Wien 29 November 1877.
Theuerste Baronin!
Störungen aller Art, – darunter auch längeres Unwohlsein, – haben mich verhindert Ihnen für Ihre freundlichen Glückwünsche und das sie begleitende Geschenk schon früher zu danken. […]
Ich dachte häufig an Sie, liebste Baronin, in den prachtvollen Tagen, welche dieser Herbst uns ausnahmsweise brachte, ich erinnere mich keines so heiteren, sonnigen Novembers. Da muß das Leben auf dem Lande, trotz der kurzen Tage, doch recht angenehm gewesen sein, man konnte ja viele Stunden im Freien verbringen. Jetzt gehen Sie wohl bald nach Salzburg und dann nach Paris. […]
Hier in unserem kleinen Kreise spinnt sich das gewohnte Leben fort, nur mit dem betrübenden Unterschied, daß Sie und Frau von Littrow fehlen. […]
Leben Sie wohl, theuerste Baronin, und empfangen Sie wiederholt meinen beßten Dank für ihre freundliche Erinnerung. Mit den herzlichsten Wünschen für Ihr Wohlergehen und die ungehinderte Durchführung Ihrer Reiseprojekte
Ihre wahrhaft ergebene Betty Paoli
Josephine Freiin von Knorr (1827-1908) war Lyrikerin, Übersetzerin und Briefpartnerin von Marie von Ebner-Eschenbach. Durch Knorrs Vermittlung lernte Ebner-Eschenbach Franz Grillparzer und die Schwestern Fröhlich kennen.
Weibliche Autoren giebt es relativ wenig in Wien. Betty Paoli, Ada Christen und die Baronin von Ebner-Eschenbach halten indessen die Fahne der Frauenliteratur zur Ehre ihres Geschlechtes ziemlich hoch. Betty Paoli, ein Talent erster Ordnung, ein edler Geist und edles Herz, ist durch ihre lyrischen Gedichte eine europäische Berühmtheit geworden.
Paul Vasili [Katharina von Radziwill]: Die Wiener Gesellschaft. 2. Auflage. Leipzig: H. le Soudier 1885. S. 304f.
Betty Paoli war in ihrer Zeit eine der populärsten Lyrikerinnen, was sich auch darin niederschlägt, dass ihre Verse in anderen literarischen Werken zitiert werden.
„Der Kampf, der mich zur Vernunft gebracht hat, war schwer, aber kurz, gottlob. Statt eines Führenden bin ich ein Dienender geworden.
‚Ich dien‘! Den Wahlspruch stark und mild
Trug jenes Luxemburgers Schild,
Der kämpfend bei Crécy gefallen.'“
Kamilla hatte ihm mit hingebendem Interesse zugehört. Daß er so offen über sich selbst mit ihr sprach, war ihr schmeichelhaft, und als der Dragonerleutnant nur gar Verse von Betty Paoli, ihrer Lieblingsdichterin, zitierte, erschien er ihr als das entzückendste aller Phänomene.
Marie von Ebner-Eschenbach: Der Herr Hofrat. Eine Wiener Geschichte
Wie eine Singstimme durch fortgesetzte Übung an Schönheit und Rundung des Tones gewinnt, so hat das Talent der Verfasserin, durch den Fleiß, der ihr zur Seite steht, zusehends an Umfang und Tragweite gewonnen. Ich meine nicht den Fleiß, der darin besteht, tagtäglich so und so viel Bogen vollzuschreiben – den haben nur gar zu viele! – sondern die künstlerische Gewissenhaftigkeit, die alles nur leidlich Gute als ungenügend verwirft, die, statt sich mit einem à peu près zu begnügen, an einem Werk unverdrossen schafft und feilt, bis sie es von der unscheinbarsten Makel befreit und nach bestem Erkennen und Vermögen alle seine Teile harmonisch zusammengestimmt hat. Dieser Fleiß, diese unnachsichtige Strenge gegen sich selbst, diese Hingebung, die keine Mühe und Arbeit scheut, wenn sie dem im Entstehen begriffenen Werke zu gute kommen können, sie sind es, die den Künstler vom Dilettanten unterscheiden, wenn auch die ursprünglichen Anlagen beider sich zufällig die Wage halten sollten.
Betty Paoli: „Božena“. In: Gesammelte Aufsätze. Eingeleitet und herausgegebene von Helene Bettelheim-Gabillon. Wien: Verlag des Literarischen Vereins in Wien 1908 (Erstdruck in der Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, 1876)
Aus dem Tagebuch von Marie von Ebner-Eschenbach, 6. 5. 1876:
Vormittag in strömendem Regen zu Betty Paoli, Tante Louise u. Dr Pachler. Betty P. hatte sehr anerkennende u. verehrungsvolle Briefe von Anast: Grün, Wüllerstorf u. Levin Schücking erhalten, wegen ihres schönen Aufsatzes über An: v. Droste in der Heimat.
