wozonig
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Gescheitheit als Dichterhindernis

Die arme Paoli! die war ein Dichter, wenn sie ein bisserl weniger gescheidt gewesen wär ein noch größerer.

Ada Christen an Ferdinand von Saar, 7 Juli 1894

Freitag, 26. April 2013 von Karin S. Wozonig
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extremely charming if somewhat sad

Die Zeitschrift Musical Times and Singing Class Circular vom 1. May 1890 berichtet über ein Konzert in der St Jame’s Hall in London:

The vocalist, Mr. Norman Salmond, decidedly improved his position by his declamatory but perfectly legitimate rendering of “O ruddier than the cherry.” He also introduced an extremely charming if somewhat sad little song, “Good Night,” by Battison Haynes, in which the composer has caught the spirit of the German verses by Betty Paoli.

Die interessante Frage der Digitalisierung

Vor einiger Zeit habe ich einen Buchbeitrag zum Thema Literaturkritik im Medienwechsel verfasst. Ich habe hier in diesem Blog darüber berichtet, dass mich das Lesen einer konventionellen Buchbesprechung in einer so genannten Qualitätszeitung (gedruckt) von der Literatur wegtreiben könnte (hätte ich weniger Erfahrung mit solchen Besprechungen und mit Literatur), wohingegen mich Texte über Literatur, geschrieben von Menschen die auch Literatur schreiben, oft zur Literatur hinführen.

Über den Medienwechsel nachzudenken, bedeutet auch in Erwägung zu ziehen, dass Bücher aus Bytes weniger Buchqualität haben als Bücher aus Papier. Dagegen lässt sich einwenden, dass ohne google books oder ähnliche Digitalisierungsprojekte viele Bücher aus Papier verlorengehen würden. Oder dass manches Buch, das es nicht in die Presse schafft, elektronisch gelesen werden kann. Oder dass Literaturkonsum unter elektronischer Leserbeteiligung der Literatur einen größeren Stellenwert im täglichen Leben der Menschen einräumt; zumindest einer bestimmten Form von Literatur. In ein paar Jahren werden wir uns den Bauch halten vor Lachen über die Verwirrung, die „das Internet“ einst gestiftet hat.

Erschienen ist mein Beitrag über die Literaturkritik im Buch „Literatur und Digitalisierung“, herausgegeben von Christine Grond-Rigler und Wolfgang Straub. In ihrer Einleitung beobachten die beiden Herausgeber m.E. ganz richtig:

Die eigentlich interessante Frage ist nicht, ob es in Zukunft noch Bücher geben wird, sondern ob es weiterhin Literatur geben wird, die durch die besondere Kombination der drei Parameter Welthaltigkeit, individualisierte Autoren-Perspektive und Schriftlichkeit unser kulturelles Gedächtnis bereichern und prägen wird.