Donnerstag, 12. Januar 2017 von Karin S. Wozonig
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Bärtiger, modebewusster Biedermeier

Eine Ergänzung zum vorherigen Blogeintrag über den Hipster Graf Edmund Zichy:

[Zichy] war kurz zuvor von einer Orientreise zurückgekehrt und wollte von sich ein Porträt besitzen, das ihn in den Kleidern, die er mitgebracht hatte, zeigte. Er fand in Borsos einen kongenialen Bildnismaler, zugleich sollte dieses als Erinnerungsstück geplante Gemälde den Ruf des jungen ungarischen Malers als Porträtist begründen.

Zitat aus dem sehens- und lesenswerten Katalog zur Ausstellung: Ist das Biedermeier? Amerling, Waldmüller und mehr. Herausgegeben von Agnes Husslein-Arco und Sabine Grabner, Wien 2016

 

Bärtiger Biedermeier

Im Unteren Belvedere in Wien läuft noch bis zum 12. Februar die sehenswerte Ausstellung „Ist das Biedermeier?“ Berechtigterweise geht die Kuratorin Sabine Grabner davon aus, dass es eine sehr konkrete Vorstellung davon gibt, was das Biedermeier sei. Der parodistische Aspekt fehlt heute dabei, die Konzentration liegt wohl auf der wenn auch kitschigen, so doch ernstgemeinten Idylle und auf dem Rückzug in die eigenen vier Wände.

Wenn man wie diese Ausstellung das Biedermeier ungefähr fünfzehn Jahre zu spät beginnen und erst 1860 enden lässt (die politischen Ereignisse, die üblicherweise die Epochengrenzen darstellen, sind der Wiener Kongress am Anfang und die sogenannte Bürgerliche Revolution von 1848 am Ende), dann hat man das Klischee zwar schon von vornherein ausgehebelt und die Frage im Titel lässt sich ohne viel Nachdenken für ziemlich viele Bilder mit Nein beantworten. Aber im Untertitel der Ausstellung „Amerling, Waldmüller und mehr“ steckt das Wichtige: Zwar sehen wir unter anderem die „Lautenspielerin“ von Friedrich von Amerling und das Selbstporträt von Georg Ferdinand Waldmüller, also klassisches Biedermeier, vor allem aber wird der geographische Rahmen erweitert und es gibt nicht nur die üblichen in Wien oder Linz (ein Bild von Adalbert Stifter ist auch zu sehen) ansässigen Österreicher, sondern auch die unüblichen, nämlich Maler aus habsburgischen Kronländern, aus dem heutigen Slowenien, Italien und Tschechien bzw. aus Ungarn.

József Borsos z.B. wurde 1821 in Veszprém geboren und starb 1883 in Budapest. Er ist mit dem Bild „Der Emir vom Libanon“ in der Ausstellung vertreten, das auch als Plakatsujet dient.

Und bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass dieser Emir vor Kurzem einen Auftritt hier im Blog hatte, nämlich als früher Hipster. Denn es handelt sich bei dem bunten Orientalen um den besonders hübsch frisierten Grafen Zichy, dessen Barttracht zu seiner Zeit so berühmt war, dass sich Betty Paoli in einem Brief an Marie von Ebner-Eschenbach darauf beziehen konnte.

Wer es noch nicht geahnt hat, kann es in dieser Ausstellung lernen: Das Biedermeier ist immer mehr als das „Biedermeier“.

Donnerstag, 8. Dezember 2016 von Karin S. Wozonig
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Doderer-PR

Haben Sie schon einmal etwas von Heimito von Doderer gelesen? – Schämen Sie sich. In Hamburg gibt es sogar einen Lesezirkel, der sich der Strudelhofstiege verschrieben hat! Und seit dem Heimito-von-Doderer-Abend im Hamburger Literaturhaus am 6. Dezember gibt es mit ziemlicher Sicherheit ein paar Dodererfans mehr. Das war die reinste Werbeveranstaltung. Begonnen hat es damit, dass Helmut Mooshammer Doderer gelesen hat, und zwar grandios. (Der Steirer als solcher ist überhaupt sehr anpassungsfähig.) Weitergegangen ist es mit den informativen und unterhaltsamen Ausführungen von Eva Menasse, Autorin eines Doderer-Buchs in der Reihe „Leben in Bildern“, und von Klaus Nüchtern, Verfasser von Kontinent Doderer. Eine Durchquerung.

