Sonntag, 21. August 2016 von Karin S. Wozonig
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Gender- und Literaturkritik mit Bart

Die gescheite Schriftstellerin Betty Paoli fordert bei der Beurteilung geistiger Produkte Geschlechtsblindheit:

Unweibliche Idee? Wie ihr doch thöricht sprecht!
Was hat der Geist denn wohl gemein mit dem Geschlecht?

Als man für die Wiener Weltausstellung 1873 im Rahmen der Präsentation von „Frauen-Arbeiten“ auch eine Abteilung für die „literarische Production von Frauen“ plante, ereifert sich Paoli in einem Brief an Marie von Ebner-Eschenbach:

[Ich ärgere mich] über den hirnverbrannten Einfall, die von Frauen herrührenden literarischen Werke a parte zusammenzustellen, d. h. daraus eine Art von Ghetto zu machen. Ein Buch muß gut sein. Ist es dieß, so ist es vollkommen gleichgültig ob es einen Mann oder eine Frau oder eine Maus zum Verfasser hat. Und ist es schlecht, so wird es um kein Haar besser, wenn der Autor mit einem Bart wie Graf Edmund Zichy gesegnet ist.

 

Dienstag, 2. August 2016 von Karin S. Wozonig
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Ratio(n)

Nicht nur in ihren Aphorismen, sondern auch in ihren Briefen hält Marie von Ebner-Eschenbach Gedanken von zeitloser Gültigkeit fest. So z.B. im Brief an Betty Paoli vom 17. Juni 1878:

Die drei Cigarren im Tage sind freilich etwas knapp bemessene Ration aber giebt es ein Opfer dieser Art das man nicht brächte wenn man dadurch gesünder werden kann?

Mittwoch, 6. Juli 2016 von Karin S. Wozonig
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Cerri anschmiegsam

Mehrfach wurde in diesem Blog der Dichter-Beamte Cajetan Cerri erwähnt, ein Betty-Paoli-Verehrer, der die Dedikation an die Stelle setzte, an der es ihm deutlich an Talent fehlte. Wie er das im einzelnen machte und worin seine eigenen lyrischen Leistungen bestanden, lässt sich in dem Aufsatz „Friedrich Hebbel und Cajetan Cerri. Mit einer unbekannten Widmung an Hebbel“ von Walter Hettche nachlesen (Hebbel-Jahrbuch 71/2016). Walter Hettche stellt Cerris systematisches Anbiedern an die literarische Szene und die Literaturgeschichte durch Widmungen und Motti sehr informativ und durchaus amüsant dar.

Cerris ungeniertes textliches Anschmiegen an bedeutende Dichter kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass er selbst in der unteren Liga der Almanachverseschmiede spielt – im Gegenteil. Seinem „Franz Grillparzer gewidmet“ in der Gedichtsammlung Glühende Liebe (1850) schickt er z.B. ein Gedicht hinterher, das nicht nur den Bescheidenheitstopos bedient, sondern außerdem recht typisch Cerri ist:

Ich weiß, es sollten diese schlichten Klagen
Es kaum versuchen sich zu Dir zu heben,
Denn kühne Adler sollten nur es wagen
Zum Sonnenstrahl im stolzen Flug zu schweben.

Doch sieh‘, der Sturm, der an dem Blätterrauschen
Der Eichen nur gewohnt – er mag’s doch leiden
Muß er auch manchmal dem Geflüster lauschen,
Das ihm engegentönt vom Blatt der Heiden.

D’rum zürn‘ auch du dem Lied nicht, das sich leise
Zu dir erschwingt, du mächtiger Sangesstreiter:
Denk‘ an des Vögleins schlichte Abendweise –
Du hörst ihr zu – und gehst dann lächelnd weiter.

 

Sonntag, 15. Mai 2016 von Karin S. Wozonig
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Weiblicher Adler

In Schwingen und Federn theilt ein scharfsinniger kritischer Kopf die dichterischen Organe Östreich’s, und wenn er auch nicht jedem in’s Angesicht sagt: du bist Adlerschwinge, du bist Gänsekiel, so läuft doch dieser ernste Spruch: du dienst dem Gott in dir, und du dem Fleisch der Welt! durch sein ganzes Buch. […] In der Gartenkunst pfropft man Birnen auf Pflaumen, aber die Östreicher wuchern förmlich in den Treibhäusern ihrer Sprache mit dieser Gartenkunst, die bei ihnen keine Kunst mehr ist, sondern ein Wildwuchs ihrer üppigen Phantasie.

