Freitag, 23. September 2011 von Karin S. Wozonig
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Viele Germanisten, viele Dichter

Gestern und heute hatte ich das Vergnügen, an einer Tagung teilzunehmen, die vom Verein Neugermanistik, Institut für Germanistik der Universität Wien, veranstaltet wurde und die sich dem Thema „Der Dichter und sein Germanist“ (Frauen waren mitgemeint) widmete. Mit Referenz auf und Reverenz an Wendelin Schmidt-Dengler haben bei dieser Gelegenheit Literaturwissenschaftler(innen) mit unterschiedlichen Erkenntnisinteressen tief in ihre Werkstatt und gelegentlich in ihre Seele schauen lassen und ich fühle mich bestätigt in meiner Annahme, dass ich mit dem „Possession-Syndrom“ nicht alleine bin. Dieses Syndrom habe ich an mir nach der Lektüre des Romans von A. S. Byatt entdeckt. In ihm stehen die Literaturwissenschaftler(innen) irgendwann mit Schaufeln auf dem Friedhof, um die Särge „ihrer“ Dichterin und „ihres“ Dichters auszugraben, um an die Dokumente zu kommen, die ihnen für den Beweis ihrer biographischen Thesen noch fehlen.

Ich danke den Veranstaltern der Konferenz Daniela Strigl, Franz Eybl, Stephan Kurz und Michael Rohrwasser sehr herzlich dafür, dass sie mir die Möglichkeit geboten haben, über Betty Paolis dichterische Einkleidung – durch sie selbst und durch ihre Biograph(inn)en – zu sprechen!

Montag, 19. September 2011 von Karin S. Wozonig
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Widmung An Ida

Daß ich, als jeder Trost mir fern gelegen,
Und meiner Hand der Hoffnung Stab entwunden,
Inmitten all der Larven dich gefunden,
Ich nenn‘ es meines Lebens höchsten Segen!

Jetzt wandeln wir schon lang auf gleichen Wegen,
Die heitern theilend und die trüben Stunden,
Und schreiten, fester, inn’ger stets verbunden,
Dem letzten, nachtverhüllten Ziel entgegen.

Vor dir, so hoff‘ ich, werd‘ ich es erreichen!
Vor dir, wird des Befreiers milde Hand
Mich aus dem Buche der Lebend‘ gen streichen!

Und, wenn im Grab ich deinem Blick entschwand,
Dann sei dir dieses Buch ein Liebeszeichen,
Ein stiller Gruß aus fernem Geisterland!

Betty Paoli: Neueste Gedichte. 1870

Samstag, 17. September 2011 von Karin S. Wozonig
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Relative Peinlichkeit

Aus dem Tagebuch von Marie von Ebner-Eschenbach: „Flora findet die Gedichte Betty Paolis an Ida so schrecklich. Es werden sich die Leute darüber lustig machen, meint sie. Das glaube ich doch nicht.“

Dienstag, 13. September 2011 von Karin S. Wozonig
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Am 5. September

An Ida.

Als dämmernd noch das Leben vor mir lag,
Mein Herz noch nichts errungen, nichts verloren,
Nicht ahnt‘ ich da, daß mir an diesem Tag
Mein bestes Kleinod ward zur Welt geboren!

Nicht ahnte ich, daß heut‘ der hellste Stern
An meinem Horizonte aufgegangen,
Daß meines Wesens innerlichster Kern
Den vollen Abschluß heute erst empfangen.

Ich ahnt‘ es nicht; erst jetzt erkenn‘ ich’s ganz!
Nur eines kann ich auch noch jetzt nicht fassen:
Daß deiner Liebe heller Strahlenkranz
Auf meine Stirn sich mochte niederlassen.

Es heißt ja doch, daß nur um Gleich und Gleich
Die Bande sich wahrhaft’ger Freundschaft weben.
Du aber bist so reich, so überreich,
Und ich, – – was hab‘ ich Arme dir zu geben?

Nichts als mich selbst! doch diese Gabe schafft
Dir Sorgen nur und immer neue Mühen!
Denn stützen mußt du mich mit deiner Kraft,
Dein böses altes Kind zum Guten ziehen.

Du mußt, bald ernst und streng, und bald gelind,
Hier raten, trösten, strafen dort und wehren,
Und die Gedanken, die das Leben sind,
Den erdgebund’nen Geist erst denken lehren.

Tief schmerzlich überkommt mich’s manchesmal:
O daß ich früher, früher dich gefunden,
Als ungetrübt noch meines Auges Strahl,
Und meine Brust noch rein von Schuld und Wunden!

