Dienstag, 24. Januar 2017 von Karin S. Wozonig
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Zu Tisch in Bremen

Völlig zu Recht hat Terézia Mora den Bremer Literaturpreis bekommen. Ausgezeichnet wurde ihr Band Erzählungen mit dem Titel „Die Liebe unter Aliens“, einem Titel, von dem Lothar Müller bei der traditionellen Vorabendlesung mit Gespräch am Sonntag in der „Glocke“ gesagt hat, es könnte auch ein Filmtitel sein. Zuerst habe ich mich darüber gewundert, dass die Autorin bei dieser Bemerkung ganz ungerührt geblieben ist, aber jetzt denke ich, es liegt daran, dass sie „Drehbuch studiert“ hat. Das erklärt auf jeden Fall die szenische Qualität einiger ihrer Erzählungen. Das Gespräch führte Lothar Müller mit Terézia Mora und mit dem Förderpreisträger Senthuran Varatharajah (neinnein, so schwierig ist der Name gar nicht; den könnte sich auch ein Bremer Bürgermeister merken, wenn er wollte).

Zu meinem Bedauern las Mora von ihrer Titelerzählung an dem Abend nur ungefähr die Hälfte. Obwohl ich sie schon kenne, hätte ich sie von der Autorin gern ganz gehört. Die Erzählerin macht keinen Hehl daraus, dass sie die beiden Hauptfiguren mag, und Mora liest das auch genau so. Man muss die Sympathie übrigens nicht teilen. Das ist eine andere Qualität der Erzählungen. Die Figuren sind überzeugend durchschnittlich bis unterdurchschnittlich und gelegentlich too close to home, um in die Leser-Komfortzone zu passen. Manche Figuren sind auch auf jene unspektakuläre Art unglücklich, die an ästhetische Beleidigung grenzt. Und dann kann es aber auch sein, dass sie gar nicht unglücklich sind. Man weiß es nicht so genau. Terézia Moras Erzählungen sind richtig für Menschen, die sich auf hohem Niveau von Alice Munro erholen wollen.

Nach der erhellenden Laudatio von Roman Bucheli befleißigte sich die Preisträgerin gewitzt des Genres der Dankeserzählung. Jetzt wissen wir, dass sie auf dem Flughafen von Bordeaux erfahren hat, dass sie den Bremer Literaturpreis bekommen hat; dass sie sich bei der Botschaft nicht sofort einen Haxen ausgefreut hat (weil so ein Preis nämlich mit einer Dankesrede verbunden ist – was ihr nicht liegt); und dass ein Tisch, auf dem Chaoschaoschaos herrscht und den man mit einer Neunjährigen und ihrem Vater teilt, zwar keine Bedingung für das Schreiben guter Literatur ist, aber auch kein permanentes Hindernis.

Montag, 16. Januar 2017 von Karin S. Wozonig
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Zeit für Grillparzer

Es wird Zeit, dass wir wieder einmal ausführlich über Grillparzer reden, dessen Nachlass sich übrigens entgegen anderslautenden Gerüchten nicht irgendwo, sondern in der Handschriftensammlung der Wienbibliothek im Rathaus befindet – just dort, wo auch der Nachlass von Betty Paoli liegt.

Donnerstag, 12. Januar 2017 von Karin S. Wozonig
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Bärtiger, modebewusster Biedermeier

Eine Ergänzung zum vorherigen Blogeintrag über den Hipster Graf Edmund Zichy:

[Zichy] war kurz zuvor von einer Orientreise zurückgekehrt und wollte von sich ein Porträt besitzen, das ihn in den Kleidern, die er mitgebracht hatte, zeigte. Er fand in Borsos einen kongenialen Bildnismaler, zugleich sollte dieses als Erinnerungsstück geplante Gemälde den Ruf des jungen ungarischen Malers als Porträtist begründen.

Zitat aus dem sehens- und lesenswerten Katalog zur Ausstellung: Ist das Biedermeier? Amerling, Waldmüller und mehr. Herausgegeben von Agnes Husslein-Arco und Sabine Grabner, Wien 2016

 

Bärtiger Biedermeier

Im Unteren Belvedere in Wien läuft noch bis zum 12. Februar die sehenswerte Ausstellung „Ist das Biedermeier?“ Berechtigterweise geht die Kuratorin Sabine Grabner davon aus, dass es eine sehr konkrete Vorstellung davon gibt, was das Biedermeier sei. Der parodistische Aspekt fehlt heute dabei, die Konzentration liegt wohl auf der wenn auch kitschigen, so doch ernstgemeinten Idylle und auf dem Rückzug in die eigenen vier Wände.

Wenn man wie diese Ausstellung das Biedermeier ungefähr fünfzehn Jahre zu spät beginnen und erst 1860 enden lässt (die politischen Ereignisse, die üblicherweise die Epochengrenzen darstellen, sind der Wiener Kongress am Anfang und die sogenannte Bürgerliche Revolution von 1848 am Ende), dann hat man das Klischee zwar schon von vornherein ausgehebelt und die Frage im Titel lässt sich ohne viel Nachdenken für ziemlich viele Bilder mit Nein beantworten. Aber im Untertitel der Ausstellung „Amerling, Waldmüller und mehr“ steckt das Wichtige: Zwar sehen wir unter anderem die „Lautenspielerin“ von Friedrich von Amerling und das Selbstporträt von Georg Ferdinand Waldmüller, also klassisches Biedermeier, vor allem aber wird der geographische Rahmen erweitert und es gibt nicht nur die üblichen in Wien oder Linz (ein Bild von Adalbert Stifter ist auch zu sehen) ansässigen Österreicher, sondern auch die unüblichen, nämlich Maler aus habsburgischen Kronländern, aus dem heutigen Slowenien, Italien und Tschechien bzw. aus Ungarn.

József Borsos z.B. wurde 1821 in Veszprém geboren und starb 1883 in Budapest. Er ist mit dem Bild „Der Emir vom Libanon“ in der Ausstellung vertreten, das auch als Plakatsujet dient.

Und bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass dieser Emir vor Kurzem einen Auftritt hier im Blog hatte, nämlich als früher Hipster. Denn es handelt sich bei dem bunten Orientalen um den besonders hübsch frisierten Grafen Zichy, dessen Barttracht zu seiner Zeit so berühmt war, dass sich Betty Paoli in einem Brief an Marie von Ebner-Eschenbach darauf beziehen konnte.

Wer es noch nicht geahnt hat, kann es in dieser Ausstellung lernen: Das Biedermeier ist immer mehr als das „Biedermeier“.

Donnerstag, 8. Dezember 2016 von Karin S. Wozonig
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Doderer-PR

Haben Sie schon einmal etwas von Heimito von Doderer gelesen? – Schämen Sie sich. In Hamburg gibt es sogar einen Lesezirkel, der sich der Strudelhofstiege verschrieben hat! Und seit dem Heimito-von-Doderer-Abend im Hamburger Literaturhaus am 6. Dezember gibt es mit ziemlicher Sicherheit ein paar Dodererfans mehr. Das war die reinste Werbeveranstaltung. Begonnen hat es damit, dass Helmut Mooshammer Doderer gelesen hat, und zwar grandios. (Der Steirer als solcher ist überhaupt sehr anpassungsfähig.) Weitergegangen ist es mit den informativen und unterhaltsamen Ausführungen von Eva Menasse, Autorin eines Doderer-Buchs in der Reihe „Leben in Bildern“, und von Klaus Nüchtern, Verfasser von Kontinent Doderer. Eine Durchquerung.

Das übliche Literaturhauspublikum war durchsetzt von Inseln mit Informationsvorsprung, einerseits bestehend aus Teilnehmerinnen und Teilnehmern des erwähnten Lesezirkels (dem Leseclub des Literaturhauses), andererseits aus solchen Gästen, die qua Herkunft oder Interesse des Österreichischen in seiner Wiener Ausformung mächtig sind. Zu bemerken war das in Phasen des Hinterhérlachens. Während die informierten Inseln auf großartig vorgetragenen Passagen aus z.B. den Dämonen (Café Kaunitz!) unmittelbar mit Gelächter reagierten, musste der Rest erst einmal die Syntax und die gewagten Metaphern im Geiste zurechtruckeln und die Reaktionen waren entsprechend verzögert. Sehr deutlich war dieser Effekt auch bei den Ausführungen von Klaus Nüchtern, der flockiges Österreichisch geredet und dabei z.B. die Vokabeln „schnackseln“ und „pudern“ verwendet hat. Ich vermute, einigen im Raum ist die Bedeutung erst klargeworden, als Eva Menasse helfend eingesprungen ist.

Übrigens sind wir Eva Menasse nicht nur für diese Aufklärungsarbeit zu Dank verpflichtet, sondern auch für die sanfte Lenkung der Veranstaltung. Ohne ihr Eingreifen säßen wir heute noch im Literaturhaus, hörten Klaus Nüchtern zu, und in ganz Hamburg-Uhlenhorst gäbe es kein Bier mehr zu kaufen.

Aber zurück zur Literatur. Wenn Sie in Wien leben: Kramen Sie Ihre dtv-Ausgabe der Strudelhofstiege hervor (oder kaufen Sie die neue von C. H. Beck) und lesen Sie, wie eine (Ihre) Stadt zur 300xten Figur in einem Roman wird. Dann lesen Sie das Doderer-Buch von Klaus Nüchtern und verschenken das von Eva Menasse zu Weihnachten oder umgekehrt. Falls Sie das Pech haben, nicht in Wien zu leben und die Stadt noch nicht zu kennen, und falls Sie noch nie Doderer gelesen haben, folgen Sie dem Rat von Eva Menasse, die meint, man sollte mit Doderer nicht gerade mit der Strudelhofstiege anfangen, weil man sich da nicht auskennt, so ganz ohne Plot. Lesen Sie Die Wasserfälle von Slunj. Bei den Doderer-Büchern von Nüchtern und Menasse gilt aber auch für Sie: Kaufen, selbst lesen und: verschenken und Werbung für die Romane von Doderer machen, den besten Anachronismus, den die österreichische Literatur des 20. Jahrhunderts aufzuweisen hat.

Dienstag, 6. Dezember 2016 von Karin S. Wozonig
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Dieser Blog läuft seit acht Jahren

Aus diesem Grund verweise ich Sie, verehrte Leserinnen und Leser, auf meinen allerersten Blogeintrag. Er trägt den Titel „Ich lebe im Schlaraffenland“, ist am 2. Dezember 2008 online gegangen und stimmt noch immer. Mit so viel Kontinuität schafft man es auch, in dilimag, Sammlung digitaler Literaturmagazine des Innsbrucker Zeitungsarchivs, aufgenommen zu werden.

Dank an alle, die ihr Interesse an karin-schreibt.org durch Kommentare, E-Mails und im persönlichen Gespräch bekundet haben und bekunden.

Montag, 14. November 2016 von Karin S. Wozonig
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Salonfähiger Idealismus

Die Kaffeehausgespräche, mein literarisches Privatvergnügen, gehen weiter. Nächste Woche widmen wir uns im Salon dem Literaturnobelpreisträger Bob Dylan. Wieder habe ich eine Gastsalonière dazugebeten, nämlich die Historikerin und Bassistin Andrea Wienhaus. Ich bin gespannt auf den Abend.

Dienstag, 8. November 2016 von Karin S. Wozonig
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Keine Meldung

Österreichischer Buchpreis: Friederike Mayröcker für fleurs.

Die Meldung: Friederike Gösweiner, der ich gern zugehört habe, bekommt den Debütpreis für ihren Roman „Traurige Freiheit“.

Donnerstag, 20. Oktober 2016 von Karin S. Wozonig
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Die Aufgabe der Dichtung

Heute und morgen findet in Wien ein Grillparzer-Symposium statt. Aus diesem Anlass und als Kommentar zum vorherigen Blogpost gibt es hier wieder einmal Grillparzer-O-Ton:

Notwendiger Gegensatz

Ist Prosa der Sinn im Beweisen und Lehren,
Kann Dichtkunst den Unsinn wohl kaum entbehren.

Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Band 3. Gedichte III, S. 196