Sonntag, 15. Dezember 2024 von Karin S. Wozonig
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Nicht geeignet für den katholischen Weihnachtstisch 1876

Unter den Büchern, welche zur jetzigen Weihnachtzeit sich in den Vordergrund drängen, wird für keines so emsig Reclame gemacht, wie für „Brehm’s Thierleben“. Alle unsere liberalen Judenblätter wissen nicht Lobes genug über dasselbe zu sagen. Wenn die Kunst, vom Feinde zu lernen, weiter verbreitet wäre, wie sie leider ist, so würde sie dessen nicht bedürfen, was wir über jenes Werk zu sagen haben: wir müssen auf das Dringendste jede christliche Familie davor warnen, diesen frechsten Panegyrikus des Darwinismus ihren Kindern in die Hände zu geben.

Das Vaterland. Zeitung für die österreichische Monarchie, 14. December 1876.

Freitag, 3. Februar 2012 von Karin S. Wozonig
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Wege der Germanistik

Ich hatte die Gelegenheit, einen Beitrag über das Thema Literaturwissenschaft und Biologie für die germanistische Zeitschrift Aussiger Beiträge 5 (2011) zu schreiben. Dass die Naturwissenschaften eine Faszination auf die Geisteswissenschaften ausübt, die sich auch in der Methodologie niederschlägt, interessiert mich seit langem. Die besondere Aufmerksamkeit der Literaturwissenschaftlerinnen für die Evolutionsbiologie hat ganz besondere Implikationen, die ich seit einiger Zeit zu bedenken versuche. Immerhin geht es um die Frage, wie natürlich Kultur ist.

Die gedruckte Version der Aussiger Beiträge Nr. 5 hat es jetzt auch zu mir, ans andere Ende der Welt sozusagen, geschafft und ich freue mich, dass ich darin unter dem Titel „Auf der Fährte der Natur“ über den literaturwissenschaftlichen Blick auf die Evolutionsbiologie schreiben durfte.

Das vollständige Inhaltsverzeichnis des Bandes, der sich mit der Zukunft der Germanistik beschäftigt, hier als PDF zu finden.

Für mich zur Zeit ganz besonders erhellend ist der Beitrag von Jill E. Twark, Birgit A. Jensen und Susanne Lenné Jones: Erfolgsstrategien zur Wiederbelebung eines universitären Germanistikstudienganges in den Vereinigten Staaten.

Dank an die Redaktion der Aussiger Beiträge!

Sonntag, 6. November 2011 von Karin S. Wozonig
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Mädchenbildung

Am 7. November 1875 schenkt Betty Paoli ihrer späteren Biographin Helene Bettelheim, geboren am 7. November 1857, das Buch „Die Entstehung der Civilisation und der Urzustand des Menschengeschlechtes, erläutert durch das innere und äußere Leben der Wilden“ von John Lubbock mit einem Vorwort von Rudolf Virchow (Jena 1875).

Mittwoch, 2. Februar 2011 von Karin S. Wozonig
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Soziobiologie und Literatur

Nach meiner Beschäftigung mit dem Zusammenhang von Hypochondrie und Literatur widme ich mich wieder der evolutionsbiologisch interessierten Literaturwissenschaft. Es handelt sich dabei um einen Trend in der Literaturwissenschaft, der gelegentlich erfreulich eigentümliche und originelle Formulierungen hervorbringt. Diese sind Ergebnis des Versuchs, Literatur mit biologischer Evolution zu erklären. Um das zu bewerkstelligen, erzählen Literaturwissenschaftler die populärwissenschaftlichen Erzählungen der Soziobiologie (also der Biologie des Sozialverhaltens „produzieren und rezipieren von Literatur“) mit eigenen Worten nach. Das kann dann so klingen:

Wir müssen für jedes Verhalten, das sich unter irgendwelchen Umständen über lange Zeit hin in wiederkehrenden Situationen als direkt oder indirekt reproduktiv erfolgreich erwiesen hat, die Verhaltensmöglichkeit in uns vermuten. […] Tatsächlich gibt es noch andere Wünsche, etwa in der Sonne zu sitzen, bei Freunden, in der Nähe hübscher Mädchen oder attraktiver Knaben, und über allem gibt es dann auch den Super-Wunsch, keinen unnötigen Ärger zu haben – all dies sind evolutionär begründete und verankerte Wünsche oder Instinkte oder Triebe oder, wie man am korrektesten sagen würde, Adaptationen, Anpassungen an bestimmte wiederkehrende Umwelt-Herausforderungen. […] Die Polyphonie der Adaptationen (‚Triebe‘) oder auch ihre Kakophonie ist auf Entscheidungen angewiesen, und die Grundstruktur dieser Entscheidungen entstammt dem Bereich der jeweiligen Kultur und der mit ihr verknüpften individuellen Erfahrung.  (Karl Eibl: Über den Zusammenhang der tierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen. [zum ganzen Text auf literaturkritik.de])

Sonntag, 5. Dezember 2010 von Karin S. Wozonig
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Quellen und Strömungen germanistischer Forschung

Ich hatte das Vergnügen, an der Konferenz „Uferdasein. Quellen und Strömungen germanistischer Forschung“ im winterlichen Ústí nad Labem teilzunehmen. In meinem Vortrag habe ich mir Gedanken gemacht über die evolutionsbiologisch interessierte Literaturwissenschaft, die mich seit dem Darwin-Jahr 2009 beschäftigt. Dank an die Organisatorinnen und Organisatoren!

Dienstag, 20. Oktober 2009 von Karin S. Wozonig
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Mein Beitrag zum Darwin-Jahr 5

Dass Menschen, die sich den Geistes- und Kulturwissenschaften widmen, auch etwas zur biologischen Evolution zu sagen haben, liegt in der Natur der biologischen Evolution: Ihre Beschreibbarkeit und ihre „Beschriebenheit“ sind ein kulturell und gesellschaftlich relevantes Geistesprodukt.

Dass diese Menschen sich in Bezug auf die hinter der Beschreibung liegende Wirklichkeit gelegentlich auf dem Kenntnisstand des 19. Jahrhunderts befinden, kann passieren. Ich persönlich finde das nicht besonders schlimm. Andere scheint das Anachronistische im geistes- und kulturwissenschaftlichen Reden über die Evolutionsbiologie aber aufzuregen, so z.B. den Evolutionsbiologen Ulrich Kutschera.

Nicht um seinen, im Lichte des seit Jahrzehnten üppig wuchernden Diskurses über die Unterschiede der „Zwei Kulturen“ (C. P. Snow 1959) unbedeutenden Text geht es in meinem heutigen Beitrag zum Darwin-Jahr, sondern um eine Replik darauf. Diese stammt von dem gelegentlich etwas gestelzt schreibenden aber klugen Kulturtheoretiker Remigius Bunia. Die Replik trägt den Titel „Wir Verbalwissenschaftler“ (womit alle gemeint sind, die sich wissenschaftlich mit Sprache beschäftigen, ein sehr weiter, aber durchaus praktischer Begriff) und endet in einer hübschen Doppelvolte:

Daher lässt sich Kutscheras Diktum über das ,Licht der Biologie‘ unter Abwandlung eines anderen Wittgenstein-Zitats verallgemeinern und zugleich zurückweisen: ,Die Naturwissenschaft ist ein Kampf gegen die Verhexung unsres Verstandes durch die Allpräsenz der Sprache.‘ Im Gegenzug, so wäre hinzuzufügen, können Verbalwissenschaftler aber davor schützen, dass sich neue Allpräsenzen – etwa eine Allpräsenz der Biologie – durchsetzen.

Montag, 5. Oktober 2009 von Karin S. Wozonig
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Kaffeehausgespräch über Anfänge

Die Kaffeehausgespräche werden sich im Oktober dem Thema Anfänge widmen. Wie an dieser Stelle aus Anlass des Darwin-Jahrs mehrfach bemerkt, gibt es seit einiger Zeit literaturwissenschaftliche Versuche, Literatur für evolutionsbiologisch unvermeidlich zu erklären – eine Idee, die mir sehr gut gefällt. Deshalb werde ich in der bei den Kaffeehausgesprächen üblichen, kurzen Einleitung darüber reden (am 21. Oktober 2009 um 19.00 im Kaffeekontor, Schanzenstraße 14, Hamburg).