Anonym: Östreich’s poetische Schwingen und Federn. In: Europa, 20. Februar 1847, S. 121-125

Ehe wir von jenen östreichischen Dichtern scheiden, deren sich ganz Deutschland als eines Schmuckes seiner Literatur erfreut, von den Adlern, die, während sie aus ihrer bewunderten Höhe nach den Reizen und Schmerzen der Erde spähen, doch das Auge ungeblendet nach dem Licht wenden, unter welchem allein irdische Zustände würdig gedeihen können, wollen wir noch eines weiblichen Adlers Erwähnung thun, Betty Paoli.

Hieronymus Lorm: Wien’s poetische Schwingen und Federn. Leipzig 1847, S. 82

Mehr dazu in Karin S. Wozonig: Das ‚Nationalgemüth‘ der Literatur. Wien’s poetische Schwingen und Federn (1847) von Hieronymus Lorm. In: Jahrbuch FVF 21 (2015). Das Politische und die Politik im Vormärz. Norbert Otto Eke/Bernd Füllner (Hg.) Bielefeld: 2016 S. 159-183

Sonntag, 8. Mai 2016 von Karin S. Wozonig
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Eines Morgens

Eines Morgens

Ans Fenster rückt‘ ich meinen Tisch
Und wollte weise Dinge schreiben,
Doch, eh‘ ichs dachte, sah ich frisch
Mein Blatt im Morgenwinde treiben.

Was liegt an einem Blatt Papier?
Leicht ist’s ein zweites zu bereiten!
Nun aber ließ die Sonne mir
Streiflichter blendend drüber gleiten.

Wie flogen sie so lustig hell
Die Pfeile von dem gold’nen Bogen!
Gleich einem Schilde ließ ich schnell
Den grünen Vorhang niederwogen.

Jetzt, meint‘ ich, jetzt wird Ruhe sein!
Des Fleißes ernste Zeit beginne!
So dacht‘ ich, still vergnügt, allein
Bald ward ich meines Irrthums inne.

Denn schmeichelnd und verlockend drang
Durch Blättergrün und grünen Schleier
Der Vögel Lied wie Festgesang,
Wie eine freud’ge Liebesfeier.

Was half es mir, daß ich mein Ohr
Vom Lauschen suchte zu entwöhnen?
Im Geiste hörte ich den Chor
Der süßen Stimmen doch ertönen.

Vergeblich sorgt‘ ich, daß sich nicht
Der Sonne Schimmer zu mir stehle;
Das ich von mir gebannt, das Licht,
Ich schaut‘ es doch in meiner Seele.

Da warf ich meine Feder hin!
Nicht länger konnt‘ ich widerstreben,
Gefangen war mir Herz und Sinn –
Ich mußte mich dem Lenz ergeben.

Aus meinem Hause trieb mich’s fort
Auf waldgekrönte Bergeshöhen,
Wo, wie ein mildes Segenswort,
Die ahnungsvollen Lüfte wehen.

Den heil’gen Stimmen horchend, saß
Ich dort bis spät zum Abendlichte,
Und meine trunk’ne Seele las
In Gottes ewigem Gedichte!

Betty Paoli: Neue Gedichte. Pest 1850

Freitag, 6. Mai 2016 von Karin S. Wozonig
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Sammlung komplett

Betty Paoli war in den 1840er Jahren sehr erfolgreich. Ihre ersten Gedichtsammlungen erschienen in zwei Auflagen. In der Zeit von 1841 bis 1870 erschienen neun Bände Gedichte von ihr:

Gedichte. Pesth: Heckenast 1841
Nach dem Gewitter. Gedichte. Pesth: Heckenast 1843
Gedichte. Zweite vermehrte Auflage. Pesth: Heckenast 1845
Romancero. Leipzig: Wigand 1845
Neue Gedichte. Pest: Heckenast 1850
Nach dem Gewitter. Zweite um die Hälfte vermehrte Auflage. Pesth: Heckenast 1850
Lyrisches und Episches. Pest: Heckenast 1855
Neue Gedichte. Zweite vermehrte Auflage. Pest: Heckenast 1856
Neueste Gedichte. Wien: Gerold’s Sohn 1870

Außerdem erschien 1895 ein Nachlassband, von dem es auch eine zweite Ausgabe gibt:

Gedichte von Betty Paoli. Auswahl und Nachlaß. Stuttgart: Cotta 1895
Ausgewählte Gedichte von Betty Paoli. Stuttgart, Berlin: Cotta Nfg.

