Betty Paoli: Die Dichterin
Viel Muth braucht man in unsern Tagen,
(Ja Muth! Nicht nur Beruf allein),
Sich an die Lira noch zu wagen,
Hat man das Unglück Weib zu sein.
Als Geißel in des Lebens Kreisen
Bezeichnet man die Dichterin,
Allein, wie dieses zu erweisen,
Will mir doch nimmer in den Sinn.
Horcht doch des großen Meisters Worten:
„Wem in dem deutschen Dichterwald
Die Gabe des Gesangs geworden,
Der singe, daß es weithin schallt!“ –
In einem Bunde will Er sehen,
Der Musa Kinder all vereint,
Er gibt dabei nicht zu verstehen,
Daß er die Söhne nur gemeint.
Daß aus so mancher Frauenfeder
Erbärmliches geflossen sei,
Viel Verse, ach! Von denen jeder
Verrenket kreischt: „Gott steh mir bei!“
Dieß als Verleumdung abzuweisen,
Wär‘ ein unwürdig Truggeschäft,
Doch saget, ob in euern Kreisen
Ihr nicht auch solche Muster trefft? –
Und wenn die einz’ge Wahl mir bliebe,
(Im Grund Wahl zwischen Strick und Schwert!)
Weh! zwischen Liedern matter Liebe,
Und zwischen jenen, wo versehrt
Der Musa strahlendes Gefieder
Durch Diatriben lichterloh,
Dann zög‘ ich vor die matten Lieder
Der groben à la so und so. –
Warum soll jene Stimme eben,
Die in so mancher herben Pein
Den Andern sanften Trost kann geben,
Nicht zum Gesang‘ berufen sein?
Und jene Hand, die nassen Augen
Enthüllt ein höheres Asyl,
Die sollte nimmer dazu taugen,
Zu rühren an das Saitenspiel?
Wer sich das Dichten kann verwehren,
Hat sich zum Dichten nur gemüht!
Wenn Wonnen mein Gemüth verklären,
So werden sie in mir zum Lied,
Wenn höhrer Schmerz mein Sein durchdringet,
Schallt er aus meines Herzens Grund,
Und wenn die Seele in mir singet,
Singt auch, ohn‘ daß ich’s will, der Mund
Nie hörte man mein Lied ertönen,
Zum Ruhme eitler, ird’scher Macht,
Nie sah man es der Lüge fröhnen,
Stumm blieb’s in einer Sündennacht;
Doch mit der Sterne Flammenzungen,
Mit jeder Blum‘, die strahlt und blüht,
Hat es den Hymnus mitgesungen,
Der betend durch die Schöpfung zieht!
(1837)