Aus dem Tagebuch von Marie von Ebner-Eschenbach, 16. 5. 1875:
Nachm. kam Ida u. Betty Paoli, wir plauderten bis Moriz sich einfand, der eine Partie Tarok proponirte, u. es wurde bis 8 Uhr gespielt. B. P. hatte ein ganz horrendes Unglück „Das geht über meine Verhältnisse!“ Moriz behauptete, ich hätte verstohlen ihre Marken aus unseren Büchsen in die ihre zurück escamotirt.
Die Wirklichkeit mit ihren tausend Zufälligkeiten ist gleichsam ein Nebel, der unseren geistigen Blick beschränkt, beirrt und ihn hindert, die Erscheinungen in ihrer Totalität aufzufassen. Die Poesie hat den Beruf, ihn mit ihrem mächtigen Odem zu zerstreuen und aus dem wüsten Chaos eine von ethischen Gesetzen beherrschte Welt zu schaffen.
Aus Betty Paoli: „Božena“. In: Betty Paoli: Gesammelte Aufsätze. Eingeleitet und herausgegebene von Helene Bettel-Gabillon. Wien 1908 (Erstdruck in der Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung, 1876)
Aus dem Tagebuch von Marie von Ebner-Eschenbach, 17. Mai 1891: „Nm bei Ida. Richard machte eine photographische Aufnahme der Tarok Partie bei Magnesium Licht.“
Mehrfach wurde in diesem Blog die Freundin und Gönnerin Betty Paolis Ida Fleischl-Marxow (1825-1899) erwähnt. Auch von den Bedenken ihres Sohnes Otto Fleischl, seine Mutter würde bald vergessen sein, habe ich berichtet. Um dem Vergessen etwas entgegen zu setzen hier nun ein Zitat aus einem Nachruf auf Ida Fleischl-Marxow:
Es giebt Menschen, die dem Getriebe der Oeffentlichkeit fernstehend, dennoch aus der Fülle ihrer Wesenheit heraus weite Kreise beeinflussen. Zu diesen seltenen Erscheinungen zählte Frau Ida von Fleischl-Marxow. […] Eine Erscheinung von so reicher Eigenart mußte ungesucht zu einem Krystallisations-Punkte schöner Geselligkeit werden, und das Haus Fleischl hat eine markante Rolle im geistigen Gesellschaftsleben Wiens gespielt. Kein literarischer Salon – denn nichts lag Frau von Fleischl ferner als Coteriewesen – war es der Sammelpunkt eines weiten, eigenthümlich mannigfaltigen Kreises, in welchem sich Vertreter der Litteratur, Wissenschaft und Kunst mit denen der verschiedensten Stände zu jenem behaglich ungezwungenen Verkehr zusammenfanden, wie ihn nur das gleichstellende Wohlwollen der Hausfrau hervorzurufen vermag. Und wer kam, kam ihretwillen. Intensiver Gedankenernst, subtilstes Erfassen, Originalität der Betrachtungsweise verliehen ihrem Gespräch reichen Gehalt, und wie der unwandelbare Sonnenschein ihrer Freundlichkeit, erquickte ihr trockener Humor, ihr oft kindlich heiteres Lachen. […] Was sie als Freundin gewesen, die glühende Dankbarkeit in den Versen Betty Paoli’s, Marie von Ebner-Eschenbach’s tiefe Trauer um „ihre stille Mitarbeiterin“ bezeugen es. Und – um die Intimität ihres schönen Familien-Lebens leise nur zu berühren – was ist sie ihren Söhnen, selbst über die Ferne hinweg, gewesen! Die Seelengröße, mit der sie den nie verschmerzten Tod ihres Erstgebornen getragen, hat ihrem milden Wesen einen heroischen Zug eingefügt. […] Ida Fleischl hat jede Lebensbeziehung in ihrem Innersten erfaßt, durch ihre eigene tiefe Innerlichkeit erhöht. Den Aeußerlichkeiten des Lebens aber ist sie mit souveräner Gleichgiltigkeit gegenübergestanden, jeder Zoll eine Persönlichkeit.
Anonym: „Ida Fleischl“. In: Wiener Zeitung, 9.6.1899. S. 17.
Aus dem Tagebuch von Marie von Ebner-Eschenbach, 4. und 22. Mai 1866, über Ida Fleischl-Marxow:
Sehr angenehm im tête a tête. Anregend. gescheidt.
Jedenfalls ein Gewinn diese Frau zu kennen, u. was ihre kurz angebundene Art u. Weise, die Frau v. Littrow so verurtheilt, betrifft, ist sie wenigstens natürlich u. einfach, nicht gedrechselt nicht solches Erziehungsresultat wie die der vortrefflichen Astronomen.
aus: Marie von Ebner-Eschenbach: Tagebücher 1. Kritische Texte und Deutungen. Hrsg. von Karl Konrad Polheim und Norbert Gabriel. Tübingen 1998.