 

 

Lebendiges Gespräch über Marie von Ebner-Eschenbach

In Wien wurde bei einer internationalen Tagung über Marie von Ebner-Eschenbach gesprochen: informiert, neugierig, im besten Sinne wohlwollend gegenüber dem wissenschaftlichen Gegenstand und gegenüber den Kolleginnen und Kollegen.

Vom Eröffnungsvortrag von Peter C. Pfeiffer, der über starke Anfänge und abgetönte Schlüsse bei Ebner-Eschenbach gesprochen hat, bis zum letzten Beitrag von Ulrike Tanzer (sie war gemeinsam mit Kyra Waldner für die Organisation der Tagung zuständig und ist dafür verantwortlich, dass demnächst der Briefwechsel von Marie von Ebner-Eschenbach und der theuersten Baronin! Josephine von Knorr erscheinen wird): Bei allen Vorträgen habe ich Lust auf mehr bekommen, auf mehr Ebner-Eschenbach – das ist klar -, aber auch auf weitere und tiefere Einblicke in die Ebner-Eschenbach-Forschung.

Da spricht z. B. Daniela Strigl, Verfasserin einer gerade erschienen Ebner-Eschenbach-Biografie, über die Autorin als Reiterin, ein Thema, über das ich immer schon mehr wissen wollte; Irene Fussl über Das tägliche Leben (lesen!); Lina Maria Zangerl über die Konstruktion von Autorschaft in besagtem Briefwechsel; Walter Hettche über Paul Heyse; Marie Luise Wandruszka über „politischen Realismus“.

Ich habe mich vor einigen Jahren gefragt, was die historisch arbeitenden Literaturwissenschaftler(innen) aus der Person Marie von Ebner-Eschenbach gemacht haben (Anlass war ursprünglich ein Vortrag, niedergeschrieben habe ich meine Überlegungen für die Brücken). Mein ganz persönlicher Eindruck  damals (vor sieben Jahren) war, dass Marie von Ebner-Eschenbach für die Literaturwissenschaft seit Anton Bettelheim (das ist der Mann von Helene Bettelheim-Gabillon) leblos und abstrakt ist und reduziert auf Ideen mit Etiketten (feministische, sozialkritische, humanistische etc.). Bei der Tagung habe ich mich mit Vergnügen eines Besseren belehren lassen. Ich weiß jetzt, dass es eine lebhaft an der weiteren Erforschung Ebner-Eschenbachs interessierte Community gibt, die nicht nur den Figuren der Autorin sondern der Autorin selbst psychologische Tiefe und Leben zugesteht; die Ebner-Eschenbach zu Pferde über Gräben springen, politisch ambivalent sein oder in Briefen Gehässigkeiten äußern lässt… oder was man halt so macht, wenn man das Leben der Marie von Ebner-Eschenbach führt.

Nun wäre ich mit dieser Korrektur meines Eindrucks von der Literaturwissenschaft und durch die intellektuellen Anregungen der Vorträge schon ganz zufrieden gewesen und hätte gesagt: Gute Tagung, hat sich gelohnt. Dann gab’s da aber noch die erhellenden Gespräche in den Kaffeepausen und beim geselligen Teil der Tagung. Das wäre dann also: sehr gute Tagung! Aber was für mich persönlich die Sache perfekt gemacht hat, war eine besondere Begegnung. Nach über zwanzig Jahren der Beschäftigung mit Betty Paoli (puh, das hat jetzt aber gedauert…), habe ich bei dieser Tagung in Wien endlich Eda Sagarra persönlich kennen gelernt. Warum, so fragen Sie jetzt vielleicht, ist das denn wichtig?

Also das war so: Wenn man z.B. bei Sengle geschrieben findet, Grillparzer habe eine gewisse Betty Paoli als „größten Lyriker“ bezeichnet und man möchte wissen, wer diese Frau ist – wo schaut man dann nach? Im Killy. Und da stand der Eintrag von Eda Sagarra, der mich darauf gebracht hat, mich mit dieser gewissen Betty Paoli weiter zu befassen.

Und weil ich das gemacht habe, weiß ich, dass Betty Paoli, diese gescheite Frau, gleich gesehen hat, dass Marie von Ebner-Eschenbach etwas Besonderes ist und etwas Besonderes schafft. Und was hält Marie von Ebner-Eschenbach von Betty Paolis kritischer Kompetenz? Zitat aus dem Tagebuch von 1876:

Heut also das 20t Kap: beendet. Bei Ida gespeist u. nachmittag gelesen den Schluß. Betty Paoli war zufrieden u. so komme ich mir vor wie unverwundbar weil in Drachenblut gebadet.

Sonntag, 10. Januar 2016 von Karin S. Wozonig
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Rede, verschriftlicht

Aus der in diesem Blog erwähnten Festrede auf Betty Paoli wurde ein Buch.

Montag, 1. Juni 2015 von Karin S. Wozonig
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Brach

Er liegt ein bisschen brach, dieser Blog. Das wirkliche Leben beansprucht meine ganze Aufmerksamkeit. Dass ich hier seit Monaten nicht mehr über Betty Paoli geschrieben habe, bedeutet natürlich nicht, dass ich nicht an anderem Ort über sie veröffentliche: Mein Aufsatz „Liebeslyrik und Biedermeierprosa. Bürgerliche Familienkonzepte bei Betty Paoli“ ist im JOURNAL OF AUSTRIAN STUDIES, VOL. 48, NO. 1, S. 81-103 erschienen. Er basiert auf einem Vortrag, den ich vor einiger Zeit in Denver – auch eine schöne Stadt! – gehalten habe.

Donnerstag, 12. Februar 2015 von Karin S. Wozonig
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Betty Paoli wurde gefeiert

Wien ist in vielen Teilen sehr hübsch anzusehen – so neunzehntes Jahrhundert. Das Rathaus zum Beispiel, 1883 fertig gestellt, hat einen Stadtsenatssitzungssaal mit vergoldeter Holzdecke und grünen Seidendamasttapeten – man soll ja nicht an der falschen Stelle sparen. In diesem Raum wurde auf Initiative von Julia Danielczyk der zweihundertste Geburtstag von Betty Paoli gefeiert und ich finde, der Rahmen war passend.

Marlen Schachinger baute in ihre anspruchsvolle  „analytisch-literarische Auseinandersetzung“ (Festrede) viel Paoli-O-Ton ein. Es ging um Biografisches und Biografismus, um Beruf und Berufung, und über Tarock habe ich auch etwas gelernt. Am Ende wurde eine Vertonung von Paolis Gedicht „Gute Nacht“ auf der Geige gespielt, ein schöner Abschluss.

Besonders gut gelungen war meines Erachtens die Reflexion über marktdominierte Schreibbedingungen. Diese Reflexion hat Marlen Schachinger in Form der Verflechtung oder des Brückenschlags zwischen dem neunzehnten und dem einundzwanzigsten Jahrhundert präsentiert, mit Blick in die eigene Werkstatt.

Betty Paoli hat sich literarisch ausführlich mit der prekären Lage von Autorinnen und Autoren auseinander gesetzt. Ihr dienten die Biografien von Jules Mercier, einem saint-simonistischen Lieddichter (Selbstmord 1834), und Élisa Mercœur, einer von Chateaubriand protegierten, jung verstorbenen Dichterin, als Vorlage für zwei Almanachbeiträge. Aber auch in ihre Lyrik fließt die Diskrepanz zwischen dem Bedürfnis, hehre Kunst zu schaffen, und der mangelnden Anerkennung (entsprechend auch der mangelnden Entlohnung) als Thema ein.

Diesbezüglich immer noch lesenswert ist Paolis vor 141 Jahren erschienenes Feuilleton „In Sachen der Literatur“, das mit den Sätzen beginnt:

Es gab eine Zeit – und sie liegt nicht sehr ferne hinter uns – in der man dem Himmel, der sich der Vögel in der Luft und der Blumen auf dem Felde getreulich annimmt, auch die Sorge für die Existenz des Dichters und des Schriftstellers überließ. Leider kann man nicht behaupten, daß er dieses Vertrauen immer gerechtfertigt habe.

Was mich dazu bringt, auf eine weitere Veranstaltungsreihe (neben der, in deren Rahmen Paoli gewürdigt wurde: „Autorinnen feiern Autorinnen“), die auf Julia Danielczyks Initiative zurückgeht, hinzuweisen: Literatur im MUSA.