Das übliche Literaturhauspublikum war durchsetzt von Inseln mit Informationsvorsprung, einerseits bestehend aus Teilnehmerinnen und Teilnehmern des erwähnten Lesezirkels (dem Leseclub des Literaturhauses), andererseits aus solchen Gästen, die qua Herkunft oder Interesse des Österreichischen in seiner Wiener Ausformung mächtig sind. Zu bemerken war das in Phasen des Hinterhérlachens. Während die informierten Inseln auf großartig vorgetragenen Passagen aus z.B. den Dämonen (Café Kaunitz!) unmittelbar mit Gelächter reagierten, musste der Rest erst einmal die Syntax und die gewagten Metaphern im Geiste zurechtruckeln und die Reaktionen waren entsprechend verzögert. Sehr deutlich war dieser Effekt auch bei den Ausführungen von Klaus Nüchtern, der flockiges Österreichisch geredet und dabei z.B. die Vokabeln „schnackseln“ und „pudern“ verwendet hat. Ich vermute, einigen im Raum ist die Bedeutung erst klargeworden, als Eva Menasse helfend eingesprungen ist.

Übrigens sind wir Eva Menasse nicht nur für diese Aufklärungsarbeit zu Dank verpflichtet, sondern auch für die sanfte Lenkung der Veranstaltung. Ohne ihr Eingreifen säßen wir heute noch im Literaturhaus, hörten Klaus Nüchtern zu, und in ganz Hamburg-Uhlenhorst gäbe es kein Bier mehr zu kaufen.

Aber zurück zur Literatur. Wenn Sie in Wien leben: Kramen Sie Ihre dtv-Ausgabe der Strudelhofstiege hervor (oder kaufen Sie die neue von C. H. Beck) und lesen Sie, wie eine (Ihre) Stadt zur 300xten Figur in einem Roman wird. Dann lesen Sie das Doderer-Buch von Klaus Nüchtern und verschenken das von Eva Menasse zu Weihnachten oder umgekehrt. Falls Sie das Pech haben, nicht in Wien zu leben und die Stadt noch nicht zu kennen, und falls Sie noch nie Doderer gelesen haben, folgen Sie dem Rat von Eva Menasse, die meint, man sollte mit Doderer nicht gerade mit der Strudelhofstiege anfangen, weil man sich da nicht auskennt, so ganz ohne Plot. Lesen Sie Die Wasserfälle von Slunj. Bei den Doderer-Büchern von Nüchtern und Menasse gilt aber auch für Sie: Kaufen, selbst lesen und: verschenken und Werbung für die Romane von Doderer machen, den besten Anachronismus, den die österreichische Literatur des 20. Jahrhunderts aufzuweisen hat.

Dienstag, 6. Dezember 2016 von Karin S. Wozonig
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Dieser Blog läuft seit acht Jahren

Aus diesem Grund verweise ich Sie, verehrte Leserinnen und Leser, auf meinen allerersten Blogeintrag. Er trägt den Titel „Ich lebe im Schlaraffenland“, ist am 2. Dezember 2008 online gegangen und stimmt noch immer. Mit so viel Kontinuität schafft man es auch, in dilimag, Sammlung digitaler Literaturmagazine des Innsbrucker Zeitungsarchivs, aufgenommen zu werden.

Dank an alle, die ihr Interesse an karin-schreibt.org durch Kommentare, E-Mails und im persönlichen Gespräch bekundet haben und bekunden.

Montag, 14. November 2016 von Karin S. Wozonig
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Salonfähiger Idealismus

Die Kaffeehausgespräche, mein literarisches Privatvergnügen, gehen weiter. Nächste Woche widmen wir uns im Salon dem Literaturnobelpreisträger Bob Dylan. Wieder habe ich eine Gastsalonière dazugebeten, nämlich die Historikerin und Bassistin Andrea Wienhaus. Ich bin gespannt auf den Abend.

Dienstag, 8. November 2016 von Karin S. Wozonig
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Keine Meldung

Österreichischer Buchpreis: Friederike Mayröcker für fleurs.

Die Meldung: Friederike Gösweiner, der ich gern zugehört habe, bekommt den Debütpreis für ihren Roman „Traurige Freiheit“.

Donnerstag, 20. Oktober 2016 von Karin S. Wozonig
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Die Aufgabe der Dichtung

Heute und morgen findet in Wien ein Grillparzer-Symposium statt. Aus diesem Anlass und als Kommentar zum vorherigen Blogpost gibt es hier wieder einmal Grillparzer-O-Ton:

Notwendiger Gegensatz

Ist Prosa der Sinn im Beweisen und Lehren,
Kann Dichtkunst den Unsinn wohl kaum entbehren.

Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 3. Gedichte III, S. 196

Sonntag, 16. Oktober 2016 von Karin S. Wozonig
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schreibenzeichnensingen

In Vorbereitung auf meinen verflossenen Gastauftritt beim literarischen Kamingespräch „tea for three“ (Dank an Daniela Strigl und Klaus Nüchtern für die Einladung!) habe ich das Buch „Verbannt!“ von Ann Cotten gelesen, eine wilde Geschichte mit einer auf eine Palme gebrachten Protagonistin mit Persönlichkeitsstörung und mit dem personifizierten Internet, das, wie könnte es anders sein, ein Kabel ist; aber nicht irgendeines, sondern eines, das einem letscherten Soletti ähnelt.

Das alles ist in Pseudo-Spenser-Strophen verfasst, oder auch nicht, wie es der Autorin gerade einkömmt. Auf jeden Fall reimt sie viel, und was sich reimt, ist gut. Allerdings reimt sie auch ziemlich viel nicht und das ist auch nicht schlecht. Thematisch bewegt sich dieses Versepos sehr behände zwischen Plastikmüll, Medienschelte, Kapitalismuskritik und Massentierhaltung – und noch einigem anderen.
Das Buch eignet sich sehr gut für das solitäre Lautlesen und für das Vorlesen in geselliger, Wortwitz schätzender Runde. Hier meine Lieblingsstellen, dem Metadiskurs entnommen:

„Macht also besser gleich Bier aus den jungen Dichtern!
Malzapparate gibt es schon zuhauf.
Macht Bier auch aus den Kritikern und Kunstrichtern!
Lasset sie kommen, stampfet sie und sauft!“

„Ein Wort haut das andere, dieses haut zurück, und dann
kommen noch mehr dazu.“

Soviel zum Buch, das von der Autorin selbst herzerwärmend illustriert wurde und eine lohnende Lektüre ist.

Dank des Salons „Musenküsse“ von Eva Geber und Verena Dürr weiß ich, dass Ann Cotten außer schreiben und zeichnen auch noch singen kann. Und dazu möchte ich sagen: Sollten Ann Cotten und ihre Schwester Lucy (sie spielt Cello und als Combo sind sie „dental princes“) in Ihrer Nähe einen Auftritt haben, lassen Sie alles liegen und stehen und gehen Sie hin. Sie werden es nicht bereuen.

Sonntag, 2. Oktober 2016 von Karin S. Wozonig
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die Götter zu versöhnen

Als Ergänzung zu Marie von Ebner-Eschenbachs klugem Ausspruch zum Thema Zigarren gibt es heute ein Gedicht von einem Bekannten Betty Paolis, nämlich von Ernst Freiherr von Feuchtersleben (1806-1849), dem Experten für Psychosomatik.

Rauchlied

Laßt uns unsre Pfeifen stopfen!
Alles in der Welt ist Rauch;
Herzen, die vor Wonne klopfen,
Bange Herzen, sind es auch.

In den lieben blauen Wölkchen
Blasen wir die Grillen weg;
Sind wir doch ein eignes Völkchen,
Ohne Arbeit, ohne Zweck;

Hören nicht des Mißmuths Flüstern,
Der nur fern von Rauchern schleicht;
Hören bloß der Blätter Knistern,
Wie das Feuer durch sie streicht;

Riechen nicht, wie weis’re Männer,
Schon von fern Verrätherluft;
Riechen nur als Kräuterkenner,
Unsres lieben Krautes Duft.

Unsre Feinde müssen weichen,
Dampf und Qualm sind unser Schutz;
Unser Trost bei bösen Streichen
Ist: auch wir sind nicht viel nutz.

Drum, die Götter zu versöhnen,
Zündet ihnen Opfer an!
Zwischen des Gesanges Tönen
Dampft mit Andacht himmelan!

Mittwoch, 14. September 2016 von Karin S. Wozonig
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Wir bleiben beim Thema

Als Ergänzung zur bärtigen Literaturkritik des vorherigen Blogbeitrags: Der Hipster von heute trägt Vollbart, das kann man in Portland (Oregon, USA) und Dahlenburg (Niedersachsen) beobachten. Ihm sei eine Annonce gewidmet, die von 1865 an in vielen Zeitungen zu finden war: