Gescheitheit als Dichterhindernis
Die arme Paoli! die war ein Dichter, wenn sie ein bisserl weniger gescheidt gewesen wär ein noch größerer.
Ada Christen an Ferdinand von Saar, 7 Juli 1894
Die arme Paoli! die war ein Dichter, wenn sie ein bisserl weniger gescheidt gewesen wär ein noch größerer.
Ada Christen an Ferdinand von Saar, 7 Juli 1894
Die Zeitschrift Musical Times and Singing Class Circular vom 1. May 1890 berichtet über ein Konzert in der St Jame’s Hall in London:
The vocalist, Mr. Norman Salmond, decidedly improved his position by his declamatory but perfectly legitimate rendering of “O ruddier than the cherry.” He also introduced an extremely charming if somewhat sad little song, “Good Night,” by Battison Haynes, in which the composer has caught the spirit of the German verses by Betty Paoli.
Vor einiger Zeit habe ich in diesem Blog die Mysterien von Parodie und unfreiwilliger Komik anhand des dankbaren Gegenstands der Kempnerschen Gedichte bedacht. Nun ist mir ein Aufsatz untergekommen, verfasst von der feministischen Literaturwissenschaftlerin Susanne Kord, der den vielversprechenden Titel „The Genius of Involuntary Humour: The Kempner-Effect and the Rules of Fiction“ trägt. (Oxford German Studies, 41.2)
Kord versucht Friederike Kempner als subversiv zu lesen. Sie vermutet bei Kempner eine (absichtliche) Lachgemeinschaft mit den Leserinnen und Lesern, Ausdruck von Solidarität mit allen verkannten Dichtern oder Karikaturen der „großen“, männlichen Literatur. Diese jeweiligen Kempner-Effekte (Kord spricht nur von einem) würden erzielt, unabhängig davon, ob Kempner das wollte oder nicht, unabhängig also davon, ob sie das Genie der unfreiwilligen Komik oder ihr poetisches Danebenhauen Absicht sei.
Das „Vergnügen“ an Kempners Gedichten sei, so Kord, sogar noch größer, wenn/da man nicht wisse ob die Dichterin den komischen Effekt erzielen wollte oder nicht. Die nicht ganz kohärenten Schlussfolgerungen Kords machen die Leserinnen und Leser zu Komplizen Kempners, die Kempner-Gedichte nur witzig finden, weil sie eine Vorstellung von „guter“ Literatur haben. Das ist sicher richtig – wären alle jemals geschriebenen deutschen Gedichte von Kempner-Qualität, wäre Kempner nicht besonders lustig. Was Kord nicht erwähnt: Kempner hatte auch eine Vorstellung von „guter“ Literatur und zählte in Kenntnis der Werke von Schiller, Goethe und Heine ihre eigene dazu.
Der verschwurbelte Stil und der holprige Vers von Friederike Kempners Gedichten fordern zur Parodie auf. Das kann durchaus einen Lerneffekt und Auswirkungen auf das persönliche Leben haben, wie die Erfolgsautorin Gabriele Reuter zu erzählen weiß:
Der Abend bei Blombergs brachte uns nicht allein künstlerische und poetische Genüsse – er verschaffte uns auch die Bekanntschaft einer Dichterin von gänzlich anderer Art – die uns von nun an eine Quelle nicht endenwollenden Vergnügens wurde. Die göttliche Rieke! Friederike Kempner!