Dann wäre nie des Samums glüher Hauch
Vergiftend über mich hinweggegangen!
Ich gliche nicht dem blitzversengten Strauch,
Und könnte geben, statt nur zu empfangen!

Doch, hat voreinst nicht aus des Heilands Mund
Die schmerzenmüde Welt dies Wort vernommen:
»Für jene nicht, die kräftig und gesund,
Nein! für die Kranken ist der Arzt gekommen«?

Du treuer Arzt! so hast, als, wüst und wirr,
Das Fieber mich der Leidenschaft bezwungen,
Du mich gepflegt, und liebest nun in mir
Die Beute, die dem Tod du abgerungen!

Betty Paoli: Neueste Gedichte, 1870

Dienstag, 6. September 2011 von Karin S. Wozonig
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Die selbsterfunde Lebensgeschichte

Seit Jahren beschäftigt mich die Frage, wie mit der Biographie einer Autorin oder eines Autors umzugehen ist. Sind Lebensgeschichten relevant für das Verständnis literarischer Texte? Ist es zulässig, „autobiographische Bezüge“ in Romanen zu finden oder gilt nicht viel mehr: In einem Roman ist alles, aber auch wirklich alles fiktiv (weil es andernfalls kein Roman wäre)? Und sind die Lebensgeschichten, die Autorinnen und Autoren von sich selbst erzählen, Bestandteil ihres Lebens oder ihres Werks? Was ist, wenn sie viele verschiedene Geschichten von sich erzählen, jede gleich wahr – wenn auch nicht gleich wirklich?

Die vorläufigen Ergebnisse meiner Überlegungen in Bezug auf den konkreten Fall Betty Paoli darf ich im Rahmen der Veranstaltung „Der Dichter und sein Germanist“, einem Symposion in memoriam Wendelin Schmidt-Dengler, veranstaltet vom Institut für Germanistik der Universität Wien und der Österreichischen Gesellschaft für Literatur vorstellen.

Sonntag, 28. August 2011 von Karin S. Wozonig
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Moritz der Versebrüter

Moritz Hartmann ist in einem armen böhmischen Dorfe geboren, dessen Häuser zum Theil auf einem ehemaligen Kirchhofgrund erbaut wurden. … Eine Reise mit seinem Vater nach Teplitz brachte ihn an das Grab Seume’s, wo er deutsche Dichterlose bedenken lernte und als er einst über das Feld wandernd, junge, schüchterne Verse brütete, legte ihm der Wind ein zerrissenes Notenblatt vor die Füße, Composition eines Gedichtes „die Wolke“.

Hieronymus Lorm: Wien’s Poetische Schwingen und Federn.

Dienstag, 23. August 2011 von Karin S. Wozonig
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Der Beginn einer Dichterinnen-Karriere

An die Männer unserer Zeit

Halb Scherz, halb Ernst

Spotten hör’ ich Euch und zürnen ob der Frauen Wankelmuth
Ob in zarten Mädchenherzen gar zu leicht entbrannter Glut,
Ob der Leere, die da waltet in so manches Weibes Sinn,
Und wie leicht es Lieb’ und Treue gibt für Erdenlust dahin;

Ob der Flachheit und des Unwerths uns’rer jetz’gen Frauenwelt,
Wie sie einzig nur verehren, was dem Auge wohlgefällt;
Wie sie – doch genug der Frevel! Rede stehen will ich Euch
Eurer Klage Antwort geben, und sie werde Euch sogleich.

Lästert feindlich nicht die Frauen! Schmäht Ihr sie, so schmäht Ihr Euch,
Denn es sind der Frauen Herzen einem reinen Spiegel gleich:
Selber ist er ohne Makel, doch das Spiegelbild seyd Ihr;
Will nun dieses nicht gefallen, ey, was kann das Glas dafür?

Seht , es ähneln Frauenherzen ungeschliffenem Demant:
Bildet liebend ihn und sorglich eine kunstverständ’ge Hand,
Wird er klare Strahlen sprühen, wird er leuchten hell und hehr,
Wird er Glanzeswogen werfen, wie ein glutentflammtes Meer.

Doch wie anders, wenn den Demant unberuf’ne Hand verdarb,
Wenn durch ungeschicktes Walten all’ sein Glanz gar schnell erstarb;
Traun! der Stein war wunderprächtig, aber dennoch ist er hin,
Weil dem Mann, der ihn behandelt, fehlte kunstgewandter Sinn.

Ihr seyd uns’re Herr’n und Meister! Ja, wir bilden uns an Euch,
Um von Euch geliebt zu werden, möchten wir Euch werden gleich,
Ey, und seltsam ist es, wahrlich! daß wir, Euer Conterfey,
Nun das Ziel von Euerm Zürnen und von Eurer Spötteley.

Sollen Frauen sich veredeln, möget edler werden Ihr,
Möget bannen aus dem Busen wilder Leidenschaften Gier,
Mögt zuvor erst selber werden, wie die Frauen sollten seyn,
Fehlerfrey und ohne Mängel, und im Herzen treu und rein.

Ob dies jemals wird geschehen? Ach, ich glaub’ es nimmermehr!
Manches Jahr noch wird sich senken in der Ewigkeiten Meer,
Doch wohl nimmer wird man schauen, daß Ihr fühlt, wie’s unrecht sey,
And’rer Fehler zu bekritteln, wenn man selbst nicht fehlerfrey.

Betti Glück

Aus: Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode, 25. August 1832

Dienstag, 16. August 2011 von Karin S. Wozonig
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Reisezeit

Der Jahreszeit entsprechend widme ich mich seit einigen Wochen Büchern über das Reisen und Entdecken. Dazu gehört die Lektüre von Johann Gottfried Seumes „Spaziergang“, die ich jetzt allerdings ruhen lasse zugunsten von Friedrich Gerstäcker, geboren 1816 in Hamburg, gestorben 1872 in Braunschweig

Und was ist nun Californien für ein Land? Lohnt es sich der Mühe herüberzukommen? Soll man dorthin auswandern? Wird es die Erwartungen die wir davon hegen auch nur zum Theil erfüllen? So fragt jetzt der deutsche Leser vielleicht, und die Goldminen blitzen ihm, von der untergehenden Sonne lieblich verklärt, im reizendsten Licht vor dem sehnsüchtigen Auge.

Friedrich Gerstäcker: Reisen. Californien, 1853

Montag, 1. August 2011 von Karin S. Wozonig
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Poesie von Frauenhand

Robert Prutz, Deutsches Museum, August 1856

Das „Aurora-Album“ bringt zunächst eine Reihe von Gedichten, unter denen sich die ersten und beliebtesten Namen der wiener Literatur, vermischt mit einigen fremden, finden. … Von Betty Paoli bringt das „Album“ zwei Gedichte: „Kleopatra“ und „Morituri te salutant“, beide in dem eigenthümlich schwungvollen, leidenschaftlichen Stile, der für diese Dichterin charakteristisch ist. Doch können wir nur mit dem zweiten vollkommen einverstanden sein; das erste, das uns die berühmte Königin Aegyptens schildert, wie sie ihre Liebhaber unmittelbar nach durchschwelgter Nacht hinrichten läßt, scheint uns trotz der prachtvoll farbenreichen Darstellung doch kein geeigneter Gegenstand für die Poesie und am wenigsten (so altväterisch sind wir noch) mögen wir ihn von Frauenhand ausgeführt lesen.

Freitag, 22. Juli 2011 von Karin S. Wozonig
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Viel- und Schönschreiber

Gestern fand ein Salongespräch zum Thema „Literatur und Musik“ statt. Wie üblich bei den Kaffeehausgesprächen war ich für die historische Einführung zuständig. Ich widmete mich dem Kunstlied der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts und da ganz besonders dem Autor Friedrich Rückert. Das gab mir Gelegenheit, einen meiner Lieblingsalmanache, die Aglaja aus dem Jahr 1823, herumzuzeigen, denn sie enthält einen Rückert-Erstdruck. Bis vor kurzem dachte ich, das sei etwas Besonderes. Aber ich habe einen (literarischen) Salon gegründet, um etwas zu lernen, und so weiß ich jetzt, dass Rückert in der Zeit von 1813 bis zu seinem Tod ca. 2150 Gedichte in Almanachen, literarischen Taschenbüchern und Zeitschriften veröffentlichte (nachzulesen in dem hübschen Katalog: Georg Drescher, Rudolf Kreutner und Claudia Wiener: »O sehet her! die allerliebsten Dingerchen …« – Friedrich Rückert und der Almanach. Ergon Verlag, Würzburg, 2000.)

Außerdem habe ich über Emanuel Geibel gesprochen, oder eigentlich über Wilhelm Buschs Bildergeschichte „Balduin Bählamm der verhinderte Dichter“, deren Protagonist eine gewisse Ähnlichkeit mit Geibel hat.

Das Werk von Busch beginnt mit dem schönen Vers:

Wie wohl ist dem, der dann und wann
Sich etwas Schönes dichten kann!

und ist im Ganzen lesens- und sehenswert.