Mittwoch, 12. August 2009 von Karin S. Wozonig
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Mein Beitrag zum Darwin-Jahr 4

Was gestern noch als Wahrheit hat gegolten,
Ein blinder Irrtum wird es heut gescholten.
Fehl geht, wie oft! des Forschers mühvoll Streben,
Und keine Lösung wird dem Rätsel: Leben.

Der kühnlich ragen will ins Ätherblau,
Wie häufig schwankt des Wissens stolzer Bau!
Nur was der Mund der Poesie verkündet,
Steht fest und sicher in sich selbst begründet
Und bleibt für alle Zeit in voller Kraft –
Sie ist die einz’ge wahre Wissenschaft.

Betty Paoli (1814-1894)

Montag, 6. April 2009 von Karin S. Wozonig
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Mein Beitrag zum Darwin-Jahr 3

In seinem Buch „Darwin’s Dangerous Idea: Evolution and the Meanings of Life“ (New York, 1995), einem Meilenstein der sogenannten Darwin-Industrie, sagt der Philosoph Daniel C. Dennett:

Darwin’s idea is a universal solvent, capable of cutting right to the heart of everything in sight.

Das klingt für einige Literaturwissenschaftler offenbar verlockend und es trägt, wie schon in Teil 1 und 2 dieser Blog-Serie erzählt, durchaus lesbare Früchte. Vor der Gleichsetzung von Natur und Kultur im Zuge eines Darwin-Hypes warnte vor sechsundachtzig Jahren der Anglist Levin Ludwig Schücking:

Einen Versuch, die großen Umwälzungen im Leben der Literatur methodisch zu erklären, hatte seinerzeit schon der berühmte französische Literarhistoriker und Kritiker Ferdinand Brunetière gemacht. Aber seine ‚Evolution des genres dans l’histoire de la literature‘, erschien zu einer Zeit (1890), wo die Welt so berauscht von den Ergebnissen der Naturwissenschaften war, daß sie sich allzu rasch bereit fand, in den Erklärungen, die Darwin und seine Nachfolger für die Vorgänge der Natur gefunden hatten, nun auch die Schlüssel der Probleme des geistigen Lebens zu sehen. […] Er übersah dabei, daß hier Dinge gleichgesetzt werden, die sich in Wirklichkeit nicht gleichsetzen lassen und die nur eine scheinbare Ähnlichkeit miteinander haben. Hier Leben, das sich unabhängig durch Zeugung und Besamung fortpflanzt, dort Schöpfungen, die vom menschlichen Denken abhängig sind. (Aus: Levin Ludwig Schücking: Die Soziologie der literarischen Geschmacksbildung. Rösl&Cie.: München 1923, S. 6)

Mittwoch, 4. März 2009 von Karin S. Wozonig
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Mein Beitrag zum Darwin-Jahr 2

Wie schon bemerkt, gibt es einen Trend in der Literaturwissenschaft, Evolutionsbiologie zur Erklärung von Literatur heranzuziehen. 2005 fragte Christopher Shea „Does Darwin have anything to say about Beowulf and Madame Bovary?“ und antwortet:

[…]  the readings often get stuck at the level of: Madame Bovary cheated because she lusted for an alpha male.

Der Transfer von Theorien und Methoden aus einer Disziplin (z.B. Biologie) in die andere (z.B. Literaturwissenschaft) geht oft mit Simplifikation einher. Immer wieder gehören Halbwissen und Missverständnisse zur interdisziplinären Arbeit. Und das ist gut so, denn das gibt der produktiven Ignoranz eine Chance, über die Günther Anders schreibt:

Zuweilen geschieht es, daß einer ein Phänomen prima vista in einem Lichte sieht, in dem es von den Spezialisten niemals hatte gesehen werden können; und daß er nun (ohne die geringste Ahnung von seiner eigenen Originalität, aber wirklich auch ohne das mindeste Verdienst) einfach deshalb, weil er auf Grund seiner Ignoranz das ungetrübteste und vorurteilsfreieste Auge besitzt, Aussagen über dieses Phänomen machen kann, deren Folgen sich als umwälzend herausstellen. Wenn es diese ‚produktive Ignoranz‘ nicht gäbe, wäre Philosophieren die lächerlichste Zeitvergeudung. (Philosophische Stenogramme, München 2002, S. 122)