Wer weiß heute noch von ihr? Damals war sie einem Kreise intimer humoristischer Genießer bekannt – bis Paul Lindau sie entdeckte und eine Zeitlang ganz Deutschland von ihr redete und sie dann vergaß. Diese noch nicht dagewesene Mischung von höchstem Gedankenflug mit grotesken Vergleichen und trivialen Wendungen, dieser kindische Größenwahn, der sich echter Menschenliebe und dem feurigsten Eifer für die Leiden aller Unterdrückten verband, mußte auf Menschen, die das Leben vom Gesichtswinkel des Humoristen aus betrachteten und den tiefen Sinn für die hinter ihm lauernde Tragik besaßen, wie Elisabeth, geradezu erschütternd wirken. Sie konnte sich begeistern an Naturschilderungen mit dem immer wiederkehrenden Refrain:
O Röslein mein,
Mimöslein klein –
Und lustig hüpfendes Vögelein,oder jene andere grandiosere:
Laßt mich in die Wüste laufen,
Wo die vierzig Palmen sind,
Wo die Dromedare saufen
Und die Quelle ewig rinnt,
Dort in jenen schatt’gen Räumen
Mit dem großen Geist allein
Will ich alle glücklich träumen
Und werd‘ selber glücklich sein!Am nächsten Morgen schon wurde das Gedichtbändchen bestellt, das vorn das Bild der Dichterin zeigte, im karierten Rock, sinnig die Feder in der Hand haltend. Wir begannen fortan die Menschen einzuteilen in solche, die die göttliche Rieke verstanden, und in solche, die die Schätze, die sie bot, nicht zu würdigen wußten. Als mir einige neue Strophen ganz in Riekes überraschender Manier gelangen, hat dies Elisabeths Freundschaft zu mir mehr gefördert als mein jahrelanges stilles Werben.
Bereits zwei Mal habe ich in diesem Blog Friederike Kempner zitiert, die Meisterin der unfreiwilligen Komik – sie wurde gelegentlich auch als der „schlesische Schwan“ bezeichnet. Nun ist ja die Literatur als solche ein großes Gewebe, in dem selten ein Fädchen ganz einsam bleibt. Irgend ein schreibender Mensch knüpft immer an schon Geschriebenes – und sei es noch so weit hergeholt – an. Die Literaturwissenschaft nennt das Intertextualität. Kempners Verse fordern zur Parodie heraus und vieles, was für ein echtes Kempner-Gedicht ausgegeben wird, stammt gar nicht von ihr. Frank Möbus, Herausgeber eines Kempner-Best-of-Buchs, analysiert, was die Nachahmung vom Original unterscheidet: der gute Wille, der den Parodien, die sich über Kempner oder über einen Gegenstand in Kempner-Manier lustig machen, fehlt. Kempners Gedichte sind immer gut gemeint.
„Methusalem“ macht sich 1885 in einem Band „Dichtergrüße an Friederike Kempner“ über die inhaltlichen, metrischen und metaphorischen Absonderlichkeiten von Kempner lustig. Zum besseren Verständnis gibt „Methusalem“ die Seitenzahlen aus Kempners Gedichtband (in der vierten Auflage) an, auf die sich seine Parodien beziehen – das ist Holzhammer. Viele „Pseudo-Kempneriana“ werden in Bezug auf die Subtilität des Witzes dem parodierten Vorbild nicht gerecht.
Dabei könnte man es auch so sehen, wie ein anonymer Rezensent der Kempnerschen Gedichte 1873:
„Bin unverzagt, ich hab’s gewagt und will des End’s erwarten!“ so ruft die Dichterin mit Ulrich v. Hutten, und bescheert den reichen Ertrag ihrer inspirirten Stunden uns trivialen Sterblichen, die wir wol wissen, was ein Messer ohne Klinge, an dem der Stiel fehlt, bedeutet, den poetischen Wundergängen jener Tropfen aus dem kastalischen Quell aber nicht zu folgen vermögen.
Weitere intertextuelle Seiten von Friederike Kempner werde ich in den nächsten Tagen in diesem Blog aufdecken; oder umblättern.
Im Frühlinge
Horch! der Posaune Zauber gellt
Im Sieg’sruf durch die öde Welt, –
Von West zu Ost, von Süd zu Nord,
Glüht neu der Auferstehung Wort.
Wenn sich das neue Leben regt,
Hat sich das alte zur Ruh‘ gelegt,
Aus dem gelben Moder der Winterlag
Stößt die Primel und Hyazinth‘ zu Tag!
Weht der Frühlingsost über’s Jahr heran,
Hab‘ ich auch den letzten Schritt gethan, –
Du Mutter Natur! Aus meinem Staub‘
Weck‘ üppiger Eichen und Myrten Laub!
von Lothar (Prag) in: Oesterreichischer Musenalmanach 1837
Betty Paoli: Einer Tänzerin
O schwebe hin, du flüchtige Sylphide,
Süß lächelnd, mit gesenktem Augenliede,
Geschmückt mit jeder holden Zier!
Phantastisch schön, ein freud’ger Lichtgedanke,
Schwingst du dich über jede Körperschranke,
Und Irdisches ist nicht an dir!
Du weißt von Schmerzen nichts und nichts vom Sehnen,
In deinen Augen brennen keine Thränen,
Und fremd ist dir der Erde Lust.
Du kennst sie nicht – o lerne nie sie kennen!
Es wäre selbst, was wir Entzückung nennen,
Nur eine Last für deine Brust.
Denn dein Beruf ist es, wie Klang und Düfte
Dahin zu gaukeln durch die freien Lüfte,
Ein Schmetterling im sonn’gen Raum,
Und, wenn einst abgeblüht dein Blumenleben,
Dem trunknen Blicke spurlos zu entschweben
Gleichwie ein Frühlingsmorgentraum!
(Quelle: Ost und West Nr. 19, 8. März 1842)
Neben der Erkundung meines neuen Wohnorts beschäftige ich mich zur Zeit mit dem Thema Nationalismus. Ich habe im Alltag oft Gelegenheit, über die Bedeutung von Patriotismus und die Aktualität von nationalen Symbolen nachzudenken, interessiere mich aber – wie meistens – mehr für die Geschichte als für die Gegenwart.
Wie bei vielen anderen Dingen (z.B. Arbeitsteilung, Geschlechterrollen, Individualismus), die für uns heute eine Selbstverständlichkeit erreicht haben, die sie argumentativ an Natürlichkeit grenzen lassen, ist es auch beim Thema Nationalismus ratsam, ins neunzehnte Jahrhundert zurückzublicken, um die basalen Mechanismen zu verstehen.
Für die jährliche Konferenz der Austrian Studies Association (früher MALCA), die unter dem Motto AEIOU: GLOBAL AUSTRIA steht, bereite ich einen Vortrag über einen Text von Hieronymus Lorm vor. In „Wien’s poetische Schwingen und Federn“ (1847) wird das österreichische „Nationalgemüt“ auf sehr interessante Weise mit ästhetischen Kriterien verquickt und auf eine Art lebendig gemacht, die über die Frage hinausreicht, was ein deutsches Gedicht von einem Dichter mährischer, ungarischer oder ruthenischer Herkunft über die Begründung einer Kulturnation im Vorfeld der sogenannten bürgerlichen Revolution aussagt. Ich freue mich schon darauf, über diesen Text im Rahmen der Konferenz zu diskutieren.
Above me rise the snowy peaks
Where golden sunbeams gleam and quiver,
And far below, toward Golden Gate,
O’er golden sand flows Yuba River.
Through crystal air the mountain mist
Floats far beyond yon distant eagle,
And swift o’er crag and hill and vale
Steps morning, purple-robed and regal.
Clarence Urmy (1858-1924)
aus: The California Birthday Book, 1909
Himmelstrauer
Am Himmelsantlitz wandelt ein Gedanke,
Die düstre Wolke dort, so bang, so schwer;
Wie auf dem Lager sich der Seelenkranke,
Wirft sich der Strauch im Winde hin und her.
Vom Himmel tönt ein schwermuthmattes Grollen,
Die dunkle Wimper blinzet manches Mal,
– So blinzen Augen, wenn sie weinen wollen, –
Und aus der Wimper zuckt ein schwacher Strahl. –
Schon schleichen aus dem Moore kühle Schauer,
Und leise Nebel über’s Heideland;
Der Himmel ließ, nachsinnend seiner Trauer,
Die Sonne läßig fallen aus der Hand.
Nikolaus Lenau (1831)